© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/07 04. Mai 2007

Aus Schutt und Asche auferstanden
Wiedererwachte höfische Pracht: Die rekonstruierten Prunkräume des Mannheimer Schlosses stehen Besuchern offen
Matthias Schultz

Auferstanden aus Ruinen - und der Vergangenheit sich stets bewußt. Oder wie es die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten in Baden-Württemberg etwas zärtlicher bewirbt: "Wachgeküsst! Mannheim hat sein Schloß wieder."

Die Renaissance des monumentalen Barockbaus und seiner nach siebenjähriger Bauphase wiedereröffneten Prunkräume in der Beletage sind ein sichtbares Zeichen für eine Rückbesinnung und vor allen Dingen eine allmählich auch einsetzende Aussöhnung mit der deutschen Geschichte. Und ein Fanal für die Wiedererrichtung des im Krieg weitgehend zerstörten und ausgebrannten und 1950 auf Geheiß Walter Ulbrichts gesprengte Berliner Schlosses.

So wollte auch die Bevölkerung in Braunschweig ihr 1960 abgerissenes Stadtschloß wiederhaben - und hat es nun zumindest in seiner äußeren Form und trotz vieler Widerstände endlich bekommen. Obwohl nur noch die wenigsten sich an das Original überhaupt erinnern können.

Schmerzliche Lücken im Stadtbild werden Jahrzehnte später geschlossen. Narben bleiben, das Neue kann, so wie die wiedererrichtete Frauenkirche zu Dresden, das Original nicht nahtlos ersetzen, aber den Willen manifestieren, Identität zurückzuholen.

Selbst in Königsberg merkt mittlerweile die dritte Nachkriegsgeneration der russischen Einwanderer, daß ohne Relikte und Symbole der Geschichte keine gesicherte Grundlage für die Identifikation mit einem Ort existieren kann.

Die in den letzten Jahren zunehmende Bereitschaft für eine Rekonstruktion höfischer Architektur ist somit auch eine klare Absage an die rabiaten und rücksichtslosen Umdeutungs- und Negationsversuche von Sozialismus und Kommunismus und die verheerende Arbeit ihrer Sprengkommandos. 

 

Über zweihundert Jahre lang bildete das Mannheimer Schloß den Mittel- und Höhepunkt der ehemaligen großherzoglichen Residenzstadt am Rhein. Dann kam der Zweite Weltkrieg und legte es in Schutt und Asche. Eines der herausragenden Kulturgüter im Südwesten Deutschlands wurde fast restlos vernichtet. Nur noch die Außenmauern blieben stehen und ganz wenige Gemächer wie das Bibliotheks- und Gartenkabinett im Erdgeschoß intakt. Sie bildeten die Grundlage für den Wiederaufbau. Doch wurde ab 1947 lediglich die äußere Hülle wiederhergestellt. Die Vollendung der originalgetreuen Rekonstruktion der wichtigsten Innenräume blieb hingegen die Aufgabe der letzten sieben Jahre.

Im Frühjahr wurden die Prunkräume im ersten Obergeschoß oder der "Beletage" des Mittelbaus wiedereröffnet. Fünf Millionen Euro sind alleine in ihre Wiederherstellung und Ausstattung geflossen. Jetzt kann der Besucher wieder das Gefühl erleben, wie es einst die Gäste von Großherzögen und Kurfürsten befiel, wenn sie zu Hofe geladen wurden. Überquert man den riesigen und noch immer im Baustellenstadium befindlichen Ehrenhof, der für drei Millionen Euro neu gepflastert wird, so gelangt man mit dem Mittelpavillon zum Herzstück und einstigen Zentrum der Macht.

Kurfürst Carl Philipp von der Pfalz beschloß nämlich im Jahre 1720, seine Residenz in das erst ein Jahrhundert vorher und wie auf dem Reißbrett geplante Mannheim zu verlegen, weil es an den steilen Hängen Heidelbergs nicht genügend Platz gab für ein solch gigantisch großes Bauwerk mit einer Ausdehnung von 450 Metern Länge - zuzüglich Nebengebäuden und Parkanlage. Außerdem boten die Mauern der Festung Schutz.

