© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/07 04. Mai 2007

Abdullah Gül
Der leise Islamist
von Günther Deschner

Bis vorige Woche schien es, daß der 11. Präsident der Türkei Abdullah Gül heißen wird. Spätestens im dritten Wahlgang am 9. Mai würden die Stimmen der regierenden islamischen AKP mehr als ausreichen. Doch plötzlich ist alles wieder offen: Nicht nur, daß die linksnationale CHP-Opposition das Verfassungsgericht angerufen hat und der türkische Generalstab vor einer "Islamisierung der Türkei" und damit indirekt vor der Wahl Güls warnte. Unverblümt ließ die laizistische Armeeführung am Sonntag wissen, daß sie der "Aushöhlung des Erbes" von Kemal Atatürk nicht tatenlos zusehen, sondern - wenn nötig - putschen werde.

Dabei galt Gül als Konsens­kandidat. Als Außenminister hatte der 56jährige sich aus der Innenpolitik herausgehalten. Er bewältigte den Spagat, die Türkei an die EU heranzuführen, gleichzeitig aber die Beziehungen zum Iran oder Syrien zu verbessern. Seine Gesprächspartner schätzen an dem verbindlich auftretenden Gül, daß er einen klaren Blick für das Machbare hat, daß er Kompromisse nicht für Niederlagen hält.

Doch wie seine Familie hält er es sehr streng mit der Religion, Güls Frau Hayrünissa trägt demonstrativ Kopftuch. Bereits Güls Vater war für eine Partei des politischen Islam aktiv. Sohn Abdullah klebte mit 19 Plakate für die damalige islamistische Partei, war aktiv im nationalistisch-islamistischen Studentenverband. Später arbeitete er im erzfundamentalistisch-sunnitischen Saudi-Arabien. Ärger mit den türkischen kemalistischen Generälen hat Gül in seinem Amt als Außenminister stets vermieden, er vermittelte lieber im Streit um die Trennung von Staat und Religion.

Gül stammt aus einfachen Verhältnissen. 1950 wurde er im zentralanatolischen Kayseri als Sohn eines kleinen Handwerkers geboren - am 29. Oktober, einem geschichtsträchtigen Datum: Immer wenn er Geburtstag feiert, gedenkt die Türkei der Ausrufung der Republik durch Atatürk. In Istanbul, später in Exeter und London studierte er Volkswirtschaft. Er promovierte und lehrte später an der Universität Sakarya. 1983 wechselte er ins saudiarabische Dschidda an die Islamische Entwicklungsbank. Daher spricht Gül fließend Englisch und Arabisch.

1991 holte ihn Necmettin Erbakan aus Saudi-Arabien zurück. Gül gewann für dessen islamistische Wohlfahrtspartei (RP) in Kayseri ein Direktmandat, zwei Jahre später wurde Gül RP-Vize. Doch der dogmatische Erbakan konnte Gül und seinen Parteifreund Recep Tayyip Erdoğan nicht lange halten. Im August 2001 gründeten die beiden, die sich von Islamisten in Richtung einer muslimischen Demokratie entwickelt hatten, die AKP. Nach deren Wahlsieg durfte Erdoğan wegen eines noch gültigen Politikverbots zunächst nicht Regierungschef werden. Für sechs Monate sprang Gül für ihn ein. Den skeptischen Europäern kündigte Gül an, die AKP-Regierung werde mit ihrem Reformprogramm die EU "ein bißchen schockieren". Jetzt kann es sein, daß ein Schock ganz anderer Art auf die EU zukommt - sollte das Militär wirklich putschen.


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