© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/07 20. April 2007

Al-Qaida agiert nun auch im Zweistromland
Irak: Die Kurden und Schiiten sind befreit, aber der Preis dafür ist zu hoch - die USA nun fast auf der ganzen Welt verabscheut
Patrick J. Buchanan

Der Irak-Krieg wird weitergehen - mit Unterstützung einer demokratischen Kongreßmehrheit. Denn die Folgen ihrer seinerzeitigen Entscheidung, der Regierung den Geldhahn für den Vietnamkrieg abzudrehen, in den mit John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson zwei demokratische Präsidenten die USA gestürzt hatten, hat die Partei nie verwunden. Egal, was die US-Amerikaner vom Krieg halten, sie zeigen sich wenig versöhnlich gegenüber jenen, die die Soldaten im Stich gelassen oder die Niederlage verursacht haben.

Mit ebendiesem Gedanken spielen manche Demokraten heute. Deswegen üben die Republikaner Druck auf Repräsentantenhaus-Sprecherin Nancy Pelosi aus, ihre Kollegen aus dem Urlaub nach Washington zurückzubeordern und den 100-Milliarden-Dollar-Etat für die Truppen im Irak und Afghanistan schleunigst zu verabschieden. Pelosi und der demokratische Mehrheitsführer Harry Reid mögen sich noch so sehr dagegen sträuben, der Kongreß, den sie leiten, wird US-Präsident George W. Bush alle Wünsche erfüllen. Und die letztendliche Zustimmung zu einem Etat, der an keinen Rückzugstermin gebunden ist, wird an den Grundfesten der Demokratischen Partei rütteln, deren Basis einen baldigen, wenn nicht sofortigen Rückzug befürwortet. Dem demokratisch dominierten Kongreß steht ein erniedrigender Rückzieher bevor, nur weil im Oktober 2002 ein demokratisch dominierter Senat - mit prominenten Ja-Stimmen von Tom Daschle, Reid, Hillary Clinton, John Kerry, John Edwards, Joe Biden, Chris Dodd - Bush einen Blankoscheck für den Irak-Krieg ausstellte. Hätte er damals gewußt, was er inzwischen wisse, dann hätte er niemals zugestimmt, beteuert der spätere demokratische Präsidentschaftskandidat Kerry im Hinblick auf die wichtigste Stimmabgabe, an der er, Hillary Clinton und Biden jemals teilnahmen - jene Abstimmung, mit der die Abgeordneten den Weg freimachten für den größten strategischen Fehler, den ihr Land zu ihren Lebzeiten begehen würde.

Demokratischer Blankoscheck für den Irak-Krieg schon 2002

Damit soll Bush keineswegs von der Schuld an einem Krieg freigesprochen werden, der mit Sicherheit als "Bushs Krieg" in die Geschichtsbücher eingehen wird. Ebensowenig die Neokonservativen, die schon Krieg schrien, kaum daß die Flugzeuge ins WTC gerast waren. Sie forderten schon lange vor dem 11. September 2001 einen Angriff auf den Irak. Trotz allem hätte demokratische Courage im Oktober 2002 dem Irrsinn Einhalt gebieten können, sie waren die letzte Hoffnung der Kriegsgegner. Doch sie ließen die Nation im Stich. Sie stimmten dafür, "das Problem hinter uns zu bringen", damit die Demokraten sich darauf konzentrieren konnten, die Mehrheit im Senat zu behalten - was ihnen trotzdem nicht gelang.

Wie sieht nach vier Jahren Krieg - der damit bereits länger andauert als der Bürgerkrieg oder die amerikanische Beteiligung am Zweiten Weltkrieg - die Bilanz der Gewinne und Verluste aus? Auf der Habenseite ist die Befreiung des Irak von Saddam Hussein und der Baath-Partei zu verbuchen, die die irakische Bevölkerung jahrzehntelang tyrannisierten und terrorisierten. Saddam ist tot, seine Henkersknechte ihrer gerechten Strafe zugeführt, und keiner von ihnen wird jemals wieder an die Macht kommen. Die Kurden sind frei, die Schiiten aus baathistischer und sunnitischer Unterdrückung befreit.

Der Preis dafür sind Zehntausende irakische Opfer, von denen viele von Angehörigen des eigenen Stammes gefoltert und umgebracht wurden, eine verwüstete Nation, ein sektiererischer Bürgerkrieg, al-Qaida in Anbar, zwei Millionen Flüchtlinge, die Flucht der irakischen Christen, der immer wahrscheinlicher werdende Zerfall des Staatsgebildes und der Rückfall des Irak auf den Status eines gescheiterten Staats.

Auch aus amerikanischer Sicht waren die Konsequenzen enorm, wenn man bedenkt, daß es sich an der Zahl der US-Todesopfer gemessen um einen vergleichsweise unbedeutenden Krieg handelt. Wir haben 3.200 Tote und 25.000 Verwundete verloren, und ein Ende des Blutvergießens ist nicht in Sicht. Die weltweite Sympathie, die Amerika in der Folge des 11. September genoß, gehört der Geschichte an. Amerika hat alte Bündnisse aufgekündigt und wird auf der ganzen Welt verabscheut. Abu Ghraib, Guantánamo und Haditha haben unseren Ruf beschädigt. Die Kriegskosten betragen Hunderte von Milliarden, und weitere Milliarden werden noch anfallen.

Die US-Armee ist "fast gebrochen"

Die US-Armee ist "am Brechen" oder "fast gebrochen", je nachdem, ob man sich dem Ex-Stabs­chef Peter J. Schoomaker oder Ex-Außenminister Colin Powell anschließt. Amerikas Position im Mittleren Osten ist heute so gefährdet wie zu den Zeiten des Kalten Krieges. Der König von Saudi-Arabien bezichtigt uns einer "illegalen ausländischen Besetzung" des Irak, und die arabischen Völker ziehen Osama bin Laden Präsident Bush als Mann und Herrscher vor.

Die meisten Amerikaner sind verbittert über den Haß, den die Welt uns entgegenbringt, nachdem wir sechzig Jahre lang Opfer gebracht haben, um sicherzustellen, daß die Freiheit nicht stirbt, und die Welt besser zu machen. Freilich war Dankbarkeit noch nie eine Stärke der menschlichen Gattung. Selbst wenn uns die Welt nicht mehr liebt und das Amerikanische Empire verloren ist - können wir nicht froh sein, es loszusein? Vielleicht sollten wir Bush dafür danken, uns gezeigt zu haben, daß es seinen Preis nicht wert ist.

 

Patrick J. Buchanan war mehrfach US-Präsidentschaftskandidat. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift "The American Conservative".


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