© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/07 04. Mai 2007

"Hinfahren und lernen"
Türkei-Beitritt: Peter Ramsauer plädiert für eine "Entkrampfung" am Verhandlungstisch / Edmund Stoiber als letzter Kritiker aus der Union
Paul Rosen

Wer eine Reise unternimmt, kann bekanntlich was berichten. Wenn Politiker das tun, kann es mitunter interessant werden. Für den CSU-Landesgruppenvorsitzenden Peter Ramsauer war sein in der parlamentarischen Osterpause unternommener Besuch in der Türkei offenbar besonders spannend. Zurück in Berlin, kratzte Ramsauer an einem Dogma in seiner Partei. Er lehnt den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union nicht mehr vollständig ab. Der Vorgang zeigt: In der CSU beginnen sich die ersten Konturen der Nach-Stoiber-Ära abzuzeichnen, in der vielleicht Versuche einer anderen Außenpolitik gewagt werden.

Keine Frage: Ohne Stoibers Ankündigung, Ende September aus allen Ämtern scheiden zu wollen, hätte Ramsauer es nie gewagt, eiserne CSU-Grundsätze in Frage zu stellen. Aber Stoiber ist trotz aller Aktivitäten, Auslandsreisen und Parteiauftritten so etwas wie eine lame duck (lahme Ente) der bayerischen Politik geworden. Die Anrufe oder Drohbriefe aus der Münchener Staatskanzlei haben an Wirksamkeit verloren. Die Zügel beginnen ihm zu entgleiten. Stoiber hatte besonders mit dem Türkei-Thema Politik gemacht und Wahlen gewonnen. Beim Wähler ist die Vorstellung, den Nato-Partner auch noch in der EU zu haben, nicht besonders populär. Stoiber verstand es, das Thema immer wieder in die Schlagzeilen zu bringen und auch die damalige rot-grüne Koalition unter Druck zu setzen.

Wollte die Europäische Union die Beitrittsgespräche mit Ankara zunächst mit dem festen Ziel des Beitritts führen, so setzte Stoiber mit öffentlichem Druck durch, daß die Bundesregierung auf ergebnisoffenen Verhandlungen bestand. Für Stoiber war der Fall klar: Da die Türkei verschiedene wirtschaftliche und politische Kriterien nie erfüllen würde, war der Weg nach Brüssel damit verbaut.

Jede andere Haltung nutzt reformfeindlichen Kräften

Ein Beitritts-Automatismus hatte anderen EU-Kandidaten in die Gemeinschaft verholfen. So wurden Bulgarien und Rumänien aufgenommen, nachdem alle beitrittsrelevanten Punkte in den Verhandlungen abgearbeitet worden waren. Daß beide Länder viele der von Brüssel vorgegebenen Kriterien nicht erfüllten, spielte keine Rolle mehr. Man half sich mit Übergangsfristen, nach denen nach dem vollzogenen Beitritt niemand mehr fragen dürfte.

In der CSU-Diktion galt also der Begriff der "ergebnisoffenen Verhandlungen" als klares Nein, was Stoiber auch regelmäßig deutlich zu machen pflegte, indem er der Türkei eine "privilegierte Partnerschaft" mit Europa anbot und auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel auf diese Linie zwang.

Ramsauer füllte jetzt den Begriff der ergebnisoffenen Verhandlungen mit einem anderen Inhalt. Er plädiere dafür, so der Landesgruppenchef vor Journalisten in Berlin, das Klima zu entkrampfen und "die Verhandlungen ergebnisoffen zu führen". Jede andere Haltung nutze den reformfeindlichen Kräften in der Türkei. Wenn man Ramsauers Äußerungen interpretiert, dann betreibt Stoiber ein Förderprogramm für Islamisten in der Türkei. Natürlich ist aus Ramsauer nach einer Reise nach Ankara und Istanbul noch kein öffentlicher Befürworter eines EU-Beitritts der Türkei geworden. Aber er sei "auch kein Betonkopf", versicherte der Politiker. Seinen Kollegen empfahl er Reisen in die Türkei. Man müsse "hinfahren und lernen".

In der Großen Koalition wird man die Signale aus der Landesgruppe mit großer Erwartung hören. Die SPD hat ohnehin nichts gegen die Türkei in der EU. Auch in der CDU gibt es eine breite Strömung, die die Türkei als Bestandteil Europas sieht. Nur Stoibers ständige Interventionen hielten die Merkel-Truppe noch auf Kurs. Es kann also sein, daß sich die deutsche Haltung nach Stoibers Abschied aus der Politik verändern und weicher werden wird.


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