© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/07 04. Mai 2007

Die gefährliche Angst vor der Technik
Bildungspolitik: Der Akademikernachwuchs studiert am Arbeitsmarkt vorbei / Zu wenig deutsche Ingenieure
Michael Weis

Deutschland ist nach wie vor Exportweltmeister und überall für Qualität "made in Germany" bekannt. Gerade in den Hochtechnologiesektoren und vielen Spezialbranchen belegen deutsche Produkte im internationalen Vergleich die vordersten Plätze. Dies könnte sich jedoch angesichts eines bereits heute akuten Fachkräftemangels bald ändern.

Wie eine aktuelle Untersuchung des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) unlängst offenlegte, entging der deutschen Volkswirtschaft im vergangenen Jahr eine Wertschöpfung in Höhe von knapp 3,5 Milliarden Euro - der Grund: Ingenieurmangel. Das IW bezifferte die 2006 nicht zu besetzenden Ingenieursstellen in Deutschland mit 48.000.

Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) schätzt die Zahl der offenen Ingenieursstellen 2006 auf durchschnittlich 23.000 pro Monat. Das entspricht einer Steigerung von 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr - das dürfte daher auch ein Thema auf dem 23. Deutscher Ingenieurtag sein, der vom 7. bis 9. Mai in Mannheim stattfindet.

Ähnlich sieht es in der Informationstechnologie aus. So beklagt der Branchenverband Bitkom 20.000 offene Stellen für Softwareentwickler oder IT-Berater. Deren Nichtbesetzung habe dazu geführt, daß bereits jedes zweite Unternehmen der Branche seine Arbeitsmöglichkeiten beeinträchtigt sieht.

Doch obwohl das Problem des Fachkräftemangels schon seit längerer Zeit bekannt ist und die Auswirkungen nicht erst jetzt zutage treten, fehlt es in jedweder Hinsicht an zukunftsfähigen Lösungskonzepten der Politik, um zu verhindern, daß auch zukünftig Hochschüler am Arbeitsmarkt vorbei studieren. Anstelle einer umfassenden Kraftanstrengung zur Unterstützung der geschwächten Industrien wird bislang lediglich über spezielle Fraueninformationstage ("Girls' Day") versucht, mehr Frauen für technische Berufe zu begeistern, anstatt alle jungen Menschen gleichermaßen zu motivieren und interessieren.

Mehr für Technik und Naturwissenschaft begeistern

Einer Studie des Hochschul-Informations-Systems (HIS) zufolge planen lediglich sechs Prozent der aktuellen Abiturienten ein Maschinenbau- oder Medizinstudium. Mathematik oder Informatik interessiert sogar nur vier Prozent, und lediglich zwei Prozent beabsichtigen, ein Physik- oder Elektrotechnik-Studium aufzunehmen. Statt dessen möchten die Schüler eher Manager oder Lehrer werden - obwohl ihnen als Ingenieur oder Mathematiker ein roter Teppich ausgerollt würde.

Der Grund dafür ist, daß sich die Studierenden trotz anhaltend positiver Arbeitsmarktsignale für nahezu alle Naturwissenschaftler lieber nach individuellen Neigungen und Interessen als nach dem Arbeitsmarkt richten. Dies kann zwar sicherlich den jungen Menschen nicht vorgehalten werden - schließlich stieg die Arbeitslosenquote für Akademiker selbst in Krisenzeiten selten über fünf Prozent - der Arbeitsmarkt und die Wirtschaft werden so jedoch in sträflicher Weise im Stich gelassen.

Verschärft wird die Situation darüber hinaus durch die hohe Zahl (fast 30 Prozent) derer, die dann noch das Naturwissenschaftsstudium abbrechen oder aber nach Beendigung der Ausbildung ins Ausland abwandern. In anderen Ländern erwarten viele Akademiker schließlich oftmals höhere Löhne und bessere Akzeptanz. Hinzu kommen in Deutschland arbeitserschwerende, ideologisch motivierte und fortschrittsfeindliche Restriktionen etwa in den Bereichen der Kernforschung oder Bio- und Gentechnik.

"Wenn es uns nicht gelingt, mehr junge Menschen für naturwissenschaftliche Fächer zu begeistern, bekommen wir einen riesigen Engpaß", klagte kürzlich der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Ludwig Georg Braun, in der Welt. "Kinder müßten frühzeitig und kontinuierlich mit techniknahen Fächern in Berührung kommen." Darum müßten Kinder schon in der Grundschule mit spannenden Versuchen und Praktika an Naturphänomene herangeführt werden.

Damit spricht er vielen Bildungsforschern aus der Seele. Diese fordern nämlich schon seit Jahren neue Methoden bei der Vermittlung naturwissenschaftlicher und mathematischer Fächer. An die Stelle abstrakter, lebensferner Formeln müßte noch viel stärker lebensnaher Anschauungsunterricht treten, so die Bildungsexperten. Anschauliche Experimente und reale Erfahrungen, die in der Folge erst zu mathematischen Beschreibungen führen, motivierten viel mehr zu eingehender Beschäftigung mit einem Fach als stupide-frontale Wissensvermittlung.

Doch auch wenn das Problem des Fachkräftemangels endlich umfassend öffentlich diskutiert würde und die kommenden Generationen besser und im Sinne der Bildungswissenschaftler an die Naturwissenschaften herangeführt würden, wäre damit der akute Fachkräftemangel nicht gelöst. Dieser könnte in seiner fatalen Wirkung nur durch bessere Rahmenbedingungen für Forschung und Industrie gemildert werden.

Die VDI-Initiative " Jugend und Technik" im Internet: www.vdi-jutec.de


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