© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/07 04. Mai 2007

"Nennen Sie ihn einen Märtyrer"
Vor fünf Jahren wurde Pim Fortuyn kurz vor dem Wahlerfolg ermordet - die rechtsdemokratische Wende in den Niederlanden, die zum Vorbild für ganz Europa hätte werden können, enthauptet. Filip Dewinter im Interview
Moritz Schwarz

Pim Fortuyn: "Er konnte Polemik zur Kunst erheben. Getragen war er von einer Überzeugung, von einem Neonationalismus, der ihm allein gehörte, von einer halbreligiösen Berufung: Rebel with a cause. Seine Revolte war in ihrem ganzen Dadaismus geradeaus und gelebt. Zweifeln war nicht erlaubt. Pim Fortuyn wollte ein moderner Populist werden. Eigentlich war er ein altmodischer Patriot. Kein Blut-und-Boden-Held, sondern mehr der Kulturträger einer Geistesmarke: die 'Niederlande'. Der Bürger sollte entkolonisiert und das Land zurückerobert, die Erstarrung des institutionellen und ritualisierten Gemeinwesens geknackt werden. Er wollte wieder fröhliche Bürger am Horizont. Bürger, die Theater machen können. Bürger mit einer großen Schnauze." (Der linksliberale Journalist Hugo Camps in der flämischen Tageszeitung De Morgen, Mai 2002)

Der "Rechtspopulist" Pim Fortuyn war vor fünf Jahren die politische Überraschung in Europa: In einem Sturmlauf von nur neun Monaten schickte sich der Soziologie-Professor der Erasmus-Universität Rotterdam an, Minister zu werden, und brachte die Herrschaft der Political Correctness in Holland komplett zum Einsturz: Im August 2001 hatte er angekündigt, aus Protest gegen Zuwanderung, Islamisierung und das System der politischen Korrektheit in die Politik zu gehen, im Februar gründete er seine Protestbewegung Liste Pim Fortuyn, und schon Anfang Mai sagten ihm alle Umfragen einen überraschenden Erfolg bei den Parlamentswahlen am 15. des Monats voraus. Die demokratische Wende, die zum Vorbild für ganz Europa hätte werden können, verhinderte am 6. Mai 2002 der Linksextremist Volkert van der Graaf, ein radikaler Umweltaktivist, der Fortuyn in Hilversum auf offener Straße mit fünf Kugeln in Kopf und Brust regelrecht hinrichtete. Zwar wurde Fortuyn 2004 per Umfrage postum zum "größten Niederländer aller Zeiten" gewählt, seine Protestpartei zerfiel jedoch, die alten Eliten behielten die Macht.

 

Herr Dewinter, am 6. Mai jährt sich die Ermordung Pim Fortuyns zum fünften Mal. Ein wichtiges Datum nur für die Niederlande oder ebenso für Flandern oder Deutschland - sprich für ganz Europa?

Dewinter: Politisch ist Pim Fortuyn natürlich vor allem für die Niederlande von Bedeutung, symbolisch aber für ganz Europa. Man kann ihn mit Fug und Recht einen "politischen Märtyrer" nennen, da er sein Leben für das Recht auf freie Meinungsäußerung gegeben hat. Denn er war nicht nur von Anfang an den heftigsten Verleumdungen und Angriffen - auch physischer Natur - ausgesetzt und hat doch seinen Kampf unbeirrt fortgesetzt, es ist ihm auch, als einem der ersten in Europa, erfolgreich gelungen, die Political Correctness aufzubrechen und eine breite kritische öffentliche Debatte über die Realität der "multikulturellen Gesellschaft" in Gang zu setzen. Er sagte laut, was viele von uns lange nur leise zu denken wagten. Er ist ein Symbol für die Demokratie und für den Widerstand gegen die Islamisierung unserer Gesellschaften. Ich hatte und habe eine große Ehrfurcht vor Pim Fortuyn!

Wäre Fortuyn nicht erschossen worden, hätte er ohne jeden Zweifel ein wichtiges Ministeramt in den Niederlanden übernommen. Hätte das Einfluß auf andere europäische Länder gehabt?

