© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/07 27. April 2007

Das Auge staunt
Eine Hamburger Ausstellung feiert Amerikas Gnadenmoment
Michael Insel

Amerika hat das europäische Vorstellungsvermögen seit jeher überfordert: als Idee sowieso und erst recht als Landmasse von ungeheuren Dimensionen, klimatischen Extremen, geographischen Superlativen. Allzu gewaltig war ihm einst die howlin' wilderness, allzu brachial scheint sie uns heute menschlicher Hybris unterworfen.

Eine Neue Welt, das wollten die meisten von Europas Müden und Armen, seinen "geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren", gar nicht. Eine bessere, gerechtere, eine gottgefälligere Version der Alten, in der nicht mehr sie die Unterdrückten waren, das freilich schon: nicht Utopia, sondern New England.

Des Künstlers Auge, das diese Landschaften nicht zu bewohnen, sondern nur zu bestaunen braucht, muß der Schrecken ihrer Schönheit kaum bekümmern. Und so gibt es, während einstige Untertanen darangingen, sich die Erde untertan zu machen, einen Moment, von Kultur- und nicht von Sozialwissenschaftlern als "pastoral" beschrieben, in dem ein neuer Mensch - besser, gerechter, warum nicht: gottgefälliger - Frieden hält mit der uralten Natur.

Ob ein solcher Gnadenmoment zu anderen Konditionen als denen aufgeklärt-romantischer Seh- und Denkgewohnheit - lauschige Waldwege, edle Wilde, Spaziergänger am einsamen Sandstrand - möglich gewesen wäre, diese Frage überfordert die europäische Vorstellungskraft bis heute. Der neue Adam jenseits des Atlantik ist längst altersweise genug, sie selten zu stellen.

Die Vertreibung aus seinem pestizidverseuchten Paradies indes, das zeigen die Erben der in Hamburg ausgestellten Hudson River School - die Jackson Pollocks, Andy Warhols, Jasper Johns, Edward Hoppers, Robert Rauschenbergs, Roy Lichtensteins, die man landläufig als Erfinder einer emphatisch amerikanischen Malerei kennt - braucht er nicht mehr zu befürchten: Die Schlange ist an der Zivilisation erstickt, der Baum der Erkenntnis einer Schrotthalde gewichen.

Die Ausstellung "Neue Welt - Die Erfindung der amerikanischen Malerei" ist bis zum 28. Mai im Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, täglich von 11 bis 19 Uhr, Do. bis 21 Uhr, zu sehen. Der Katalog kostet 34,90 Euro. Tel. 040 /38 09 96-0

 

Bilder:

Albert Bierstadt (1830-1902), In the Mountains (In den Bergen), Öl auf Leinwand, 1867: Der gebürtige Solinger, der im Alter von zwei Jahren mit den Eltern in die USA auswanderte und später zum Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie nach Deutschland zurückkehrte, bereiste Europa und den amerikanischen Westen, um in seinem New Yorker Atelier transatlantische Alpenlandschaften zu schaffen

Thomas Cole (1801-1848), Szene aus "Der letzte Mohikaner". Cora kniet zu Füßen Tamenunds, Öl auf Leinwand, 1827: Auf Geheiß eines Auftraggebers beleben hier J. F. Coopers Romanfiguren die Natur

Albert Bierstadt (1830-1902), Toward the Setting Sun (Vor Sonnenuntergang), Öl auf Papier, 1862: Winnetous Jagdgründe

John Frederick Kensett (1816-1872), Coast Scene with Figures. Beverly Shore (Küstenlandschaft. Ufer bei Beverly), Öl auf Leinwand, 1869: Die Brandung kann den Strandspaziergängern nichts anhaben

Frederic Edwin Church (1826-1900), Niagara Falls (Niagarafälle), Bleistift und Öl auf Leinwand, 1856: Die ersten Brücken waren bereits gebaut, die Erschließung für den Massentourismus steht kurz bevor


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