Da der Fürst mit dem Oppenheimerschen Haus am Markt nur ein "Notquartier" nahe der Baustelle bewohnen konnte, blieb die Sommerresidenz Schwetzingen zunächst sein bevorzugter Aufenthalt. 1731 konnte er dann endlich einziehen, es standen die drei Flügel um den Ehrenhof sowie die Schloßkirche. Doch die Kassen waren leer. Erst nach dem Ende des Polnischen Erbfolgekriegs im Jahre 1736 ging es mit den Bauarbeiten weiter.

Aber die Vollendung des Mammutprojektes erlebte erst sein Nachfolger Carl Theodor. Er verpflichtete mit Nicolas de Pigage einen der bekanntesten Architekten des Barock. Unter dem luxusliebenden Großneffen des ohne legitime männliche Erben gebliebenen Carl Philipp erlebte das Schloß dann seine glanzvollste Zeit. Aber auch die Stadt profitierte von dem neuen Regenten. Er gründete eine Maler- und Künstlerakademie, eine Gesellschaft zur Förderung der deutschsprachigen Bühne sowie das Nationaltheater.

Mannheim war in dieser Zeit auch das Mekka der Musik, selbst Mozart machte hier Station. 1777 verließ Carl Theodor allerdings die Stadt, weil er das kurfürstliche Erbe in München übernahm, und nahm damals auch gleich noch den Großteil der Schloßausstattung mit.

Mannheim war das Mekka der Musik, auch Mozart kam

Nach seinem Tode und der Neuordnung Europas durch Napoleon Bonaparte kam die Kurpfalz, und somit auch Mannheim, 1802 an Baden, und Erbprinz Karl wurde aus politischen Gründen mit Stephanie de Beauharnais, der Nichte und Adoptivtochter Napoleons, verheiratet. Da sich die beiden allerdings überhaupt nicht ausstehen konnten, lebte er in Karlsruhe und sie in Mannheim. 1818 starb Karl, und Stephanie blieb bis zu ihrem eigenen Tode 1860 auf dem Schloß.

Danach zog unter anderem die Rheinschiffahrtskommission ein, um die Jahrhundertwende wurde der Bau umfassend saniert, nach der Abdankung des letzten Großherzogs Friedrich II. dann das Schloß Eigentum des Staates Baden und ab 1926 schließlich Museum. Heute hingegen beherbergt es in seinen weitesten Teilen die Universität.

Im Mittelteil allerdings ist jetzt wieder einstige höfische Pracht auferstanden. Denn betritt man das zu den größten deutschen Zeremonialtreppen zählende Treppenhaus, so beeindruckt nicht nur seine sich über alle drei Etagen offen erstreckende weite, weiße Halle. Vor allen Dingen die mit drei Gemälden und ursprünglich 1730 vom bedeutenden Münchner Maler Cosmas Damian Asam mit Szenen aus der "Aeneis" von Vergil ausgemalte Decke besticht auch heute noch in ihrer bereits 1956 von Carolus Vocke rekonstruierten Fassung. Unter ihnen empfing einst der Regent seine wichtigsten Gäste. Und je weiter er ihnen auf der Treppe entgegenkam, desto bedeutender war der Besuch. Anschließend geleitete er die Herrschaften in den zentralen Ritter- oder Marmorsaal, der die beiden Raumfluchten, die Enfiladen, der Beletage verbindet: ein 24 mal 15 Meter großer Raum, in dem eine lange Reihe von Ahnenporträts auf die Lebenden herabschaut und den Machtanspruch des Hauses unterstreichen sollte. In den Ecken gegenüber der Fensterfront stehen außerdem die beiden von Peter Anton von Verschaffelt 1758 geschaffenen Marmorstatuen von Kurfürst Carl Theodor und seiner Gattin Elisabeth Augusta.