Dewinter: Es ist schwierig, das zu beurteilen, aber ich glaube schon. Denn es wäre ihm ohne Zweifel gelungen, die Immigrationswelle in seinem Land zu bremsen, die Einbürgerung zu beschleunigen und den radikalen Islam und die Islamisierung zurückzudrängen. Er wäre damit zu einem Vorbild für ganz Europa geworden. Ich bin mir fast sicher, daß das nicht ohne Einfluß auf die Nachbarländer geblieben wäre. Der Mord an ihm hat das aber verhindert. Andererseits wäre er auch mit viel Widerstand konfrontiert worden. Die etablierten Parteien und Kräfte hätten alles unternommen, um ihn weiter zu verleumden und ins Wanken zu bringen.

Heute ist die Debatte zumindest um die "multikulturelle Gesellschaft" und den Islamismus erheblich vorangeschritten: Nicht zuletzt dank des Schocks, den Fortuyns kometenhafter Aufstieg für das Establishment bedeutet hat.

Dewinter: Ja, die Niederlande waren jahrzehntelang das Musterland in Europa für alles, was progressiv und multikulturell war. Das Establishment der Niederlande handelte in dem festen Glauben, daß nichts und niemand imstande sein würde, der Verwirklichung der multikulturellen Traumgesellschaft im Wege zu stehen. Jeder, der eine andere Meinung hatte, wurde als "Rassist" oder noch Schlimmeres bezeichnet. Pim Fortuyn ist es gelungen, dieses Land wachzurütteln und ausgerechnet in diesem "Muster- und Erprobungsbetrieb" des europäischen Establishments auf die Gefahren des Islams hinzuweisen.

Haben die nonkonformistischen Bewegungen in den übrigen Ländern unseres Kontinents die große symbolische Bedeutung Pim Fortuyns für Europa erkannt?

Dewinter: Ich habe deshalb Pim Fortuyn mein letztes veröffentlichtes Buch "Sagen, was sie denken" gewidmet. Auf dem Denkmal Pim Fortuyns in Rotterdam stehen die lateinischen Worte 'Loquendi libertatem custodiamus': 'Laßt uns die Redefreiheit beschützen!' Ein Grundsatz, der für alle Nonkonformisten in Europa mehr als je aktuell ist! Es kann nicht sein, daß jeder, der eine rechte, nationale oder identitäre Auffassung vertritt, auf den medialen Scheiterhaufen gebunden und mit dem 'bürgerlichen Tod' bedroht wird. Bei uns in Belgien ist die Demokratie beeinträchtigt: Wer nicht denkt wie das Establishment, sondern etwa wie der Vlaams Belang, wird unglaubwürdig gemacht, beschimpft und beleidigt, gar mit Berufsverbot bedroht. Die Mitglieder unserer Partei werden sogar aus den Gewerkschaften ausgeschlossen. Trotzdem bleibt es unsere Aufgabe, nicht zuletzt im Andenken an Pim Fortuyn, gegen den Strom zu schwimmen.

Fortuyn unterschied sich allerdings erheblich von Politikern wie Haider, Le Pen oder Umberto Bossi. Könnte man sagen, er war ein Rechtspolitiker "neuen Typs"?

Dewinter: Fortuyn war zweifelsohne ein rechter Politiker, was seine Auffassung über die Zukunft Europas, die Einwanderung, den Islam oder die Sicherheitspolitik betraf. In ethischen Belangen war er allerdings eher eine Progressiver. Man weiß, daß er ein Befürwörter von Euthanasie und der Homosexuellen-Ehe war. Das sind progressive ethische Standpunkte, mit denen ich nicht einverstanden bin. Die rechtsnationalistischen Parteien in Europa sollten jedoch nicht nach dem suchen, was sie trennt, sondern nach dem, was sie verbindet. Ich habe eine Zusammenarbeit mit Fortuyn immer befürwortet, weil es viel mehr gab, das uns verband, als uns voneinander trennte.

Da Fortuyn bei den Wahlen 2002 ohne Zweifel einen großen Erfolg erzielt hätte, war sein Tod nicht nur ein Mord, sondern ein reaktionärer politischer Akt: Der Mord hat Politik gemacht, er hat einen Prozeß demokratischen Wandels zerstört.

