© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/07 11. Mai 2007

Unsere Lebensweise radikal umbauen
Umweltpolitik: Der Kieler Meteorologe Mojib Latif widerspricht den Skeptikern des weltweiten Klimawandels energisch
Claus-M. Wolfschlag

Die Veränderung des Weltklimas durchzieht derzeit Medien und politische Gremien. Das Umweltbündnis "Frische Luft am Main" (Freie Wähler, ÖDP, Tierschutzpartei) hatte deshalb vorige Woche den Experten Mojib Latif (JF 31-32/01) zu dem Vortrag "Bringen wir das Klima aus dem Takt?" nach Frankfurt am Main eingeladen. Daß sich das Klima wandele, sei durch die Messungen schlicht nicht zu leugnen, erklärte der Meteorologieprofessor von der Universität Kiel. Die Problematik werde auch von Kritikern der CO2-These nicht in Abrede gestellt. Seit vielen Jahren werden Resultate beobachtet, die zeigen, daß ab 1950 "Vollgas" gegeben wurde. "Das Schlimmste ist", konstatierte Latif, "daß ich recht hatte."

Daß nun Meinungen von Klimawandel-Skeptikern, die der Sonne oder Kuhausdünstungen die Schuld an den Veränderungen geben, durch die Medien geistern, sah Latif gelassen: "Das sind uralte, nicht stichhaltige Argumente, die nur in Zeitungsspalten auftauchten, aber nicht in der wissenschaftlichen Fachliteratur zur offenen Diskussion gestellt werden." Viele Journalisten seien abgestoßen von der gegenwärtigen Nutzung des Themas in Boulevardmedien und gäben deshalb zweifelhaften Gegenthesen ein Forum, das sei aber "wissenschaftlich lächerlich".

Um den Ausstoß von Treibhausgasen in die Atmosphäre zu verringern, böte sich der Ausbau der Kernkraft an. Doch das schaffe Sicherheitsrisiken. Die sicherste Lösung zur Verringerung des CO2-Ausstoßes sei daher der Ausbau erneuerbarer Energien und alternativer Antriebe. Hier existierten große Sparpotentiale, die in den nächsten 20 Jahren die Emissionen massiv verringern könnten. Denn es sei bereits "Fünf nach zwölf": Selbst bei einem utopischen sofortigen Totalstopp des CO2-Ausstoßes würde sich der Klimawandel noch 30 Jahre fortsetzen.

Lösungsansätze müßten nach Latifs Meinung von politischen Persönlichkeiten und Experten vorangetrieben werden. Würde beispielsweise der US-Präsident ernst machen mit dem Klimaschutz, hätte dies globale Auswirkungen. Denn der Einzelne könne allenfalls durch seine persönliche Lebensführung und Nachfrage von ökologischen Produkten einen gewissen Druck auf die Wirtschaft ausüben.

Zum Vorreiter der nächsten Energierevolution werden

Alle Fakten seien der Politik längst bekannt, erklärte Latif, doch es werden keine deutlichen Maßnahmen jenseits von kosmetischen Korrekturen ergriffen. Das Thema wird zu verdrängen versucht, weil "wir eigentlich gar nichts ändern wollen". Geld sei genug vorhanden, doch die träge Gesellschaft ziehe das Beharren auf dem Status quo vor - auf Kosten von Menschen in anderen Erdteilen und kommender Generationen. Änderungen ständen auch mächtige Wirtschaftsinteressen von Konzernen entgegen, vor allem der hochprofitablen Energieindustrie, die Druck auf die Politik ausüben. "Der Westen muß mit dem Klimaschutz selbst anfangen. Jeder Deutsche stößt heute noch ein Vielfaches an CO2 aus, verbraucht viel mehr Energie als etwa ein Chinese oder Inder", erläuterte Latif. Erst wenn die eigene Glaubwürdigkeit sichergestellt ist, kann man auch Vorbild für einen Dominoeffekt in den Länder der "Dritten Welt" werden. Zum Vorreiter der "nächsten Energierevolution" zu werden, böte der deutschen Wirtschaft zudem ungeahnte Wettbewerbsvorteile.

Immer wieder kam es angesichts dieser Lage aus dem Publikum zu verärgerten Wortmeldungen, die bemerkten, daß ein kapitalistisches, auf stetes Wachstum ausgerichtetes System sich nicht verändern kann. Doch "wir müssen unsere Weltwirtschaft, unsere Lebensweise radikal umbauen", entgegnete Latif. Man könne den hohen Lebensstandard erhalten, wenn man nun die Weichen stelle. Hierzu wäre, so Latif, eine Wertediskussion nötig. Diese müßte fragen, ob es Reichtum auch jenseits von Waren und Konsum gibt: ob es unverzichtbar ist, jährlich nach Südostasien in den Urlaub zu fliegen, einen Geländewagen zu fahren oder Äpfel aus Neuseeland zu essen.

Mojib Latif: Herausforderung Klimawandel. Was wir jetzt tun müssen. Heyne Verlag, München 2007, broschiert, 160 Seiten, 7,95 Euro


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