© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/07 27. April 2007

Kulturschock in der Provinz
"Full Metal Village": Beschauliches Landleben und Heavy-Metal-Anhänger
Michael Hofer

Die Hand ist ähnlich einer Faust geballt, mit dem Unterschied, daß Zeigefinger und kleiner Finger wie zwei Hörner ausgestreckt sind. Mit dieser umstrittenen "satanischen" Geste, der sogenannten Pommesgabel, geben sich für gewöhnlich Heavy-Metal-Anhänger untereinander zu erkennen. Wer die Szene kennt, weiß allerdings, daß dort selten so heiß gegessen wie gekocht wird. Umgedrehte Kreuze, Pentagramme, Nietenarmbänder, Lederjacken, Tätowierungen und Totenköpfe in allen Ausführungen sind Accessoires, deren Wirkung als Szenecodes in den wenigsten Fällen über den Bürgerschreck-Faktor und den Spaß am Brachialem hinausgeht.

Die aus Südkorea stammende Regisseurin Sung-Hyung Cho (Jahrgang 1966) fand nun im schleswig-holsteinischen Wacken eine verschnarchte ländliche Idylle vor, die den wohl größten denkbaren Kontrast zu der Welt der "Metalheads" bietet: ein Kuhdorf wie aus den frühen Filmen von Detlev Buck, in dem Biedersinn, Bauernschläue und Kaffeekränzchen eisern herrschen.

Nun hat die Provinz schon einige Teufelseier ausgebrütet. Am berühmtesten ist wohl Chur in der Schweiz, das der Welt den morbiden Surrealisten und Gestalter zahlloser Heavy-Metal-Cover Hansruedi Giger schenkte. Oder das erzbiedere schwäbische Donzdorf, das mit Nuclear Blast das größte unabhängige Metal-Label der Welt beherbergt. "Heavy Metal auf dem Lande" (2006) hieß die dazugehörige Doku von Andreas Geiger, und so könnte auch der Alternativtitel zu Sung-Hyung-Chos nun in den deutschen Kinos angelaufenem Film "Full Metal Village" lauten.

Wie Geiger setzt auch Cho auf den skurrilen Kontrast zwischen wüstem Metal-Gestus und provinzieller Beschaulichkeit. Bevor es zur Sache geht, zeigt die Regisseurin zunächst ausführlich das langsame und auch etwas langweilige Wackener Landleben. Kornfelder wogen malerisch, Kühe starren in die Kamera und geben Muh-Konzerte, Traktoren und ähnliche Fahrzeuge tuckern gemütlich durch die Pampa. Die Ehen halten über 40 Jahre lang, man geht halbwegs regelmäßig in den Gottesdienst und nimmt am gemischten Chor im örtlichen Gesangsverein teil. Ostpreußische Omis erzählen beim Kuchen von der Flucht über das Haff, während ihre Enkeltöchter im Teenager-Alter von einer Karriere als Model träumen.

Ausgerechnet an diesem Ort also findet alljährlich am ersten August-Wochenende ein gigantisches Heavy-Metal-Freiluft-Festival statt. Eine Invasion von zuletzt über 60.000 wild gekleideten Gestalten aus aller Welt überschwemmt das Dorf (Einwohnerzahl: 1.800), um seinen Idolen zu huldigen. Wacken ist "Kult" in der Welt der Metalheads: "Wacken rules!!!" brüllen die Fans in Chos Kamera. Weil alljährlich die "kultigen" Ortsschilder als Trophäen geklaut werden, bietet die Gemeinde inzwischen original Wackener Schilder zu einem günstigen Preis an.

"Full Metal Village" (Untertitel: "So macht Landwirtschaft Spaß") spielt die Landei-Komik, die sich für Großstädter wohl schon allein aus dem Anblick einer Kuh ergibt, kräftig aus und schrammt mit seinen Tableaus à la Ulrich Seidl oft haarscharf daran vorbei, seine Witze auf Kosten seiner Protagonisten zu machen. Spätestens bei der Invasion der Metalheads sind der Regisseurin allerdings Aufnahmen von einer schreienden Komik gelungen. So etwa, wenn das Blasmusik-Konzert der Freiwilligen Feuerwehr Wacken von den Besuchern mit begeistertem "Headbangen" und "Pommesgabel"-Gruß quittiert wird. Folgt man dem Film, dann läuft der "Zusammenprall der Kulturen", der alljährlich in Wacken stattfindet, offenbar verhältnismäßig zivilisiert und von gegenseitigem Respekt getragen ab. Und das, obwohl zuweilen an niedere Instinkte appelliert wird - so fordert in einer Filmszene der Sänger von Kreator mit der genretypischen Großspurigkeit die "people of Wacken" auf, "sich gegenseitig umzubringen".

Den "Kulturschock"-Aspekt hat Regisseurin Cho, die ihren Film als "Heimatfilm" bezeichnet, inzwischen in Interviews zeitgeistig aufzublasen versucht: "Meine politische Botschaft wäre wirklich: andere Sorte, Kultur oder Gattung, Menschen oder Zivilisationen als solche erstmal zu akzeptieren, diese Heterogenität, und dann schauen, wie man mit ihnen irgendwie zusammenkommen kann. Und wir sehen es in Wacken, daß es wunderbar funktioniert, diese Völkerverständigung."

In diese Art von naivem Schunkeln hat mit CDU-typischem Opportunismus Ministerpräsident Peter Harry Carstensen bei der Premiere in Wacken eingestimmt, als er den Film einen "hervorragenden kulturellen Botschafter für Schleswig-Holstein" nannte, denn: Er zeige Deutschland, so wie es ist - "modern, weltoffen und gastfreundlich".

Tieferen Sinn meinten auch die Juroren des Max-Ophüls-Preises zu erkennen, die "Full Metal Village" als "besten Film" krönten: "Das (...) präzise Portrait des Dorfes Wacken ist nicht nur ein sehr unterhaltsamer Dokumentarfilm, sondern ein faszinierendes Bild deutscher Identität."

Fotos: Dorfbewohnerinnen Irmchen und Evchen: Völkerverständigung; Heavy-Metal-Fans auf dem Konzertfestival im schleswig-holsteinischen Dorf Wacken


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