© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/07 13. April 2007

"Wir passen nur auf unsere Kirche auf"
Widerstand gegen den Umgang mit Sakralbauten: Bürgerinitiative besetzt Bielefelder Gotteshaus
Christian Vollradt

Als am Sonntag, dem 25. März mit einem letzten Gottesdienst Abschied von der Bielefelder Paul-Gerhardt-Kirche als evangelischem Gotteshaus genommen werden sollte, blieben einige Gemeindemitglieder demonstrativ sitzen; vor der Kirche hatten sich andere mit schwarzen Fahnen aufgestellt, um Trauer und Protest über den Umgang mit diesem Sakralbau auszudrücken. Denn die evangelisch-lutherische Kirche soll, so die offiziellen Planungen des Bielefelder Kirchenkreises, an die örtliche Israelitische Kultusgemeinde verkauft werden.

Dagegen hat sich unter Gemeindemitgliedern bereits frühzeitig Widerstand geregt. Er mündete schließlich in der Gründung einer Gemeinnützigen Bürgerinitiative für den Erhalt der Paul-Gerhardt-Kirche e.V., der heute etwa 90 Personen angehören. Mit dem Verweilen in der von seiten der Amtskirche aufgegebenen Stätte wurde aus diesem Protest jetzt eine öffentlichkeitswirksame Besetzung, die mittlerweile bundesweit für Aufsehen sorgte.

Mit dem Begriff "Besetzung" möchte Claus-Rudolf Grünhoff, einer der Vorsitzenden der Bürgerinitiative, die Aktion nicht gerne bezeichnet wissen, um Assoziationen mit von "Chaoten" besetzten Häusern zu vermeiden: "Wir passen nur auf unsere Kirche auf", so der Jurist gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Zu diesem Zweck wird sich rund um die Uhr immer mindestens ein Mitglied der Initiative im Gotteshaus aufhalten. Das ist auch mit Unannehmlichkeiten verbunden, denn sowohl Strom als auch Wasser sind bereits abgestellt worden, und der Zugang zum danebengelegenen Gemeindezentrum ist verschlossen.

Der Verkauf verstößt gegen die Kirchenverfassung

Vorausgegegangen ist dem Verkaufsbeschluß die Fusion der Paul-Gerhardt-Gemeinde mit der benachbarten Neustädter Mariengemeinde, die zu Pfingsten 2005 vollzogen wurde. Gründe hierfür waren vor allem die gesunkenen Mitgliederzahlen und damit verbundenen finanziellen Schwierigkeiten beider evangelischer Gemeinden. Im Dezember desselben Jahres beschloß der Bevollmächtigtenausschuß, der bis zu den erst 2008 stattfindenden Wahlen des Presbyteriums (Kirchenvorstand) die höchste Intersessenvertretung der fusionierten Gemeinde darstellt, den Beginn der Verhandlungen über den Verkauf der Paul-Gerhardt-Kirche an die Jüdische Kultusgemeinde.

Während sowohl die Superintendentin des Kirchenkreises Bielefeld, Regine Burg, als auch Amtsträger der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) die Rechtmäßigkeit des durch demokratisch legitimierte Gremien der Gemeinde zustande gekommenen Beschlusses betonen, wenden die Gegner des Verkaufs ein, es sei über die Köpfe der Gemeindemitglieder hinweg entschieden worden. Denn, so Claus-Rudolf Grünhoff im Gespräch mit der JF, die Formalien beim Beschluß seien nicht eingehalten worden, weshalb vor einem Kirchengericht dagegen geklagt werde. Zwar sei die Fusion freiwillig erfolgt, allerdings mit der von beiden Seiten formulierten Absicht, so lange wie möglich beide Gotteshäuser zu betreiben. Laut Kirchenordnung sei zudem für den Verkaufsbeschluß nicht nur die Zustimmung des Kirchenvorstands und -kreises erforderlich, sondern auch die Anhörung der Gemeindemitglieder. Genau dies habe aber nicht stattgefunden - was auch die Amtskirche nicht bestreitet, die jedoch eine Anhörung lediglich als freiwillig und nicht zwingend bezeichnet.

Die Bürgerinitiative weist darauf hin, daß bei einer 2006 durchgeführten Gemeindeversammlung die Gegner des Verkaufs nahezu eine absolute Mehrheit vorweisen konnten. Während die Landeskirche die zukünftige Nutzung der Kirche als jüdisches Gotteshaus als im Sinne der Westfälischen Kirchenverfassung bezeichnet, der zufolge der Heilige Geist "Kirche und Israel gemeinsam zu seinen Zeugen und zu Erben seiner Verheißung macht", weisen Grünhoff und seine Mitstreiter auf einen Verstoß seitens der Kirchenoberen gegen ebendiese Verfassung hin, wenn in einer evangelischen Kirche kein Gottesdienst stattfindet.