Dewinter: Das stimmt, denn seine Partei, die Liste Pim Fortuyn, war zwar dennoch kurz an der Regierung beteiligt, ist aber ohne ihn zersplittert. Ohne seine integrierende Wirkung ist sie infolge interner Streitigkeiten und eines Mangels an politischer Erfahrung gescheitert. Unter Pims politischen Nachfolgern konnte sich allein Geert Wilders bei den letzten Parlamentswahlen in den Niederlanden mehr oder weniger behaupten. Alle anderen seiner - vermeintlichen - Erben sind hinweggefegt worden. Statt dessen haben nun die traditionellen Parteien in den Niederlanden wieder das Sagen. Dennoch ist nicht alles beim Alten geblieben: Die Debatte über die "multikulturelle Gesellschaft" kann in den Niederlanden noch immer in aller Offenheit geführt werden. Das haben weder seine Gegner noch sein Mörder verhindern können - das ist nur Pim Fortuyn zu verdanken!

Aber war denn die Reaktion der europäischen Öffentlichkeit angemessen angesichts der Tatsache, daß hier im "europäischen Musterland der Demokratie" im Stile einer Bananenrepublik Politik gemacht wurde?

Dewinter: Ihre Frage ist berechtigt, schließlich sind politische Morde in Westeuropa - glücklicherweise - unüblich. In den Niederlanden wurde allerdings schon immer eine linksextreme politische Bewegung geduldet, die manchmal sehr gewalttätig war. Ich habe das selbst erlebt: Auf dem Weg zu einem Fernsehsender wurde uns mit Eisenstangen aufgelauert. Das Auto, in dem ich mit einem Freund fuhr, wurde schwer beschädigt, und wir konnten nur knapp der Gewalt entkommen. Später wurde ich im Fernsehstudio während des Interviews mit Schmutz übergossen. Polizei war nicht in Sicht. Diese Art von Gewalt gegen rechte Politiker wurde in den Niederlanden geduldet. Das wußte Pim Fortuyn. Er wurde übrigens mehrmals auf der Straße angegriffen.

Einerseits war der Todesschütze wohl ein Einzeltäter, andererseits wies der damalige Fortuyn-Vize Mat Herben darauf hin, daß die Verleumdungen und die Atmosphäre des Hasses gegen Fortuyn auch ihren Teil dazu beigetragen haben, als der sagte: "Diese Kugeln kamen von links."

Dewinter: Die Gerichtsuntersuchung hat nachgewiesen, daß Volkert van der Graaf alleine handelte. Aber er war wohl ein bekannter linksextremistischer Aktivist. Politische Hintergründe gibt es also schon. Es gab in den Niederlanden ein Klima, in dem es fast als politisch korrekt betrachtet wurde, rechte Politiker anzugreifen. So wurden regelmäßig Versammlungen kleiner rechter Parteien in den Niederlanden gesprengt, und die Polizei ging kaum dagegen vor. Auch nicht wenn wie in einem Fall ein Hotel in Brand gesteckt wurde. Es stimmt schon, daß Pim Fortuyn Opfer dieser schändlichen Duldungspolitik geworden ist.

Auf den Mord an Fortuyn folgte der Zerfall seiner Volksbewegung, die Ermordung des Regisseurs, Islamkritikers und Fortuyn-Verehrers Theo van Gogh 2004 und die stückweise Aufhebung der neuen Politik in puncto Zuwanderung und Integration im Geiste Fortuyns, der sich zunächst auch die etablierten Parteien nicht entziehen konnten. Erleben wir in den Niederlanden das, was man in der Politikwissenschaft einen "roll-back" nennt?

Dewinter: Die Erbschaft Pim Fortuyns ist sicherlich nicht völlig verlorengegangen. Das sehen Sie, wenn Sie zum Vergleich nach Belgien schauen. Bei uns ist im Gegensatz zu den Niederlanden eine ehrliche Debatte über die "multikulturelle Gesellschaft", Einwanderung und Islam absolut unmöglich. Wer nicht mit der politisch korrekten multikulturellen Heilslehre einverstanden ist, wird fast unmittelbar vorgeworfen, ein "Rassist" zu sein und zu "Diskriminierung" und "Fremdenhaß" anzustiften. Wer für ein flämisches Flandern und für die Verteidigung der eigenen Identität und kulturellen Eigenart eintritt, der wird rasch für intolerant gehalten: Gegen den Vlaams Belang ist eine wahre Hetze im Gang! Einziger Trost ist, daß unsere Partei in den letzten Jahrzehnten dennoch von einer kleinen zu einer mittelgroßen Partei mit einer Million Wählern gewachsen ist.

