© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/07 25. Mai 2007

Rechts ist da, wo der Daumen links ist
Konservative Publizistik: Nur durch Preisgabe alter Denkschemata wäre die Tendenzwende zu haben, die die Macher der "Sezession" trotzig herbeischreiben
Herbert Ammon

In den Augen der im Institut für Staatspolitik (IfS) versammelten Herausgeber der zweimonatlich erscheinenden Zeitschrift Sezession driftet die Gesellschaft zwar noch immer nach links. Jedoch vermeint Mitherausgeber Karlheinz Weißmann, mit trotzig-selbstbewußter Gebärde in die Zukunft blickend ("Unsere Zeit wird kommen!"), im jüngsten Heft eine "Bewegung im Überbau" zu erkennen. Als Signale für die ersehnte Tendenzwende dienen ihm die vom Cicero-Herausgeber Wolfram Weimer betriebene Rehabilitierung des verpönten Begriffs "konservativ" (JF 19/07) und dessen Anmutung, "aus dem Schutt des Ironischen" im aufgeklärten Europa "die Grundmauern der Tradition wieder freizulegen".

Sodann sieht Weißmann "rechte" Ansätze in Peter Sloterdijks nietzscheanisch inspirierten Reflexionen über den "Zorn" als historisch-soziale Größe, die weder im christlichen Gottesbegriff noch von der Affektleugnung im Menschenbild der Aufklärung realistisch erfaßt werde. Als wichtigsten Beleg wertet er die von einem pessimistischen ("rechten") Menschenbild ausgehenden Reflexionen Wolfgang Sofkys über die Wiederkehr der Gewalt und den faktischen Rückgriff der demokratischen Eliten auf den Feindbegriff Carl Schmitts. Sofky: "Doch ist die Verleugnung des Ausnahmezustands historisch kurzsichtig und naiv."

Bei Carl Schmitt schrillen bei beamteten Hütern der bundesrepublikanischen Gedankenordnung die Alarmglocken. Reichlich Stoff zur Aufregung bietet das Interview mit dem Ex-General Gerd Schultze-Rhonhof über seine jetzt auch im Internet (www.vorkriegs- geschichte.de) leicht zugänglichen Thesen. "Es gibt keine dauerhafte Völkerfreundschaft. Es gibt nur Allianzen mit gemeinsamen Interessen."

Die PC-Provokationen setzt der Historiker Stefan Scheil mit einem auf jüngere Forschungsliteratur gestützten Essay "Polnischer Nationalismus" fort. Schamhaft verschwiegen wird in den Beschwörungen deutsch-polnischer Freundschaft, daß die Anfänge der polnischen West-Expansionsgelüste gen Oder-Neiße in die napoleonische Ära zurückgehen. Anno 1808 entwickelte der Geistliche und Politiker Hugo Kolontaj die Grundzüge des polnischen "Westgedankens", indem er die Oder-Neiße-Linie als künftige Grenze Polens nannte. Nicht anders definierte der Nationaldemokrat Jedrzej Giertych im Sommer 1939 die Ziele "nach dem bevorstehenden Krieg". Sein Sohn Maciej machte unlängst als Mitglied im EU-Parlament von sich reden, als er das Judentum aus der europäischen Kulturtradition gestrichen wissen wollte. Der Enkel Roman hat es unter den Brüdern Kaczynski zum polnischen Vizepremier gebracht.

Daß die große Mehrheit der Deutschen von der Mordpraxis in den Vernichtungslagern tatsächlich nichts gewußt habe, ist das Thema des Aufsatzes des früheren Spiegel-Redakteurs Fritjof Meyer. Er belegt dies nicht nur anhand von Victor Klemperers Tagebüchern und Konrad Löws Buch "Das Volk ist ein Trost" (2006), sondern mit Detailkritik an Peter Longerich, dessen Buch "'Davon haben wir nichts gewußt!' Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933-1945" von Daniel Goldhagen (Die Welt, 6. Mai 2006) als üble Verharmlosung attackiert wurde. Entgegen dem Titel des Kapitels "'Endlösung' als öffentliches Geheimnis" gehe aus Longerichs Buch selbst hervor, daß ungeachtet der Andeutungen führender NS-Chargen über "Ausrottung" der Judenmord im Mai/Juni 1943 wieder zum "Un-Thema" geworden sei. Longerich widerlege mit diesem Faktum seine eigene These.

Andreas Vonderach ("Entwicklungspsychologie als Schlüssel") präsentiert theoretische Alternativkonzepte zur Erklärung von Intelligenz und Leistung. Sowohl das an Jean Piaget angelehnte Entwicklungsschema kognitiver Fähigkeiten des Soziologen G. W. Oesterdieckhoff als auch genetisch angelegte IQ-Konzepte bergen politische Brisanz - im Hinblick auf "Entwicklung" in der "Dritten Welt" wie auf "Integration" im ethnischen Multikulti.

Andere Themen behandeln den historischen Charme Preußens (Erik Lehnert), die Unverzichtbarkeit einer Nationalgeschichte (Martin Voelkel) sowie den antideutschen Rassismus der "antideutschen" Ideologen sowie nicht weniger Jugendlicher "mit Migrationshintergrund" (Daniel Schikora). Nicht zu vergessen sei das Autorenporträt des zum Dresdner Stadtschreiber berufenen Lyrikers und Essayisten Ulrich Schacht aus der Feder von Siegmar Faust.

Warum mit solchem Eifer Windmühlen zerlegen?

Ellen Kositzas antifeministischer Beitrag "Gender ohne Ende" zitiert über mehrere Seiten hinweg eine Reihe von Elaboraten - vornehmlich Polemiken gegen die spätberufene Mutter Eva Hermans -, die freilich das Papier nicht wert sind, auf dem sie verbreitet werden. Warum also sollte man ihnen mit solchem Eifer und in solcher Länge und Breite zuleibe rücken?

Eine Widerlegung der herrschenden Begriffsschablonen ist eingangs in Detlef Kühns Porträt der deutschnationalen Frauenrechtlerin Lenore Kühn (1878-1955) zu finden, die sich, obgleich "deutschgläubig" bewegt, aus Loyalität zu jüdischen Freunden mit der Nietzsche-Schwester Elisabeth Förster entzweite und nach 1945 für die nicht minder "emanzipierte", indes ob ihrer ideologischen Abstrusitäten von der Nachkriegsjustiz bedrängte Mathilde Ludendorff eintrat.

Ob es den Machern der Sezession gelingt, mit ihren Aktivitäten ein Curriculum dextrum (Götz Kubitschek) für heranzubildende Jung-Rechte zu konstruieren, sei dahingestellt. Kubitschek rühmt in der Rezension von Manfred Riedels "Geheimes Deutschland. Stefan George und die Brüder Stauffenberg" (2006) als "ein befreiendes und beklemmendes Buch". Er kündigt ein Heft zur "Auseinandersetzung mit der kategoriensprengenden Verknüpfung von Politik und Poesie" an.

Überholte Denkinstrumente abzulegen, scheint wichtiger, als sie in einem Curriculum aufzumöbeln. Eine reale "Tendenzwende" wird erst dann stattfinden, wenn sich, dem Beispiel Alain Finkielkrauts folgend, die europäischen Intellektuellen aus ihrem Links-Rechts-Korsett befreit haben.

Kontakt: Sezession, Institut für Staatspolitik, Rittergut Schnellroda, 06268 Albersroda, Tel./Fax: 03 46 32 / 9 09 42


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