Angesichts der Tatsache, daß als einzige Kaufinteressentin momentan die jüdische Gemeinschaft bekannt ist, fährt Superintendentin Regine Burg argumentativ schweres Geschütz auf. Im vergangenen November wies die Theologin in einem offiziellen Schreiben bereits auf die diesbezüglichen Besonderheiten hin: "Bedingt durch die Vergangenheit gebietet der Umgang mit ihr seitens der kirchlich und politisch Verantwortlichen ein besonders sensibles und solidarisches Handeln." Nach der Eskalation des Konflikts wird Burg deutlicher: Ihrer Meinung nach artikulierten sich in der Gruppe der Verkaufsgegner "eindeutig antisemitische Affekte", so wird sie von der Bielefelder Zeitung zitiert.

160 Teilnehmer beim ersten Gottesdienst der "Besetzung"

Diesen Vorwurf empfindet Grünhoff als "zutiefst beleidigend", wie er gegenüber der JF bekräftigte. Das Begehren des Vereins richte sich grundsätzlich gegen den Verkauf - "an wen auch immer". Im übrigen habe sich die Gruppe der Verkaufsgegner bereits mit Vertretern der jüdischen Gemeinde getroffen, um dieser ihr Anliegen zu erläutern. Auch sei der Vorschlag unterbreitet worden, den Juden auf dem Grundstück der Gemeinde kostenlos Bauland zur Errichtung eines Gebetsraumes zur Verfügung zu stellen.

Grünhoff merkte im Gespräch mit dieser Zeitung an, daß Mitglieder der jüdischen Glaubensgemeinschaft bereits Zweifel angemeldet haben, ob diese überhaupt den Kauf und Umbau der Paul-Gerhardt-Kirche zur Synagoge finanziell bestreiten könnte. Außerdem sei der Raum zu groß für die Gemeinde, zu der in offiziellen Zählungen in Bielefeld lebende Kontingentflüchtlinge aus der früheren Sowjetunion gezählt würden, welche aber mehrheitlich nicht an den Aktivitäten der religiösen Gemeinschaft teilnähmen. Hinzu kommt, daß sich ein zum konservativen Flügel gehörender Kreis aus der Israelitischen Kultusgemeinde wegen des liberalen Kurses der Bielefelder Vorsitzenden abgewandt habe und mittlerweile zur Herforder Synagoge gewechselt sei. Insofern hat der innerprotestantische Streitfall auch eine innerjüdische Spiegelung, die jedoch von der Amtskirche im Zusammenhang mit den geplanten Verkauf nicht erwähnt wird.

Insgesamt herrscht ein rauher Ton unter den westfälischen Protestanten: Superintendentin Burg und ein den Verkauf befürwortender Pfarrer fühlen sich "diffamiert" und "Drohungen" seitens der Verkaufsgegner ausgesetzt, diese wiederum beklagen sich über das "unchristliche" Verhalten der Landeskirche.

Die 16.000 Euro, die der Erhalt der Paul-Gerhardt-Kirche pro Jahr kostet, könnte die Bürgerinitiative aus eigenen Vereinsmitteln aufbringen. Auch wohnen in der Gemeinde sechs emeritierte Pfarrer, die das geistliche Leben aufrechterhalten könnten, so Grünhoff gegenüber der JF. Allerdings übe die Landeskirche einen zunehmenden Druck auf noch im Amt befindliche Seelsorger aus, sich nicht den ungehorsamen Schäfchen zur Verfügung zu stellen.

Eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch wurde gegen die "Besetzer" bereits gestellt, auf manche - vor allem ältere - Gemeindemitglieder scheint dies seine drohende Wirkung nicht zu verfehlen. Andererseits kamen am Palmsonntag zum ersten Gottesdienst im Stadium der "Besetzung" 160 Teilnehmer, etwa dreimal so viele wie früher an regulären Sonntagen, wie Grünhoff stolz vermerkt: "Für uns ist das ein Zeichen breiter Solidarität mit unserem Anliegen." Immerhin betonen die Verantwortlichen des Kirchenkreises und des Nocheigentümers, der fusionierten Neustadt-Mariengemeinde, daß sie eine polizeiliche Räumung ausschließen und zu einer friedlichen Lösung kommen wollen. Wer weiß, wie lange diese Geduld anhalten wird.

Die Bürgerinitiative ihrerseits ist sich gewiß, noch ausharren zu können. Das Ende des Bielefelder Kirchen- und Machtkampfes scheint offen zu sein.

Info und Kontakt: Bürgerinitiative Paul-Gerhardt-Kirche e.V., c/o Hermann E. Geller, Andreas-Lamey-Str. 7a, 33604 Bielefeld

Foto: Protest gegen den geplanten Verkauf der Paul-Gerhardt-Kirche: Anzeige wegen Hausfriedensbruch


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen