© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/07 18. Mai 2007

Feudalismus im scheindemokratischen Gewand
Hans Herbert von Arnim geht mit dem EU-Paradies der Politischen Klasse und ihrem eingebunkerten Machtkartell ins Gericht
Klaus Peter Krause

Seit Jahren zieht der Staatsrechtswissenschaftler Hans Herbert von Arnim gegen alles das zu Felde, was die Gewaltenteilung aushebelt, was die Politische Klasse sich gegenseitig an Privilegien zuschiebt, was die Demokratie demoliert, die Rechtsstaatlichkeit abhanden kommen läßt und den Bürgern ihre Rechte raubt. Das tut er auch in seinem jüngsten Buch über die Europäische Union, nachdem er sich in seinen früheren Büchern auf Deutschland konzentriert hat. Hier nun nimmt er erstmals massiv die Fehlentwicklungen, Auswüchse und Irrwege der EU ins Visier, öffnet den Lesern - mögen sie zahlreich sein! - auch hier die Augen für die politischen Selbstherrlichkeiten, die Verdorbenheiten und die Abgründe. Das geschieht umfassend, schonungslos und gründlich.

Im Vorwort schreibt von Arnim: "Die Auswüchse, mit denen sich ein großer Teil des Buches beschäftigt, sind derart kraß, daß sich die Frage aufdrängt, wie es dazu eigentlich kommen konnte. Warum konnten die Verantwortlichen selbst massivste Kritik unbeeindruckt aussitzen?" Die europäische Politikfinanzierung und die Aufblähung der Pfründen, so fährt er fort, stellten alle für die Bürger geltenden Grundsätze auf den Kopf. Sie seien der sichtbare Ausdruck eines Demokratie- und Kontrolldefizits, das die Europäische Union insgesamt kennzeichne. Und: "Nirgendwo sonst kommen die extreme Bürgerferne der EU und der Expansionsdrang ihrer Organe derart unverblümt zum Vorschein wie in den Regeln, die die Politische Klasse sich in eigener Angelegenheit gegeben hat."

Der Autor nimmt wahrhaftig kein Blatt vor den Mund: Die EU ist ein nur dürftig legitimierter Apparat. Dieser wird zunehmend zum Selbstzweck. Sämtliche Amtsträger und Funktionäre sind überversorgt. Bei der Spesenabrechnung gibt es groteske Mißbräuche. Parlament, Kommission und andere EU-Organe sind personell zu ungebührlicher Übergröße aufgebläht. Drei große Gruppen von Funktionären teilen die politische Macht und Herrschaft unter sich auf: die Politische Klasse, die Bürokraten und die Lobbyisten (Manager von Großunternehmen und Vertreter von Interessenverbänden).

Die Funktionäre in diesem Machtdreieck Politik, Bürokratie und Wirtschaft verketten sich immer mehr zu einem eingebunkerten Machtkartell. Von Europa her droht ein Aufweichen bewährter innerstaatlicher Grundsätze, von Europas Kopf her eine Korrumpierung des gesamten öffentlichen Systems. Die Regeln zur EU-Politikfinanzierung sind aus dem Ruder gelaufen. Das gibt den Politikern und Parteien der Beitrittsländer gewaltigen Anreiz, ebenfalls in dieses Paradies der Politischen Klasse zu gelangen. Und je größer die EU wird, desto aussichtsloser ist es, das alles zu ändern.

Andere Feststellungen lauten: Europa ist von Regierungen nur für Regierungen geschaffen. Die Bürger sind von der Mitwirkung ausgeschlossen, degradiert zum Objekt der Entscheidungen anderer. Abwählen können sie ihre europäische "Regierung" nicht. Europa ist ein Europa ohne Volk, das Volk als politischer Akteur wird ausgeblendet. Daran, was Kommission und Rat an Verordnungen, Richtlinien und Rahmenbeschlüssen produzieren, darf das Volk nicht teilnehmen. Es hat auch keine Kontrollmöglichkeiten.

