© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/07 11. Mai 2007

"Rettet wenigstens die ersten drei Jahre"
Bevölkerungspolitik: Das Familiennetzwerk diskutierte in Frankfurt am Main mit Wissenschaftlern über die Risiken von Kinderkrippen
Anni Mursula

Seit über einem Jahr wird in der Öffentlichkeit heftig über Kinderkrippen gestritten. Mütter müßten in einer modernen Gesellschaft frei wählen können, ob sie arbeiten oder nicht, betont Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) immer wieder. Doch Kritiker werfen ihr vor, genau das Gegenteil zu bewirken: Elterngeld sei nur ein vorübergehender Lohnersatz für Berufstätige. Am besten sollten die Kinder bereits nach einem Jahr in die Krippen abgeschoben werden - und die Mütter wieder ihren Teil zur Volkswirtschaft beitragen. Und darin erschöpfe sich das "Wahlrecht": Mütter müßten eine Karriere als Lebenskonzept wählen, um von der Gesellschaft anerkannt zu werden. Das Wohl der Kinder dagegen komme weiterhin erst an zweiter Stelle.

"Weniger Staat - mehr Eltern": Unter diesem Motto kamen am vergangenen Samstag etwa vierhundert Kritiker der Familienpolitik der Bundesregierung in einem Hörsaal der Frankfurter Universität zusammen. Eingeladen zum internationalen Familienkongreß hatte das 2005 gegründete und deutschlandweit agierende Familiennetzwerk (JF 22/06), welches bereits sechzig Partnerorganisationen verbindet, von denen einige bis zu 30.000 Mitglieder zählen.

Das Netzwerk steht eigenen Angaben zufolge für echte Wahlfreiheit und Kindeswohl. Deshalb fordert es, daß Eltern, die von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen und mit ihrem Kind zu Hause bleiben wollen, nicht länger von der Gesellschaft diskriminiert werden dürfen. Doch Kritiker, vor allem von linker Seite, werfen dem Netzwerk vor, den Müttern ebenfalls nur eine scheinbare Wahlfreiheit vorzutäuschen. Schließlich propagierten die Familienrechtler, daß Krippenkinder massiv unter "Mutterentbehrung" litten. Und daraus sei nur zu folgern, daß es schon am besten sei, wenn sich die Mutter für das Zuhausebleiben entscheide.

Die Vorsitzende des Familiennetzwerkes, Maria Steuer, verteidigte sich auf der Tagung gegen solche Vorwürfe. "Wir als Netzwerk schreiben keinem etwas vor. Schließlich sind wir ein Zusammenschluß verschiedenster Organisationen, die aber ein gemeinsames Ziel haben: Wir sind sowohl für das Kindeswohl als auch für die Wahlfreiheit der Eltern." Es sei wichtig, daß Eltern über die psychischen und physischen Risiken frühkindlicher Fremdbetreuung aufgeklärt würden, ganz gleich, wie sie sich letztendlich entschieden. Momentan tue die Regierung allerdings so, als ob Krippen gut für das Kind wären. "Seit Monaten schon gibt es in der Politik die Tendenz, Eltern offen ihre Rechte zu entziehen - und komischerweise machen die meisten Medien unkritisch mit", sagte der Kinderarzt und -psychiater Johannes Pechstein in seinem Tagungsbeitrag. "Deshalb müssen wir die Eltern ermutigen, mißtrauisch und wachsam gegenüber dem Tun des Staates zu sein."

Der Kongreß bot acht Beiträge zum Thema "Was brauchen Kleinstkinder?". Eingeladen waren neben deutschen Wissenschaftlern wie Theodor Hellbrügge auch international renommierte Kinderforscher aus England, Kanada und Australien. Sie alle waren in ihren Untersuchungen zum gleichen Ergebnis gekommen: Kleinkinder tragen bei zu früher Trennung von ihren Eltern lebenslange Folgeschäden.

Die Haltung der Bundesregierung trage laut Familiennetzwerk zu einem erhöhten Minderwertigkeitsgefühl der Eltern bei, die zu Hause bleiben wollen. Denn schließlich lasse sich ihre Arbeit nicht mit einem direkten Gegenwert in Geld aufrechnen.

"Es gibt heute kaum Mütter und Väter, die ohne schlechtes Gewissen rumlaufen", war die Aussage der neunfachen Mutter und bekanntesten Familienexpertin Schwedens, Anna Wahlgren, die ebenfalls nach Frankfurt gekommen war. Die Bestsellerautorin plädierte mit ihrem Vortrag "Rettet wenigstens die ersten drei Jahre" für einen Schutz der besonderen Beziehung zwischen Kleinkind und Mutter.

In ihrem Beitrag kritisierte sie die moderne Gesellschaft, in der das Kinderkriegen nicht mehr in einem größeren Zusammenhang stehe, sondern zum Ausnahmezustand geworden sei. Deshalb entstehe zu Hause während der Elternzeit eine Art "künstliche Welt", die meistens zur Frustration der Eltern führe. Auch die Grundlage eines echten familiären Zusammenseins sei heute längst verlorengegangen. Diejenigen, die in dieser Gesellschaft nicht gebraucht werden, würden einfach weggeschoben: alte Menschen in Altenheime, Kinder "bis zum späteren Gebrauch" auf "Kinderparkplätze", wie sie die Krippen nennt.

Ebenfalls anwesend war die ehemalige Tagesschau-Sprecherin Eva Herman, die eng mit dem Familiennetzwerk zusammenarbeitet. Sie plädierte für "ein Leben mit Kindern, nicht trotz Kindern". Sie freue sich deshalb über den Wirbel, den ihr Buch "Das Eva-Prinzip" im vergangenen Jahr verursacht habe (JF 41/06). Schließlich könne nur so endlich über die Probleme geredet werden. "Ich habe nie gesagt, die Frau müsse zurück an den Herd", sagte Herman. "Mir ging es immer um das Wohl der Kinder. Heute spricht man in der Öffentlichkeit ja nur noch über das Wohl der Frau und ihre Selbstverwirklichung."

Im Laufe ihrer Karriere habe sie zunehmend männliche Eigenschaften angenommen, um in der Arbeitswelt konkurrieren zu können. Als sie dann schwanger wurde, fehlten ihr die weiblichen Kompetenzen: Es war einfacher für sie, wieder arbeiten zu gehen, als zu Hause zu bleiben. "Ich frage mich, wie eine Gesellschaft sich verändern wird, in der die Hälfte der Frauen die Erfahrung von Kinderkriegen nicht mehr macht - und in der zunehmend nur männliche Qualitäten gefragt sind", gab Herman abschließend zu bedenken.

Informationen zum Familiennetzwerk im Internet: www.familie-ist-zukunft.de 

Foto: Moderator Jürgen Liminski mit Eva Herman: "Mir ging es immer um das Wohl der Kinder"


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