© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/07 13. April 2007

Große Koalition der Kritiker
G8-Gipfel: Globalisierungsgegner und Behörden rüsten sich für das Treffen der Staats- und Regierungschefs im Ostseebad Heiligendamm
Hans Christians

Eine größere Koalition ist kaum vorstellbar. Wenn vom 6. bis zum 8. Juni die führenden sieben Wirtschaftsnationen inklusive Rußland zum sogenannten G8-Gipfel im mecklenburgischen Ostseebad Heiligendamm zusammentreffen, werden ihre Vertreter nicht gerade mit offenen Armen empfangen werden. Zum Leidwesen der Organisatoren ist das zum Gassenhauer gewordene WM-Motto "Die Welt zu Gast bei Freunden" nicht vom Sport in die kalte Wirtschaftswelt übertragbar. So wird von der einheimischen Bevölkerung die Befürchtung geäußert, ein beispielloses Aufgebot von Sicherheitskräften könne die Lebensqualität empfindlich beeinträchtigen.

Bereits im Januar wurde mit den Bauarbeiten an einem 13 Kilometer langen Sicherheitszaun begonnen. Der 2,50 Meter hohe Zaun soll die Staats- und Regierungschefs vor gewalttätigen Gegendemonstranten schützen. Für das Bauwerk hatte der Landtag extra einen Nachtragshaushalt in Höhe von 12,5 Millionen Euro beschlossen. Grund für die hohen Kosten sei die Ausstattung mit Kameras und Bewegungsmeldern. "Wenn ein Hase davor hoppelt, merken wir es", sagte ein Polizist. Ein 50 Zentimeter in die Erde reichender Unterkriechschutz und Stacheldraht soll Gipfelgegner daran hindern, sich dem Tagungshotel zu nähern.

Doch das monströse Bauwerk ist nur ein kleines Teilchen im umfangreichen Sicherheitsmosaik der Polizei, die sich allerdings bedeckt hält. Allzu gerne läßt sie sich nicht in die Karten schauen. Bestätigt wurde lediglich, daß der Gipfel unter anderem mit rund 16.000 Sicherheitskräften zum größten Polizei-einsatz in der Geschichte Deutschlands wird. "Mir ist kein Einsatz in ähnlicher Größenordnung bekannt", sagte BKA-Chef Jörg Ziercke. Die Sicherheitsmaßnahmen und die immensen Ausgaben stoßen nicht überall auf Gegenliebe: "Hier wird eine demokratiefreie Zone geschaffen", fürchtet Monty Schädel, der Sprecher des Rostocker Bündnisses gegen den G8-Gipfel, und organisiert mit vielen Mitstreitern eine gewaltige Protestbewegung. Vom 5. bis 7. Juni haben rund 40 Nichtregierungsorganisationen in der Hansestadt Rostock einen G8-Alternativgipfel zur globalen Gerechtigkeit geplant. Veranstalter sind neben Attac unter anderem der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Misereor, die IG Metall und Pro Asyl.

Verfassungsschutz warnt vor Anschlägen

Der parteilose Oberbürgermeister Roland Methling hat bereits erklärt, daß auch Gipfel-Protest ein legitimes Mittel in der demokratischen Auseinandersetzung sei, und will den G8-Gegnern öffentliche Räume zur Verfügung stellen. Doch abseits von den Gegendemonstrationen mit quasioffiziellem Charakter mehren sich die Anzeichen, daß sich innerhalb der großen Koalition von Gipfelgegnern auch "Partner" finden, die vor Gewalttaten nicht zurückschrecken. Das Bundesamt für Verfassungsschutz befürchtet massive Anschläge von Linksextremisten. Es sei zu erwarten, daß die bereits im Sommer 2005 begonnene "militante Kampagne" fortgesetzt werde, heißt es aus der Behörde. Bislang haben Linksextremisten aus Protest gegen Gipfel 13 Brandanschläge verübt, ein weiterer Versuch mißlang. Die spektakulärste Aktion war der Angriff auf das Haus von Thomas Mirow (SPD), Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, in Hamburg. Ende Dezember 2006 hatten die bislang nicht ermittelten Täter den Pkw der Ehefrau Mirows in Brand gesetzt
(JF 2/07). Zu dem Anschlag bekannte sich eine "AG Kolonialismus und Krieg". In diesem antikapitalistischen Ringelreigen darf natürlich auch die Linkspartei nicht fehlen. Obwohl zumindest in Mitteldeutschland stramm auf Kurs der Regierungsbeteiligungen, versucht die Truppe um Gregor Gysi und Oskar Lafontaine alles, um die vor allem westdeutsche Protest-Klientel nicht zu verprellen. Der mecklenburgische Landesvorstand warnte vor einer "Sicherheitshysterie". Die Bewegung dürfe nicht von vornherein in die terroristische oder gewaltbereite Ecke gestellt werden, sagte Landeschef Peter Ritter. "Es darf nicht der Eindruck erweckt werden, daß sich bei uns die Gesamtheit der Extremisten weltweit trifft. Wir müssen uns vielmehr die Frage stellen, ob wir nicht von der Gewaltdiskussion wegkommen und uns mit den politischen Themen des Gipfels auseinandersetzen wollen." So stören sich nicht nur die Vertreter der Linksparten an den immensen Kosten, die das Treffen der Wirtschaftsführer verursacht. Rund 70 Millionen Euro fließen aus den Landeskassen, um den Teilnehmern den Aufenthalt so sicher und angenehm wie möglich zu machen. Weitere 24 Millionen schießt der Bund zu.

Auch die NPD hat eine Demonstration angekündigt

Dennoch brannte Streit auf, wer für die Unterbringung der Demonstranten aufkommen solle. Die Landesregierung sieht die Landkreise und Kommunen in der Pflicht. Beim vergangenen G8-Gipfel im schottischen Gleneagles rückte knapp eine Viertelmillion Demonstranten an. In Mecklenburg wird mindestens die gleiche Anzahl erwartet. Diese Menschenmasse benötigt Schlafplätze, Toiletten und Waschmöglichkeiten. "In ein Sterne-Hotel werden wohl nur die wenigsten freiwillig ziehen", mutmaßt man in Sicherheitskreisen. Adolf Riekenberg vom Attac-Koordinierungskreis sieht die Gefahr, daß wilde Camps entstehen. "Unzufriedene und schlecht untergebrachte Gipfelgegner bedeuten ein nicht kalkulierbares Risiko", konstatiert denn auch das BKA. Kein Wunder, daß auch die NPD aus dem sich anbahnenden Chaos Profit schlagen will.

Bereits für den 2. Juni habe die NPD eine Kundgebung bei der Stadtverwaltung Schwerin angemeldet, teilte Polizeichef Ulrich Tauchel mit. Rund 1.500 Mitglieder und Sympathisanten der NPD wollen unter dem Motto "Nein zum G8-Gipfel - für eine Welt freier Völker" aufmarschieren. Ein Schweriner "Bürgerbündnis gegen Rechts" hat als Reaktion darauf ein Fest für Demokratie und Menschenrechte ebenfalls für den 2. Juni angemeldet - mit dem Segen der Stadt. Leidtragende dieser Entwicklung sind die Polizeibeamten. Müssen sie sich doch nicht nur mit den Gipfelgegnern auseinandersetzen, sondern auch noch verhindern, daß linke und rechte Extremisten aufeinandertreffen. So herrscht im gesamten Bundesland ab Anfang Juni absolute Urlaubssperre.

Foto: Ein Sicherheitszaun soll das Tagungshotel schützen: Größter Polizeieinsatz der Geschichte


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