© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/07 18. Mai 2007

Kolumne
Die vergessenen Kinder
Norbert Geis

Die Diskussion um die Krippenplätze ist voll im Gang. Jetzt geht es um die Finanzierung. Die CSU hat die Forderung erhoben, daß auch die Mütter, die daheim bleiben, um ihre Kinder zu erziehen, entsprechend unterstützt werden. Die Familienpolitik steht ganz im Vordergrund der politischen Auseinandersetzung. Dies ist zweifellos ein Verdienst von Ministerin Ursula von der Leyen. Ursache dafür ist aber auch die Sorge um die demographische Entwicklung. Wir sind reich, aber zugleich arm an Kindern. Die Deutschen schrumpfen, die Zahl der Zuwanderer wächst. Unsere durch gemeinsame Geschichte, Sprache und Religion geprägte Kultur wird schwinden. Eine andere Kultur wird kommen. Das erfüllt die Menschen mit Sorge.

Gerade deswegen ist es nicht nachvollziehbar, daß einer der wichtigsten Gründe für diese demographische Entwicklung eisern totgeschwiegen wird. Seit der Fristenregelung vom 18. Juni 1974 sind bei uns nach den geschönten Angaben des Statistischen Bundesamtes 4,3 Millionen Kinder abgetrieben worden, nach realistischer Schätzung jedoch mehr als 8 Millionen. Jährlich kommen nach der Statistik 130.000 Abtreibungen hinzu, in Wahrheit sind es jedoch eher 250.000. Hätten wir noch die Gesetzeslage, wie sie vor der Fristenregelung bestand, dann hätten wir bei damals jährlich 100.000 Abtreibungen in 30 Jahren 3 Millionen Abtreibungen. Das heißt, daß es in Deutschland heute weit über 5 Millionen Einwohner mehr gäbe. Bei allen Einschränkungen, die man bei solchen Rechnungen machen muß, beweisen diese nüchternen Zahlen aber doch, daß die Abtreibungen ein wichtiger Grund für das demographische Desaster sind, das auf uns zukommt. Darüber darf aber offensichtlich nicht diskutiert werden. Alle haben sich diesem Tabu zu beugen. Über diese vergessenen Kinder darf niemand sprechen. Wer es dennoch tut, wird als finsterer Konservativer vermaledeit.

Nicht die objektive Wertordnung unseres Grundgesetzes entscheidet, ob ein Mensch in den ersten Monaten seiner Existenz leben darf, sondern es sind die subjektiven Wertvorstellungen, die den Ausschlag geben. Das eigene zurechtgeschusterte Gewissen urteilt, ob das Kind leben darf. Es ist die Diktatur des Relativismus, die uns verbietet, darüber nachzudenken und darüber zu sprechen. Wir können jedoch den Kopf nicht länger in den Sand stecken, sondern müssen die Wirklichkeit wahrnehmen und die Verhältnisse ändern, um unsere Zukunft nicht zu verspielen.

 

Norbert Geis (CSU) ist Mitglied des Deutschen Bundestages und lebt als Rechtsanwalt in Aschaffenburg.


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