© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/07 18. Mai 2007

Aufgeschnappt
Brüssel liebt das Pianissimo
Matthias Bäkermann

Lärm macht krank. Deshalb gibt es für gewisse Berufsgruppen seit langem Arbeitsschutzbestimmungen, die den Mann am Preßlufthammer oder auf der Planierraupe vor Langzeitschäden schützen. Doch seit einiger Zeit sind Orchester im Visier der Arbeitsschützer und bekommen Unterstützung aus Brüssel, das per EU-Richtlinie den Schallschutz bereits 2003 regelte, wonach die Lautstärke auf 87 Dezibel beschränkt werden sollte. "Es ist ein Schutz für Arbeitnehmer in allen Bereichen", belehrte damals die EU-Abgeordnete Barbara Weiler (SPD), "und uns, dem Europäischen Parlament, liegt sehr viel daran, daß wir für den gleichen Tatbestand für bestimmte Branchen keine Ausnahme schaffen". Seitdem versuchen Symphonie-Orchester, wenigstens in den Proben die zarten Streicher vor den zum Fortissimo ansetzenden Blechbläsern mit Plexiglasscheiben zu schützen, bringt es doch ein Posaunensolo von Mozart locker auf 95 Dezibel. Der Deutsche Bühnenverein erklärte für Aufführungen jede Grenzwertregelung jedoch für "völlig unrealistisch".

Doch jetzt droht sogar noch eine Verschärfung der EU-Verordnung. Ab Februar 2008 soll die Obergrenze bei 83 Dezibel festgelegt werden, was einem klingelnden Mobiltelefon entspricht - ansonsten empfiehlt sich ein individueller Gehörschutz. Besonders laute Stücke wie das "Schwert-Motiv" aus Wagners "Ring", erst recht jedoch viele Stücke der 20.-Jahrhundert-Komponisten (Strauß' "Elektra" mit 115 Dezibel oder Crescendos von Schostakowitsch mit bis zu 120 Dezibel) wären dann ohne Schutz unspielbar. "Das muß man trennen", bedauert auch Star-Dirigent Zubin Mehta den Verordnungswahnsinn, "sonst sind wir morgen alle Verbrecher." Matthias Bäkermann


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