Wahlerfolge erzielen nonkonforme Parteien in verschiedenen Ländern Europas - sie finden sich aber anschließend meist in der Opposition wieder oder werden durch übermächtige Koalitionspartner neutralisiert. Das Besondere am Fall Pim Fortuyn ist, daß er nicht nur vor einer Regierungsbeteiligung stand, sondern dort wohl auch den Ton angegeben hätte!

Dewinter: Die Isolation, die über nonkonforme Parteien verhängt wird, neutralisiert sie in der Tat politisch. Auf dieses Problem muß reagiert werden. Die große Herausforderung der rechtsnationalen Parteien in Europa besteht deshalb darin, Verbündete zu finden, mit denen sie zusammenarbeiten können, um ihre Vorstellungen in die Praxis umzusetzen. Ich trete etwa für Flandern für eine "Forza Flandria" ein: eine Zusammenarbeit zwischen allen politischen Kräften, die unseren politischen Inhalten zugeneigt sind.

Wie sehen Sie also die Zukunft der europäischen nonkonformistischen Bewegungen?

Dewinter: "Wir sind das Volk" war das Motto des aufständischen Volkes in der DDR, das Volk hat damals mit den eigenen Händen die Berliner Mauer niedergerissen! "Wir sind das Volk" zählt nach meinem Empfinden neben "Eigen volk eerst" ("Das eigene Volk zuerst!"), dem Wahlspruch des frühren Vlaams Blok, zu den kräftigsten und deutlichsten politischen Schlachtrufen des vergangenen Jahrhunderts. Dem deutschen Volk gelang es, Leipzig, Berlin und danach Mitteldeutschland und im Grunde ganz Mitteleuropa vom marxistischen Joch zu befreien, indem sie selbst in die Hände spuckten. Nonkonformistische Volksbewegungen sollten sich an dieser vom Volk getragenen Bewegung ein Beispiel nehmen. Der Vlaams Belang darf deshalb keine Partei wie die anderen werden: Man sollte sich als Alternative zu den traditionellen Parteien, nicht als rechter Fortsatz derselben verstehen. Immerhin können wir heute feststellen, daß der Vlaams Belang gemäß diesem Selbstverständnis trotz eines politisch korrekten cordon sanitaire und einer feindlichen Haltung des belgischen Establishment und der Medien zu einer der erfolgreichsten rechtsnationalen Parteien in Europa geworden ist. Die Flamen lassen sich immer weniger vor den Karren des politischen Establishment spannen. Das gibt uns Hoffnung! Moritz Schwarz

 

Filip Dewinter gilt als einer der führenden Rechtspolitiker in Europa. Der Politik- und Sozialwissenschaftler führt die Fraktion des Vlaams Belang (ehemals Vlaams Blok) im Flämischen Parlament in Brüssel. Geboren wurde er 1962 in Brügge.

 

Vlaams Belang: Ist eine der erfolgreichsten und beständigsten Rechtsparteien in Europa. 1979 ging der damals als Vlaams Blok gegründete, 2004 umbenannte Vlaams Belang ("Flämische Sache") aus der seit 1954 bestehenden flämischen Volksunie hervor. Die Partei ist seit 1989 kontinuierlich im Europäischen Parlament vertreten. Zuletzt errang sie bei den Wahlen zum Flämischen Parlament in Brüssel 24,1 Prozent der Stimmen. Sie unterhält traditionell gute Kontakte zu Rechtsparteien in zahlreichen westeuropäischen Ländern.

 

Wer erschoß Pim Fortuyn?:  Diese Frage stellte Filmemacher Theo van Gogh in seinem letzten Film "Der 6. Mai" (2004). Ergebnis: Fortuyn sei Opfer einer Verschwörung geworden. Dafür fand die Polizei keine Beweise. Der Täter erhielt 18 Jahre Haft. Fortuyn wurde 54 Jahre alt.

 

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