© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/07 04. Mai 2007

Juristische Säuberungen
Polen: Neuer Gesetzentwurf gegen deutsche Eigentumsansprüche / Umfassende Prüfung aller Grundbücher
Martin Schmidt

Schon wieder ist Unruhe in den deutsch-polnischen Beziehungen. Anlaß sind Presseberichte über Ängste in Masuren, im Oppelner Schlesien oder in anderen einst preußischen Provinzen angesichts fortbestehender Eigentumsansprüche deutscher Alteigentümer. Der polnische Senat will diesen Ansprüchen nun per Gesetz die Basis entziehen, indem alle noch in den Grundbüchern festgeschriebenen Alteigentümer gelöscht werden sollen. Statt dessen möchte man die Grundstücke dem polnischen Finanzministerium übertragen und so verhindern, daß sich etwaige Kläger auf die bisherigen Eintragungen berufen können.

In dem zur weiteren Beratung anstehenden Gesetzentwurf ist von einer umfassenden Prüfung aller Grundbücher durch die kommunalen Behörden bis Ende März 2008 die Rede. Zu den wichtigsten Vorkämpfern der Novelle gehört die Senatorin Dorota Arciszewska-Mielewczyk. Die aus Gdingen (Gdynia) stammende 39jährige ist (wie Staatspräsident Lech Kaczyński) Mitglied der sozial-konservativen Regierungspartei PiS und zugleich Gründerin der Polnischen Treuhand (Powiernictwo Polskie), dem Gegenstück zur Preußischen Treuhand in Deutschland, die Ende 2006 die ersten 22 Rückgabeklagen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einreichte.

Einzelne polnische Gerichte haben unter Verweis auf die Grundbücher bereits Entscheidungen zugunsten deutscher Enteignungsopfer getroffen - zuletzt im Fall der Anfang der in den siebziger Jahren aus Masuren ausgesiedelten Agnes Trawny, die den großbäuerlichen Besitz ihres Vaters in Narthen (Narty) im Kreis Neidenburg (Nidzica) zugesprochen bekam (JF 13/07). Allein in der Wojewodschaft Ermland/Masuren laufen derzeit 40 vergleichbare Prozesse. Nachdem die Grundbücher lange kaum Beachtung fanden und zu kommunistischen Zeiten ohnehin sehr vieles verstaatlicht war, erfahren sie mittlerweile eine starke öffentliche Aufmerksamkeit. Vor allem die einflußreiche national-chauvinistische polnische Rechtspresse bauscht die durch nationale wie internationale juristische Normen erzwungene zögerliche Rückgabepraxis zu einem großflächigen Ausverkauf auf.

Der polnische Professor und Schriftsteller Stefan Chwin wies einem taz-Beitrag auf bemerkenswerte Entwicklungen in seiner Geburtsstadt Danzig hin: "In den Köpfen der heutigen Bewohner von Gdańsk trennt eine unsichtbare Grenze immer noch das Gebiet der ehemaligen Freistadt von den polnischen Vorkriegsgebieten. Die Polen, die in einer Wohnung im Zentrum von Gdańsk leben, sagen zu denen, die 'jenseits der Grenze' wohnen, also in Gdynia: 'Du hast es geschafft, dein Grundbuch ist sauber.' Diejenigen, die im Gebiet der ehemaligen Freistadt leben, haben keine sauberen Grundbücher. Jeden Augenblick kann ihnen jemand aus Deutschland ein Papier schicken, daß das Haus, in dem sie leben, deutsche Erben hat. Und solche Schriftstücke schickt immer mal wieder jemand. Das hat Einfluß auf den Immobilienmarkt. Grundstücke 'jenseits der Grenze', in den polnischen Vorkriegsgebieten, erzielen einen höheren Preis als Grundstücke mit einem 'schlechten' Grundbuch im ehemaligen deutschen Gebiet."

Versöhnungsprozeß darf keine Einbahnstraße sein

Derartige Stimmungsbilder werfen Fragen auf: Sind sich die betroffenen Polen bewußt, daß es hier altes Unrecht gibt, dessen Aufarbeitung - nicht unbedingt im Sinne einer Eigentumsrestitution - längst überfällig ist? Oder reagieren sie auf der Grundlage der veröffentlichten Meinung und der Regierungsansichten mit Selbstmitleid und antideutschen Ressentiments?

Mehrheitlich trifft zweifellos letzteres zu, obwohl die Einstellung gegenüber den Deutschen gerade in den Oder-Neiße-Gebieten tatsächlich freundlicher ist, als es die Medienberichte auf beiden Seiten der Grenze vermuten lassen. Auch Chwin, dessen Vater aus dem bis 1939 polnischen Wilna (Wilno/Vilnius) vertrieben wurde, zieht aus der schwierigen Lage die falschen Schlüsse, wenn er schreibt: "Aus polnischer (...) Perspektive sieht es so aus, als ob die Deutschen es trotz freundlicher Gesten vorziehen, die Tür zu den rechtlichen Fragen der Eigentumsverhältnisse einen Spalt weit offen zu lassen. Ich hätte es lieber, wenn diese Tür verschlossen wäre." Daß Chwin, der 1949 geborene Verfasser des Vertreibungsromans "Tod in Danzig" (Rowohlt 1999), den Deutschen zutraut, sie könnten mit Blick auf die Eigentumsfrage im Osten ein falsches Spiel treiben, verbindet ihn mit so manchem Beobachter aus anders gearteten Nationalkulturen. Das völlige Desinteresse der in der Bundesrepublik herrschenden politischen Klasse und weiter Teile der Bevölkerung an dieser Problematik ist für Chwin ebenso unvorstellbar wie deren Konfliktscheu und das bedingungslose Buhlen um Zuneigung im Ausland.

Die nächstliegende Möglichkeit zur Entkrampfung der deutsch-polnischen Beziehungen liegt offenbar außerhalb der Vorstellungswelt Chwins: nämlich die Anerkennung des unermeßlichen materiellen und vor allem immateriellen Verlusts, den Deutschland durch die "ethnische Säuberung" seiner Ostgebiete erlitten hat. Würde dieser Schmerz für die Heimatvertriebenen und alle geschichtsbewußten Deutschen auch von polnischer Seite endlich mit Gesten der Wiedergutmachung gelindert (ähnlich denen aus Estland, Ungarn, Rumänien oder Kroatien), wäre der Versöhnungsprozeß keine Einbahnstraße mehr, und die Landsmannschaften könnten daran aus tiefstem Herzen mitwirken.

Die Preußische Treuhand im Internet unter: www.preussischetreuhand.de.vu  
Die Polnische Treuhand in Internet unter: www.powiernictwo-polskie.pl  
Senatorin Arciszewska: www.arciszewska.pl  


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