© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/07 27. April 2007

Die Wahrheit ist tot
Sloterdijk und die Kunst
Holger von Dobeneck

Das Titelbild ist paradigmatisch für amerikanisches imperatives politisches Handeln. Es zeigt einen B-52 Bomber, der ein rotes Köfferchen abwirft. Das rote Köfferchen soll ein aufblasbares Parlamentsgebäude enthalten, das in Krisenregionen abwerfbar ist. Die Idee stammt von Sloterdijk und zeigt seine abwehrbereite Ironie. Gleichzeitig ist es Programm­ouvertüre für Reflexionen über Kunst, Künstler und das Kunstsystem, die er jedoch in der gewaltigen historische Spannweite vom klassischen Griechenland bis ins Zeitalter der Kasseler Dokumenta beobachtet.

Sloterdijk, seit 1992 Professor für Philosophie und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung in seiner Geburtsstadt Karlsruhe und seit 2001 deren Direktor, denkt stets am Leitfaden Nietzsches und besitzt eine "elaborierte Sprache, die originelle Positions-und Perspektivenwechsel ermöglicht und so zu neuen Einsichten führen kann", wie es zutreffend der Werbetext des Buches zusammenfaßt. Entgegen seinem Buchtitel kommt Sloterdijk zu dem Ergebnis, daß es einen ästhetischen Imperativ gerade nicht geben kann, denn Kunst eröffnet die Möglichkeit zur absoluten Singularität, und das bedeutet, daß der Künstler über ein heterodoxes Wissen verfügt, welches sich dem orthodoxen Mainstream widersetzen will.

Der Künstler sei öfter ein Andersgläubiger, der über eine große Werkmächtigkeit verfügt. Doch der gegenwärtige Kunstbetrieb diene der Kanalisierung dieser unorthodoxen Kräfte, und diese endeten damit oft in völliger Beliebigkeit. Die Etikettierungen des Ausstellungs-und Galeriebetriebes betreiben in verständlich pekuniärer Absicht eine unaufhörliche Erweiterung des Kunstbegriffes.

Ausstellbar sind Werke, gesellschaftliche Konstellationen und ganze Landschaften. Für Sloter­dijk ist dies Ausdruck einer wirklich seekrank machenden Erfahrung, daß nämlich unsere spätkapitalistische Wirklichkeit in tausend Stücke zerplatzt ist und philosophisch gesprochen keine essentialistische Wahrheit mehr existiert. Dieser Erkenntnis werden sich auch Theologen nicht entziehen können, und eines Tages werden selbst Fundamentalisten merken, daß für göttliche Texte kein Schreibschutz existiert.

Sloterdijk meint daher beinahe klagend, die Weltuhren der kapitalistischen und sozialistischen Geschichtsphilosophien seien völlig außer Takt geraten, und somit sei jedermann in eine riskante Freiheit entlassen. Der Künstler lebt unter seinem "private sky", und die Manifestationen seiner Wirkmächtigkeit dienen ausschließlich seinem persönlichen Immunschutz. Dies bedeutet, daß plötzlich Schamanen wieder in der Fußgängerzone zu trommeln beginnen. Unter der metaphorischen Wendung "Der Taugenichts kehrt heim" expliziert Sloter­dijk die inneren Motive der 68er Hippie-Generation, die nicht in Versuchung geriet, als Staatsfeind wild um sich zu schießen. Diese Verweigerer saßen zu Füßen des Baghwan, besuchten das Musical "Hair", gingen in japanische Klöster oder in die Wüste Kaliforniens. Wenn diese nicht schuldfähigen Deserteure zur Kunst finden, kann es passieren, daß sie in romantischer, esoterischen Wiederverzauberung der Welt enden, nachdem sie zuvor noch unter dem Licht der Aufklärung alle Dunkelmänner verjagt hatten.

Sloterdijk fühlt sich der konstruktivistischen Moderne verpflichtet, und sein persönlicher Imperativ lautet, tue alles, um deine Fähigkeiten zu steigern. Somit prophezeit Sloterdijk ein Ende aller programmatischen Kunst, denn diese faltet sich gegen alle Direktiven berührungsscheu ein.

Peter Sloterdijk: Der ästhetische Imperativ. Schriften zur Kunst. Philo & Philo Fine Arts, Hamburg 2007, gebunden, 519 Seiten, 25 Euro.


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