© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/07 11. Mai 2007

Tief unten und hoch oben
An Joris-Karl Huysmans zum hundertsten Todestag
Georg Alois Oblinger

Lieber Joris-Karl Huysmans, jetzt bist du schon hundert Jahre tot. Schade, daß du unsere Zeit nicht mehr erleben konntest! Gerade der Jugend von heute hättest du sicherlich einiges zu sagen.

Zugegeben, die Banalität, in der die Mehrheit der Menschen heute lebt, würde dich ebenso ekeln wie jene deiner eigenen Lebenszeit, über die du urteiltest: "Oh, dieser kotige Brei, barmherziger Gott! - Ist es noch zu glauben, daß dieses neunzehnte Jahrhundert sich noch selbst erhebt und umschmeichelt? Es führt ein einziges Wort im Munde: Fortschritt. Wer schreitet fort? Es hat doch nichts von Belang erfunden ... Nein, was es gefunden hat, dieses Jahrhundert, das ist Nahrungsmittelfälschung und spitzfindige Maskierung der Erzeugnisse." Dich als Malersohn und wahren Ästheten müßte auch unsere Gesellschaft anwidern.

Was würdest du heute tun, um aus ihr zu fliehen? Damals versuchtest du es zunächst mit einem künstlichen Ästhetizismus, dann mit dem Okkultismus und der Magie, bis du merktest, daß auch hier letzten Endes keine wahre Erfüllung zu finden ist. Dein großer Lehrer Jules Amedée Barbey d'Aurevilly hat wohl schon vorausgeahnt, wohin dein Weg führen wird, als er das Erscheinen deines Romans "À rebours" (Gegen den Strich), welches bis heute als Bibel der Dekadenz gilt, mit den Worten kommentierte: "Nach einem solchen Buch bleibt dem Verfasser nur noch die Wahl zwischen der Mündung einer Pistole und den Füßen des Kreuzes."

Das war im Jahr 1884, jenem Jahr, in dem auch deine Freundschaft mit Léon Bloy begann. Daß diese Freundschaft beim Erscheinen deines Romans "Là-bas" (Tief unten) zerbrach, den Bloy für satanistisch hielt, zeigt nur, daß das Bücherschreiben für dich immer eine existentielle Angelegenheit war und mit der Suche nach deinem eigenen Weg einherging.

Heute könntest du vielen jungen Menschen helfen

Ja, du hast wirklich das "Tief unten" und das "Hoch oben" erlebt. Du hast den Satanismus nicht nur in der Theorie kennengelernt, sondern dich von dunklen Mächten ganz hineinziehen lassen. Es war sicherlich Fügung, daß du sehr bald schon erkanntest, daß sich hier zwar Außergewöhnliches findet, aber keineswegs das, wonach du dein Leben lang suchtest: das Hohe und Erhabene, das, was der menschlichen Seele eine tiefe innere Erfüllung schenkt. Heute könntest du sicherlich vielen jungen Menschen helfen, die nach dem Sinn ihres Lebens suchen. Oh, würden sie doch nur zumindest deine Bücher lesen!

So führte dich die Gnade Gottes also zum katholischen Glauben und schließlich ins Benediktinerkloster von Ligugé. Deine Stelle als Ministerialbeamter gabst du auf; denn jetzt hattest du deine wahre Berufung entdeckt. Deine letzten Bücher sind zutiefst vom Glauben geprägt. Sie zeigen uns außerdem, welch ein großer Mystiker du warst. Du würdest dich wundern, wie sehr gerade heute die Mystik wieder gefragt ist!

Joris-Karl Huysmans, manchmal glaube ich, du warst uns wirklich voraus. Du hattest schon damals in deinem nur 58jährigen Leben vieles durchlebt, was uns noch bevorsteht. Vielleicht wird es bei uns Generationen dauern, bis wir aus aller Verunsicherung und nach zahlreichen Irrwegen den wahren Weg finden: den Weg zu Gott. Du hast diesen Weg gefunden, und so glaube ich, daß dein Tod am 15. Mai 1907 nur eine Vertiefung deiner Gebete und Betrachtungen war. Da du jetzt sicherlich im Himmel bist, habe ich nur eine Bitte an dich: Hilf doch von dort unserer so verirrten und verblendeten Generation.

 

Georg Alois Oblinger ist katholischer Pfarrer im Bistum Augsburg.


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