© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/07 27. April 2007

Die Hoffnungen der Anklage schwinden
Ermyas M.: Im Fall des im vergangenen Jahr schwer verletzten Deutsch-Äthiopiers gehen der Staatsanwaltschaft die Argumente aus
Christian Rudolf

Vor dem Potsdamer Landgericht geht der Prozeß um den am Ostersonntag vorigen Jahres in Potsdam niedergeschlagenen und lebensgefährlich verletzten Äthiopier Ermyas M. in seine Schlußphase. Seit dem 7. Februar hat die Vierte Große Strafkammer beinahe 60 Zeugen und Sachverständige gehört. Den entscheidenden Beweis gegen die mutmaßlichen Täter Björn L. und Thomas M. konnte die Kammer unter Vorsitz von Michael Thies bislang nicht zutage fördern.

Hoffnungen der Anklage und Nebenklage ruhen noch auf der professionellen Stimmauswertung des Mailbox-Mitschnitts vom Tatort, des wichtigsten Beweisstücks, das zur Ergreifung des Hauptangeklagten geführt hatte. Die Handy-Mailbox der Ehefrau des Opfers hatte das Wortgefecht zwischen Ermyas M. und den Tätern aufgezeichnet, das der körperlichen Gewalt vorausging. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft ist auf dem Mitschnitt die Stimme von Björn L. zu hören.

Es sind kleine Veränderungen des Prozedere im Landgericht, die darauf hindeuten, daß wohl nicht mehr viel kommen wird: Die anfangs peniblen Leibesvisitationen am Eingang des Gebäudes sind nach der Osterpause entfallen, auch die Kontrollen vor Betreten des Sitzungssaales 9 waren schon strenger. Die Atmosphäre ist entspannter geworden, längst ist auch die Schar der Journalisten geschrumpft, interessierte Potsdamer gibt es nicht eine Handvoll, viele Stühle des Saales bleiben leer. Vor einem Jahr hatten sich einige tausend Bürger zu einer Solidaritätskundgebung für das Opfer auf dem Luisenplatz versammelt und "gegen Nazis" demonstriert.

In der vergangenen Woche wurde der Prozeß, der mangels direkter Tatzeugen auf Indizien beruht, mit Zeugenbefragungen fortgesetzt. Ein Kriminalist des Polizeipräsidiums Potsdam brachte die umfangreiche Auswertung von Daten der Mobiltelefone beider Angeklagter mit. Entgegen seinen Angaben bei polizeilichen Vernehmungen hat sich Björn L., der den Faustschlag gegen Ermyas M. geführt haben soll, am Abend vor der Tat nicht durchgängig im Elternhaus in Wilhelmshorst aufgehalten. Dessen Mobiltelefon war zwischen 19 und 21 Uhr über Funkmasten in Potsdam eingeloggt. Vermutlich hatte er eine Bekannte zum Bahnhof gefahren.

Die ausgewerteten Fernsprechdaten belegen auch, daß Björn L. zwischen dem Karsamstag, 21 Uhr und Ostersonntag, 2.45 Uhr, in Wilhelmshorst war - ob er spätestens um 7 Uhr wieder dort war oder immer noch, ist der springende Punkt. Fest steht, daß die Handys der Angeklagten zur Tatzeit nicht in Tatortnähe in Potsdam registriert gewesen sind und es auch keine Verbindungen zwischen deren Telefonen gegeben hat, weder vorher noch nachher.

Aufhorchen im Saal ließ am Mittwoch eine vierseitige Erklärung der Verteidigung: Ermyas M. ist von den beiden Angeklagten wegen des Verdachts der Verleumdung angezeigt worden. Verteidiger Karsten Beckmann sagte am Rande der Verhandlung, sein Mandant Björn L. hätte "die Nase voll davon", in der Öffentlichkeit von Ermyas M. weiterhin als Rassist verdächtigt zu werden. Der Äthiopier mit deutschem Paß hatte zu Prozeßauftakt in der RTL-Sendung "Stern TV" gesagt: "Wenn ich ehrlich bin, die beiden waren es." Erst kürzlich erneuerte er während eines Multikulti-Festes öffentlich seine These eines "rassistischen Überfalls".

Im Zeugenstand hatte der Wasserbauingenieur einräumen müssen, infolge der schweren Kopfverletzungen durch einen Faustschlag keine Erinnerung an die Tat zu haben. Die Angeklagten konnte er nicht als diejenigen identifizieren, die er am 16. April 2006 gegen 4 Uhr an einer Bushaltestelle in Potsdam grob angepöbelt hatte ("Schweinesau") und damit eine Auseinandersetzung provoziert haben könnte, die ihn dann beinahe das Leben kostete.

In der Erklärung äußerte die Verteidigung ferner harsche Kritik sowohl an der Staatsanwaltschaft - "verkorkste Anklageschrift", "hilflose Versuche, zu retten, was nicht mehr zu retten ist" - als auch an einigen Pressevertretern: "Es hat sich mitnichten um einen Überfall gehandelt, und der Geschädigte ist mitnichten zusammengeschlagen oder verprügelt worden." Wer das nach elf Verhandlungstagen noch schreibe, "der hat gar nichts begriffen oder will es nicht begreifen". Die Tat habe jedenfalls keinen ausländerfeindlichen Hintergrund.

Der Urteilsspruch verzögert sich

In der Presse liest man nach wie vor vom "rassistischen Überfall" auf das "Überfallopfer" Ermyas M., davon, daß ihn zwei Männer als "Scheiß-Nigger" beschimpft und "zusammengeschlagen" hätten - regelmäßig bleiben die Beschimpfungen aus dem Mund des Äthiopiers ungenannt. Der Vertreter der Nebenklage, Thomas Zippel, entgegnete, auf dem Mailbox-Mitschnitt sei eindeutig der Ausdruck "Oller Nigger" zu hören. Was das denn anderes als Rassismus sei? Oberstaatsanwalt Rüdiger Falch nannte die Vorwürfe der Verteidigung "daneben".

Wie der Vorsitzende Richter am vergangenen Freitag bekanntgab, wird sich die Urteilsverkündung wegen Terminschwierigkeiten der Kammer verzögern. Mit einem Ende des Prozesses ist nicht vor dem 8. Mai zu rechnen.


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