© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/07 25. Mai 2007

Weniger ist weniger
Helmut Kraussers "Kartongeschichte"
Thorsten Thaler

Was ist nur los mit Helmut Krausser? In den Neunzigern erwarb sich der 1964 geborene Autor mit einigen Erzählungen und Romanen, darunter "Fette Welt" (1992), "Melodien" (1993) und "Thanatos" (1996), sowie seinen einmal jährlich erscheinenden Tagebüchern zu Recht den Ruf eines großen Nachwuchstalents des deutschen Literaturbetriebs. Konservative Gemüter konnten sich zudem an Kraussers literarischen Zwiesprachen und vielfältigen Bezugnahmen auf Klassiker wie Ernst Jünger, Céline oder Hamsun erwärmen.

Doch dann wurden die Bücher schwächer (JF 2/03; 18/03), und Krausser selbst kündigte -­ für einen Schriftsteller merkwürdig genug - seinen "Rücktritt" an. Er habe in der Literatur alles erreicht, was er sich in jüngeren Jahren vorgenommen habe, und wolle sich nun eine andere Betätigung suchen, erklärte er in einem Interview. "Ich möchte nicht ehemaligen Qualitätsstandards hinterherhecheln", so Krausser.

Reduziert auf das Wesentliche

Jetzt hat der mittlerweile 42jährige mit der "Kartongeschichte" einen "Liebesroman für Menschen, die eigentlich keine Liebesromane mögen" (Verlagswerbung) veröffentlicht - und siehe da, Krausser kann es noch immer. Genauer gesagt: Er legt den Verdacht nahe, daß er es immer noch kann. Denn seine "Kartongeschichte" ist mit knapp über 130 Seiten so minimalistisch angelegt, daß sie über eine Skizze zu einem Roman kaum hinausreicht.

Typische Redewendungen lauten: "das alles ließe sich liebevoller erzählen", "könnte ausgeschmückt werden", "grob zusammengefaßt", "gekürzt um allen Zierat". Oder: "die erotische Passage, die an dieser Stelle herausgekürzt wurde", "die Beschreibung des Zimmerchens wurde gekürzt, wer braucht das?" Ein Kapitel wurde offenbar ganz gelöscht, statt dessen heißt es dort vorwitzig: "An dieser Stelle wurde ein Kapitel getilgt, um der Geschichte mehr Drive zu verleihen. (...) Viel Unwesentliches wird penibel erklärt. Deswegen sollen keine Bäume sterben." Ein neckischer Einfall? Na ja.

Im Klappentext ist von einem Buch im "Fast-forward-Modus" die Rede. Was wohl soviel bedeuten soll wie: knapp und bündig, kurzsilbig, schnörkellos, lakonisch, lapidar, abgespeckt, reduziert auf das Wesentliche. Das mag anfangs gewöhnungsbedürftig sein, funktioniert aber spätestens ab dem Moment, wo die Geschichte zu ihrem Kern vorstößt und nochmals Fahrt aufnimmt, doch erstaunlich gut. Der Kern: Ein skurriles Quartett - zwei junge Frauen, die ihre auch lesbische Zuneigung füreinander entdecken, ein drogensüchtiger Stricher und ein schwarzer Barkeeper eines Pornoschuppens, die ebenfalls homosexuell miteinander verbandelt sind - wollen die mumifizierte Leiche des Vaters einer der Frauen in einem Pappkarton entsorgen. Eine typische Krausser-Konstellation eben, schräg und kauzig.

Mit hoher Literatur hat das alles natürlich nichts zu tun. Krausser kann mehr - wenn er will.

Helmut Krausser: Kartongeschichte. Marebuchverlag, Hamburg 2007, gebunden, 140 Seiten, 18 Euro


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