Auf diese feudalistisch anmutende Weise sind für Deutschland inzwischen etwa achtzig Prozent aller Regelungen im Wirtschaftsbereich und fünfzig Prozent der übrigen Gesetze zustande gekommen. Fast alle guten demokratischen Grundsätze, die in den Einzelstaaten im Lauf der Geschichte mühsam erkämpft wurden, sind in der Europäischen Union einfach außer Kraft gesetzt. So geht es Satz für Satz, Seite für Seite allein schon im Kapitel "Tatort Europa" des ersten (von sieben) Teilen mit der Überschrift "Die europäische Pseudodemokratie".

Der Titel des Buches, zu verantworten durch den Verlag, klingt reißerisch und etwas abgenutzt, aber der Inhalt entschädigt, denn er bildet in seiner Sachlichkeit das nötige Gegengewicht. Behandelt werden Themen wie die geschönten Umfragen zur Akzeptanz der EU durch die Bürger, der Niedergang der Akzeptanz, die Intransparenz des "Brüsseler Labyrinths", die Verführung der Politiker durch die EU, die Umgehung nationaler Kontrollen, die Erosion des Rechtsstaats, der organisierte Unsinn der Agrar- und Strukturpolitik, die Brüsseler Steueroase, der Aufstand der Bürger in Frankreich und den Niederlanden gegen den Verfassungsvertrag, die Selbstbedienung der Parteien am Geld der Steuerzahler, die mangelnde Kontrolle durch die Kontrolleure Gerichtshof, Rechnungshof und Zentralbankrat, die Wahlen ohne Auswahl, das EU-Scheinparlament, das System finanzieller Exzesse, geschmierte Abgeordnete und der Kampf um eine Reform des Abgeordnetenstatuts.

Während von Arnim alle diese und viele andere Zustände beschreibt, gibt er dem Leser zugleich Handreichungen dafür, worauf er als Bürger und Wähler dringen sollte. Doch derzeit können diese, da entmachtet, so gut wie nichts ausrichten. Dazu bedarf es grundlegender institutioneller Reformen. Die aber scheitern an der durch Macht und Privilegien verwöhnten politischen Kaste. Was von Arnim verlangt, ist, die EU zu demokratisieren: bei der Verfassungsgebung, durch Direktwahl von Kommissionspräsident und EU-Rat, durch das Mittel Volksentscheid in allen EU-Staaten und durch ein Klagerecht der Bürger "als Citoyens" gegen Verletzungen des Rechts. Aus bürgerlicher Einflußlosigkeit muß Einfluß werden.

Das Buch ist allgemeinverständlich und sprachlich gut geschrieben, daher leicht lesbar. Seine Diktion ist bei aller Deutlichkeit sachlich, informativ, argumentativ und darum besonders überzeugend. Das Geschriebene ist vielfältig belegt, wissenschaftlich abgewogen und damit fundiert. Der Autor lehrt Öffentliches Recht und Verfassungslehre an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Es ist selten, daß deutsche Wissenschaftler sich mit solchen Büchern so engagiert, so beständig und so alarmierend an die Öffentlichkeit begeben. Auch der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof mit seinen Büchern zum Steuerrecht ist so ein Fall. Für von Arnim ist sein Buch "dazu bestimmt, eine öffentliche Diskussion über Sinn und Unsinn der Europäischen Union (EU) zu entfachen, nicht nur in Deutschland, sondern europaweit". Ebendarum wird es von der Politischen Klasse und ihren "politisch korrekten" Sympathisanten beschwiegen werden. Aber es ist frei verfügbar, jeder kann es lesen. Wen es dann nicht alarmiert, dem ist nicht zu helfen.

Hans Herbert von Arnim: Das Europa-Komplott. Wie EU-Funktionäre unsere Demokratie verscherbeln. Carl Hanser Verlag, München und Wien 2006, gebunden, 442 Seiten, 17 Euro

Foto: EU-Kommissar Franz Fischler, Kommisionspräsident Romano Prodi mit dem österreichischen Kanzler Wolfgang Schüssel präsentieren 2002 neue Euro-Geldscheine: Dürftig legitimierter Apparat


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