© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/07 25. Mai 2007

Pankraz,
R. Messner und der Gang durch die Wüste

In einem - übrigens sehr gelungenen und eindrucksvollen - "Samstagabend"-Interview des Südwestfunks (SWF) vor einigen Tagen legte der befragte Reinhold Messner größten Wert auf die Tatsache, daß er nicht nur ein Bergsteiger sei, sondern mindestens ebensosehr ein "Begeher". Viele seiner Expeditionen, vor allem in der letzten Zeit, seien "Begehungen" gewesen. Zum Beispiel habe er die Wüste Gobi nicht einfach durchquert, sondern "begangen". Der Reiz des Abenteuers habe ausdrücklich in der "Begehung" gelegen, inklusive der damit verbundenen Risiken.

Pankraz kam das beim ersten Hören ziemlich komisch vor. Im allgemeinen "begeht" man ja nicht Wüsten oder vereiste Polarkappen, sondern große Gedenktage, Feierlichkeiten, Erinnerungszeremonien. Des weiteren "begeht" man, in der Baubranche, neue, gerade fertig gewordene Fabrikhallen oder "Wohnanlagen", um nachzusehen, ob alles in Ordnung ist. Dem Wort "Begehung" wohnt von Haus aus ein eminent bürokratischer Sinn inne. Natürlich kann man auch Fehler "begehen", doch dann schlägt die Bürokratie unbarmherzig zu und straft den "Begeher".

Andere Sprachen, beispielsweise das Englische, kennen das Wort gar nicht. Entweder man feiert dort einen Erinnerungstag ("celebrate"), oder man inspiziert einen Neubau ("inspect"), oder man macht einen Fehler ("commit"). Im übrigen geht man einfach so vor sich hin ("walk"). Messner indessen geht nicht, sondern er macht eine "Begehung". Sein Gang ist alles auf einmal: feierliche Handlung, bürokratische Überprüfung, vielleicht auch Fehler.

Wäre er bei der Gobi-Durchquerung verdurstet oder hätte einen Hitzschlag erlitten, so hätte sich sein Unternehmen, zumindest die Vorbereitung dazu, als Fehler erwiesen. Zwischen Feier und Fehler liegt oft nur ein winziger Schritt; das Abenteuer der "Begehung" besteht in der Inspektion dessen, was der Abenteurer körperlich, organisatorisch und willensmäßig zu leisten imstande ist. Es ist eine Selbstprüfung. Er muß alles gut vorbereiten, und er muß sich unterwegs mächtig am Riemen reißen, um nicht zu scheitern. Scheitert er nicht, kann er um so lauter triumphieren.

Frage: Wird durch diese Art der "Begehung" der schöne, farbenreiche, die Phantasie anregende Begriff des Abenteuers nicht allzusehr reduziert, ausgekühlt, langweilig gemacht? Früher war die Abenteuerlust ganz nach außen gerichtet, war auf Entdeckung neuer Räume und Gestalten aus. Das Risiko, das im Begriff enthalten ist, wurde zwar stets mitgedacht, aber es wurde entweder keck ignoriert oder jungenhaft bewußt in Kauf genommen. Nie wäre es Abenteurern alten Stils in den Sinn gekommen, die Risikoabschätzung selber zum Hauptgrund des Unternehmens zu machen.

Just dies passiert bei den neueren Abenteuern des Reinhold Messner. Er weiß bei seiner Gobi-"Begehung" genau, was ihn auf den letzten 300 Kilometern erwartet, nämlich nichts. Alles auf diesen Kilometern ist von früheren Durchquerungen auf dem Kamel oder mit dem Jeep längst erschöpfend erforscht und in die Medien gebracht. Der "Begeher" wird weder irgendwelchen Lebewesen begegnen noch irgendwelchen unbekannten oder auch nur reizvollen Landschaftsformationen. Auch keine Klimastürze, Wüstenstürme oder Wolkenmassen sind zu gewärtigen. Alles ist wirklich nur eine leere, total plane Oberfläche.

Trotzdem, ja gerade deshalb, "begeht" der große Abenteurer diese trostlosen 300 Kilometer. Er will, sagt er, erfahren, "was ich mit 60 noch leisten kann". Er hätte das zu Hause im medizinischen Labor genausogut testen können. Aber nein, es muß die Wüste Gobi sein. Und es ist notwendig, daß man sie extra und in jederlei Hinsicht "begeht". Warum tut sich das einer an?

Zwei Erklärungen liegen nahe, eine charmante und eine weniger charmante. Um mit der weniger charmanten zu beginnen: Messner, der Schriftsteller und Medienstar, kann gar nicht anders. Die Medien, seine Leser und Zuschauer und Redakteure, erwarten das von ihm, und wenn er ihnen nicht gehorcht, verschwindet er aus den Talkshows, und sein spezifisches Logo verblaßt. Einst war er der große Bergsteiger und Achttausender-Bezwinger, nun ist er sechzig und hat zu beweisen, daß er auch noch mit sechzig "der Alte" ist, der Bezwinger, der stets aufs Ganze geht. Unsere moderne, immer älter werdende Gesellschaft will das so.

Die charmante (und wahrscheinlichere) Erklärung: Mess-ner findet erst jetzt zu seiner wirklichen Bestimmung. Alles Voraufgegangene, die Kletterkünste, die Weisheit der Tibeter, die Yaks & Yetis - alles das war im Grunde Vorbereitung. Erst jetzt, in der sich anbahnenden Zielgeraden des Lebens, taucht am Horizont das "Eigentliche" auf, das heißt: die Leere, das scheinbar vollkommen Durchschaubare und in Wirklichkeit Undurchschaubare, die große Herausforderung, der sich jeder Mutige früher oder später zu stellen hat.

Im Grunde wies ja schon Mess­ners Urleidenschaft, das Bergsteigen in seiner absoluten Form, auf solche spätere Begehrlichkeit hin. Denn was ist eine Achttausender-Besteigung, zudem noch ohne Atemgerät und mit Minimalausrüstung, anderes als das Streben nach der letzten Perspektive, wo alles hinter, unter einem liegt und man den Blick frei hat für die große Leere?

In alten Zeiten waren die Gipfel den Göttern vorbehalten, ihre Erkundung mit Tabus belegt. Noch abendländische Geistesgrößen der etwas näheren Vergangenheit, von Petrarca bis Hölderlin, haben gewarnt vor der "ruchlosen" Bergsteigerei, wie sie dann ab dem 19. Jahrhundert üblich wurde: eitles Herumprahlen mit der je eigenen Kraft, Technifizierung und Mechanisierung des Kletterbetriebs, "Gipfelsturm" als breit inszeniertes Medienereignis.

Auch Reinhold Messner paßte und paßt vielleicht auch jetzt noch partiell in diese Linie. Daß bei ihm aber mehr drin ist, zeigte nicht zuletzt jenes SWF-Interview. Es war eine "Begehung" ganz eigener Art, Feier ohne bürokratisch-technizistischen Zungenschlag, vielleicht sogar ohne Fehler.


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