© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/07 18. Mai 2007

Den "Graurichtern" auf der Spur
Enteignungen: Rechtsstaatler kündigen Kampagne gegen Rechtsbeugung und Fehlurteile an / Bundeskongreß Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum in Potsdam
Christian Rudolf

Bald 17 Jahre sind nach der Wiedervereinigung ins Land gegangen, doch noch immer kämpfen viele ehemalige DDR-Bürger oder deren Erben um ihr Recht auf Restitution: Durch fehlerhafte Grundstücksverkäufe in den östlichen Bundesländern sind nach Einschätzung der Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum (ARE e. V.) seit der Wende Eigentümer um Milliarden Euro geschädigt worden. Der diesjährige 11. Bundeskongreß der ARE am vergangenen Wochenende in Potsdam stand unter dem Motto "Rechtsstaat in Bedrängnis - Deutschland und Europa am Scheideweg".

Der ARE-Bundesvorsitzende, Manfred Graf von Schwerin, sprach von deutschlandweit rund 800 seiner Organisation bekannten Urteilen, bei denen es zu Rechtsbeugung gekommen sei. Davon entfielen rund zehn Prozent auf Brandenburg, das die unrühmliche Statistik anführt. In der Nachwendezeit sollen die Kommunen im Berliner Umland unrechtmäßig und absichtlich Grundstücke zu Schleuderpreisen verkauft haben, die alsbald von den neuen Eigentümern mit unerhörter Gewinnspanne weiterverkauft wurden - bisweilen um das zwanzigfache teurer. Graf Schwerin prangerte insbesondere die gravierenden Folgen der "mafiösen Strukturen" im früheren Landkreis Strausberg (heute Märkisch-Oderland) an: "Es wurde manipuliert, geschoben und betrogen."

Joachim Elgt, Sprecher der Interessengemeinschaft gegen Vermögensunrecht (IgV), eine von 14 Aktionsgruppen der ARE, bestätigte diese Einschätzung. Die Verantwortlichen in der kommunalen Verwaltung hätten die rechtmäßigen Grundstücksbesitzer um ihr Eigentum gebracht. Nach Hinaufklimmen der Karriereleiter bekleiden sie heute wichtige politische Ämter. Elgt nannte vor allem den derzeitigen Landtagspräsidenten Brandenburgs Gunter Fritsch (SPD), der seinerzeit als Landrat des Kreises Strausberg den eigentlichen Besitzern - Mittelständlern, Bürgerlichen - ihr Recht auf Restitution verwehrt habe (JF 49/06). Die Aktionsgemeinschaft fordert deshalb den Rücktritt des Politikers. Fritsch wies bisher alle Vorwürfe zurück: Er sei nicht direkt mit dem Fall befaßt gewesen, behauptet er.

Neben Fritsch wurde auch Kritik an Brandenburgs Justizministerin Beate Blechinger (CDU) laut, deren Familie 1990 in Fredersdorf ein Grundstück aus "Volkseigentum" zum Schnäppchenpreis erworben hatte. Umstritten ist dieser Kauf zum einen, weil Blechingers Mann als Mitglied der Gemeindevertretung verbilligte Preise für einheimische Fredersdorfer mitbeschlossen und dann selbst davon profitiert habe. Die Kommunalaufsicht lag bei Landrat Gunter Fritsch.

Appell an die Bundesregierung

Die Ministerin habe allerdings ein Dokument vorgelegt, aus dem hervorgehe, daß sie nicht von dem Grundstückskauf ihres inzwischen geschiedenen Mannes profitiert habe. "Ihre bisherigen Erklärungen reichen nicht aus", mahnte von Schwerin.

Er kündigte eine Kampagne gegen die "Graurichter" an, die für Rechtsbeugung und Fehlurteile im Zusammenhang mit verweigerter Rückgabe verantwortlich sind. Es sei nicht hilfreich, den Gerichten pauschal Vorwürfe zu machen, vielmehr sollten einzelne Richter namentlich benannt werden: "Wir haben die ersten Täter schon am Wickel". Es gäbe etwa 30 solcher Fälle von Fehlurteilen.

Rechtsanwältin Catherine Wildgans referierte aus ihrer Praxis einen Fall von verweigerter Grundbuchberichtigung: "Unglaublich, was sich in deutschen Gerichten abspielt." Es ging um eine unrechtmäßige Enteignung in den achtziger Jahren: Der Bürgermeister einer DDR-Gemeinde gab eine Verzichtserklärung für ein Grundstück ab. Die tatsächlich berechtigten Eigentümer wurden übergangen. Auch nach DDR-Vorschriften hätte die Grundbuch­umschreibung nur erfolgen dürfen, wenn der Eigentümer, nicht aber Dritte, eine Verzichtserklärung abgegeben hätte. Das Gerichtsverfahren gegen die BVVG, die Nachfolgeorganisation der Treuhand, sah zunächst aussichtsreich aus, bis in der mündlichen Verhandlung ein ganz neuer junger Richter erschien. Nach kurzer Verhandlung erging das Urteil: Unlautere Machenschaften seien nicht zu erkennen, die Grundbuchumschreibung sei ein Verwaltungsakt und nicht mehr angreifbar. Die Besitzer wären das Eigentum damals sowieso losgeworden.

Professor Julius Schoeps vom Moses-Mendelssohn-Zentrum lockerte den von juristischen Begrifflichkeiten schwangeren Kongreß auf durch eine Lesung aus seinen Erinnerungen "Mein Weg als deutscher Jude". Am Beispielfall des Gutes Börnicke, das den Erben der Familie Mendelssohn-Bartholdy gehörte und von Rechts wegen weiterhin gehören müßte, wurde deutlich, wie durch verweigerte Rückübertragung reale Investitionsmöglichkeiten und die Rückkehr des Mittelstands in die ländlichen Regionen unterblieben. Die "dritte Enteignung" des Gutes Börnicke ging durch die Weltpresse, geholfen hat es nichts: "Hier ist etwas völlig in Deutschland aus dem Ruder gelaufen".

Zum Abschluß des Kongresses verabschiedeten die Teilnehmer die "Potsdamer Erklärung". Gefordert wird von der Bundesregierung, einen "Unrechtsbericht 2007 zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland" zu erarbeiten.


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