© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/07 27. April 2007

Krach macht krank
Umweltschutz: Dreizehn Millionen Deutsche sind lärmbedingten Gesundheitsrisiken ausgesetzt
Volker Kempf

In Ballungsräumen geht es laut zu. Von überall her scheint es zu rauschen und zu sausen. Auch nachts gibt es Verkehrslärm von Lkw, Pkw, Zügen, Straßenbahnen und Flugzeugen. Mit lautstarken großen tragbaren Audiogeräten ("Ghettoblastern") bewaffnete Jugendliche mögen da in den warmen Sommertagen nur das Faß zum Überlaufen bringen.

Die "Vertreibung der Stille" (Rüdiger Liedtke) findet auf der Straße, aber auch am Arbeitsplatz, im Kaufhaus und im Café statt. Die Musik selbst hat über die Jahre eine Reizsteigerung erfahren, damit sich die leisen Töne vom Grundrauschen aus der Umgebung hörbar absetzen. Dieses Grundrauschen stört heutzutage 13 Millionen Deutsche. Aber "Lärm ist nicht nur lästig - er kann auch krank machen", sagte treffend der Präsident des Umweltbundesamtes (UBA), Andreas Troge, zum Tag des Lärms am 25. April. "Es ist höchste Zeit für eine Trendwende bei der Lärmbelastung der Bevölkerung."

Zunehmende Schlafstörungen

Studien des UBA zeigen, daß Verkehrslärm zunehmend Schlafstörungen verursacht. Das Risiko, an Störungen des Herz-Kreislauf-Systems zu erkranken, erhöht sich. So untermauert eine im UBA erarbeitete Literaturstudie den Zusammenhang zwischen Straßenverkehrslärm und Herzinfarkten. Denn das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, steige bei Männern um etwa 30 Prozent, wenn sie längere Zeit in Gebieten mit hohem Verkehrslärm wohnen, deren mittlerer Schallpegel im Außenbereich am Tag über 65 Dezibel (dB(A)) liegt. Auch besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Fluglärm und erhöhtem Arzneimittelverbrauch.

Dies ist das Ergebnis einer aktuellen epidemiologischen Studie für das UBA, welche im Umfeld eines deutschen Flughafens mit Nachtflugbetrieb Daten von mehr als 800.000 Personen analysierte. Demnach führt Fluglärm dazu, daß die Betroffenen häufiger den Arzt aufsuchen und die Ärzte diesen mehr Medikamente verschreiben. Flughafenausbaugegner wird dieses Ergebnis in ihrem Kampf bestärken. Umfragen zur erlebten Lärmbelästigung der Bevölkerung im Wohnumfeld zeigen schon länger, daß die Befragten den Straßenverkehrslärm regelmäßig als größte Störung einstufen - gefolgt von den Faktoren Autoabgase, Abwässer von Fabriken. Auch die kontinuierlich durchgeführte Internet-Lärmumfrage des UBA zeigt, daß sich 60 Prozent der Teilnehmer vom Straßenverkehrslärm wesentlich belästigt fühlen.

Diese negativen Auswirkungen des Verkehrs sind nicht grundsätzlich neu. Dennoch ist es um die Lärmbelästigung ruhig geblieben. EU, Bund, Länder und Gemeinden haben die Wirkungen des Lärms bei ihren planerischen Entscheidungen bislang nicht ausreichend berücksichtigt. Das wird sich bei der Verkehrs- und städtebaulichen Planung ändern müssen.

Hier soll die EU-Umgebungslärmrichtlinie Unterstützung leisten. Die Brüsseler Vorgabe sieht in einem ersten Schritt vor, die Lärmbelastung der Bevölkerung in großen Ballungsräumen und an Hauptverkehrswegen bis zum 30. Juni 2007 zu erfassen. Unter Beteiligung der Öffentlichkeit sollen dann bis zum 18. Juli 2008 nationale "Aktionspläne" gegen den Lärm entstehen. Mit dieser verbindlichen Beteiligung der Bevölkerung könnte es zu einer breiten politischen Diskussion über die Lärmwirkungen kommen; auch bisher nur selten angewandte Maßnahmen - etwa lärmarme Straßenbeläge - könnten verstärkt Anwendung finden. Autofreie Sonntage könnten Ruhepausen verschaffen. Doch bis es soweit kommt, wird sich in Sachen Lärm politisch noch viel bewegen müssen.

Das UBA selbst setzt sich bei der Lärmaktionsplanung für den Schutz der Bevölkerung und für anspruchsvolle Umweltqualitätsziele ein. Belastungswerte unter 65 dB(A) als 24-Stunden-Wert und 55 dB(A) im Nachtzeitraum einzuhalten, könne nur ein erster Schritt sein, um gravierende Gesundheitsrisiken und Schlafstörungen zu verhindern. Das UBA rät dazu, mittelfristig die Lärmbelastung auf 60 dB(A) als 24-Stunden-Wert und 50 dB(A) nachts zu senken.

Vogelgezwitscher und Meditationsklänge auf CD

Anfang der achtziger Jahre des vergangen Jahrhunderts war übrigens Hundegebell als Lärmbelästigungsfaktor ein Thema. Daraufhin wurde einfach die Hundesteuer erhöht. Soll der Lärm bekämpft werden, müßte eine Lärmsteuer die logische Folge sein. Doch nicht alles läßt sich über Steuern regeln. Richtlinien, wie sie das UBA vorschlägt und die EU einführt, sind da realistischere Maßnahmen. Vor allem aber wird es um eine vorausschauende Raumplanung gehen, damit der Fortschritt der Mobilität nicht weiterhin in einen gesundheitlichen Rückschritt umschlägt, der dann durch den medizinischen Fortschritt wieder ausgeglichen werden muß.

Ist bei soviel beklagtem Lärm die Stille zum Kassenschlager geworden? Vogelgezwitscher und Meditationsklänge gibt es zu kaufen. Aber das ist der Versuch der Stimmungsmanipulation, der einem irgendwann auch auf die Nerven gehen kann. Musik, Verkehr und andere Errungenschaften der zivilisierten Menschheit bilden die akustische Umwelt, der so leicht nicht zu entrinnen ist und mit der wir zu leben gelernt haben. Der Mensch gewöhnt sich an den Geräuschpegel, so gut es geht. Der Lärm ist damit ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft, der aber auch krank machen kann. Die Studien des UBA haben diese Vermutung untermauert und geben damit Anreize zum längst überfälligen Handeln auf allen Ebenen der Politik.

Die neue UBA-Studie "Beeinträchtigung durch Fluglärm: Arzneimittelverbrauch als Indikator für gesundheitliche Beeinträchtigung" findet sich im Internet unter: www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/3153.pdf

Weitere UBA-Informationen finden sich unter: www.umweltbundesamt.de/laermprobleme/

Foto: Nachtflugbetrieb: "Höchste Zeit für eine Trendwende bei der Lärmbelastung der Bevölkerung"


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