© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/07 20. April 2007

Fortgesetzte Therapien
Irak: Die US-Militärpolitik steht am Scheideweg
Michael Wiesberg

Wer vor drei oder vier Jahren mit Blick auf die Lage im Irak prognostizierte, daß der Supermacht USA hier ein neues Vietnam drohen könnte, wurde bestenfalls ungläubig belächelt. Die US-Propaganda inszenierte den Feldzug gegen den die "Sicherheit der Welt" gefährdenden Despoten Saddam Hussein als "Befreiungskrieg", der dem Irak eine liberale Demokratie westlichen Zuschnitts bescheren werde. Mehr noch: Der Irak sollte in eine Vorbildfunktion für die ganze islamische Welt hineinwachsen, von der man sich eine Art Dominoeffekt für die ganze Region erhoffte. Auf diese Weise sollte sich "en passant" auch der leidige Nahostkonflikt quasi von selbst erledigen.

Wie es im Weißen Haus zu einer derartigen eklatanten Fehleinschätzung kommen konnte, wäre eine eigene Untersuchung wert. Vom heutigen Standpunkt ist zu konstatieren, daß nicht nur keine der hehren Visionen der Regierung Bush eingetroffen ist und die USA damit einen beträchtlichen Prestigeverlust erlitten haben, sondern mittlerweile auch der Supermacht-Status der Vereinigten Staaten ernsthaft in Gefahr geraten ist.

Ein Indikator hierfür ist zum Beispiel ein interner Pentagon-Bericht über die Verfassung der US-Armee. Vier Jahre nach dem von Bush großspurig verkündeten Ende der "Mission im Irak" steht die US-Armee laut US-General Robert Scales "vor dem Kollaps". Der Supermacht gingen langsam die Soldaten für die Mission Irak aus. Nur mit allergrößter Mühe werden die Vereinigten Staaten jene 21.500 zusätzlichen Soldaten in den Irak entsenden können, die Bush in seiner Rede vom 10. Januar des Jahres angekündigt hat. Dafür war nicht nur eine Erhöhung der Einsatzdauer der im Irak stationierten GIs von zwölf auf fünfzehn Monate notwendig, sondern auch die Abkommandierung von 13.000 Angehörigen der Nationalgarde bis Jahresende. Um das Rekrutierungsziel 2006 von 80.000 neu rekrutierten GIs überhaupt erreichten zu können, bedurfte es unter anderem massiver finanzieller Anreize. Pentagon-Berater Barry McCaffrey sieht deshalb bereits einen "strategischen Notstand" der US-Streitkräfte.

Der zeitweilige Eindruck bis etwa zur Jahreswende 2006/2007, daß sich angesichts des Schlamassels im Irak (sieht man einmal von den bisher vergleichsweise ruhigen Kurdengebieten im Norden ab) in der US-Politik wieder mehr Realismus durchsetzen könnte, war trügerisch. Nichts mehr ist von der Ankündigung von US-Präsident Bush nach den Zwischenwahlen vom November letzten Jahres zu spüren, seine Irak-Politik einer Revision unterziehen zu wollen. Es blieb im wesentlichen bei einer Personalie (Robert Gates ersetzte Donald Rumsfeld als Verteidigungsminister). Vergessen scheint der Bericht der vom Kongreß eingesetzten Iraq Study Group unter der Leitung des republikanischen Ex-Außenministers James Baker und des Demokraten Lee Hamilton, in dem ein schrittweiser Truppenabzug aus dem Irak empfohlen wurde.

Bush, der nach wie vor überzeugt zu sein scheint, daß die Aufständischen im Irak besiegt werden können, ist sich dessen bewußt und hat wohl auch deshalb unter anderem General David Petraeus, den militärischen Oberbefehlshaber der Koalitionstruppen im Irak, direkt in die Öffentlichkeitsarbeit eingebunden. Petraeus hat, so berichtet die für die Bostoner Zeitschrift Christian Science Monitor tätige Journalistin Helena Cobban in Le Monde Diplomatique, im Auftrag der US-Armee eine aufschlußreiche Doktorarbeit mit dem bezeichnenden Titel "Das US-Militär und die Lehren von Vietnam" verfaßt. Der General konstatiert in dieser Arbeit, daß die Aktionen der US-Streitkräfte zugunsten einer von den USA protegierten Regierung deren Legitimität sowohl im Irak als auch in Vietnam deutlich verringert habe. Für Petraeus hängt deshalb alles daran, daß die irakische Regierung die Sicherheit der Bevölkerung garantieren könne. Er läßt keinen Zweifel daran, daß bei Anti-Terror-Aktionen Gewalt anzuwenden sei und Extremisten eliminiert werden müssen. Das Militär habe die größte Last zu tragen und nicht die Inhaber politischer Ämter - auch dies gehört zu den Lehren des Vietnamkriegs.

Petraeus' Position ist ein weiterer Beleg dafür, daß unter der Regierung Bush keine Veränderung der Irak-Politik mehr zu erwarten ist. Dies kann vor dem Hintergrund des Missionsgedankens, von dem der Präsident erfüllt ist, nämlich die "Welt von dem Bösen befreien" zu wollen, auch nicht weiter verwundern. Zu befürchten ist, daß dieses Sendungsbewußtsein in den ganz großen Befreiungsschlag münden könnte, nämlich in einem Krieg gegen den erklärten Erzfeind Iran.

Propagandistisch ist diese Auseinandersetzung mit dem Hinweis darauf, daß der Iran für den Terror im Irak durch Waffenlieferungen und Logistik mitverantwortlich sein soll, bereits vorbereitet. Darauf daß Bush für einen derartigen Krieg nicht einmal die Unterstützung des Kongresses bräuchte, verwies Ibrahim Warde, Professor an der Fletcher School of Law and Diplomacy in Massachusetts. Bush genüge der Hinweis darauf, daß dieser Krieg aus "Gründen der Selbstverteidigung" geführt werden müsse. Unwahrscheinlich ist dieses Szenario nicht. Vieles spricht dafür, daß Bush von neokonservativen "Therapien" keineswegs Abstand genommen hat, sondern sie konsequent fortsetzen könnte.


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