Schwarzweiß-Fotos von 1897 waren die größte Hilfe

Vergleicht man das heute sich darbietende Bild mit einer Aufnahme von 1945, auf der lediglich noch Reste des üppigen Stucks und Marmors an den ausgebrannten Außenmauern zu erkennen sind, so wird deutlich, wieviel Aufwand und Recherche für die Rekonstruktion vonnöten war. Schwarzweiße Fotografien aus dem Jahre 1897 waren überhaupt die größte Hilfe bei dieser Aufgabe. Daher entschied man sich auch weitgehend für diesen Zustand, statt der Verlockung nachzugeben, aus jeder Zeit das Bestmögliche herauszusuchen. Außerdem gaben Inventarbücher Aufschluß über die Möblierung und für das Musikzimmer ein Aquarell Pieter Francis Peters aus dem Jahre 1842.

So sind im wesentlichen jetzt zwei Epochen in den rekonstruierten Prunk­räumen anzutreffen: Im Ostflügel die Zeit um 1820, also das Empire Stephanies, sowie im Westteil die Ausstattung von 1888, also eine historistische Neuauflage des Klassizismus. Außerdem bestimmt noch in entscheidenden architektonischen Elementen das Barock der Zeit Carl Theodors die Erscheinung der mit rund 500 Möbeln wieder eingerichteten Räume. Wertvolle Stücke, die aufgrund der zeitlichen Konzentration auf das 18. und 19. Jahrhundert als stilistisch eher irritierend empfunden worden wären, kamen hingen ins Museum im Erdgeschoß.

Im Thronsaal, dem Herzstück wiederum des "Kaiserlichen Quartiers", steht sogar noch der originale Thronsessel unter einem allerdings nachgebildeten Baldachin und neben flankierenden Säulen. Seine Wände schmücken Tapisserien aus der Jason-und-Medea-Folge so wie auch die des benachbarten Coursaals.

Nachgebildet werden mußte hingegen eines der kuriosesten Möbel des Schlosses: der "Mannheimer Knochen". Ein konvex geschwungener, langer Tisch mit 16 Beinen in eben jener charakteristischen Form. Er stand einst in der Bibliothek, sein Nachfolger hingegen im heute eher schlichten Trabantensaal, dessen Deckenstuck allerdings schon der berühmteste barocke deutsche Architekten Balthasar Neumann lobte und der bereits 1969 von Volker Dursy anhand von Abgüssen wiederhergestellt worden ist.

Original hingegen ist auch noch die sechs Meter lange Empire-Tafel im ersten Vorzimmer des "Kaiserlichen Quartiers" mit einer 130teiligen Silbertafel sowie die Prunkuhr mit Barometer im Großen Kabinett vom Pariser Möbeltischler André-Charles Boulle, der durch seine erlesenen Marketerien bekannt wurde. Doch hat man bei der - wenn auch wegen der fehlenden Detailüberlieferung nur vereinfachten - Rekonstruktion der Räumlichkeiten durchaus den Bruch in der Geschichte, auch Schäden und vorige Zustände sichtbar gelassen. Denn wer genau hinschaut, entdeckt im Gelben und Blauen Salon durchaus in einigen Abschnitten geschwärzte, beschädigte und eben noch barocke Kranzgesimse, die sich unter den bereits klassizistischen Überformungen fanden.

Das Barockschloß Mannheim kann täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr besichtigt werden. Der Eintritt kostet 5 Euro, ermäßigt 2,50 Euro. Mit Führung: 7 Euro bzw. 3,50 Euro. Weitere Infos im Internet unter www.schloesser-und-gaerten.de 

Fotos: Thronsaal: Originaler Thronsessel, nachgebildeter Baldachin; Rittersaal: Der Machtanspruch des Fürstenhauses; Blauer Salon: Wer genau hinschaut, entdeckt alte Schäden; Treppenhaus: Hier empfing der Regent wichtige Gäste; Ehrenhof: Jetzt kann jedermann das Gefühl erleben, wie es einst die Gäste von Großherzögen und Kurfürsten befiel, wenn sie zu Hofe geladen wurden


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