© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/07 13. April 2007

Experten präsentieren kryptischen Zahlensalat
Familienpolitik: Weiter Streit um Finanzierung der Kinderbetreuung / Studie zeigt, daß sich der Ausbau der Krippenplätze selbst tragen könnte
Ellen Kositza

Mitunter trifft gerade ein kommunikatives Mißverständnis den Nagel so richtig auf den Kopf. Beispielsweise hier: Will man sich im Internet über die neuesten Kommentare zur Krippendebatte informieren, fragt die Suchmaschine keck zurück: Meinen Sie Kryptodebatte? Ja, kryptisch ist der Zahlensalat allemal, der zu diesem Thema serviert wird. Wer bereits einmal Fachbücher zur effektiven Geflügelhaltung an der gerade noch vertretbaren Grenze der Artgerechtigkeit gewälzt hat, steigt vielleicht etwas leichter durch die aktuelle Bedarfs- und Finanzierungsdiskussion. Wieviel Platz und welche Futtermenge müssen gewährleistet sein, damit die Produktivität nicht leidet? Der Expertenrat für die Geflügelzucht hält hierfür eine Vielzahl von Tabellen bereit. Klar, daß die Frage nach der Priorität von Henne oder Ei den Philosophen vorbehalten bleibt.

Federvieh und Kinder, das ist durchaus vergleichbar. Zumindest für den, der vor lauter Wald die Bäume nicht mehr wahrnimmt. Zahlenmeister müssen wohl so gestrickt sein. Jene Zahlenmeister, die Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen beschäftigt, gehen von einem Bedarf an Krippenplätzen für ein- und zweijährige Kinder in Höhe von mindestens 750.000 (heute: rund 250.000) aus. Bis 2013 soll dieser Bedarf bundesweit gedeckt sein. Bereits da wird die Rechnerei kryptisch: Jedem dritten Kind will die Ministerin einen Platz sichern. Bei einer wohlwollend angenommenen Geburtenzahl von 1,4 Millionen Kindern innerhalb zweier Jahrgänge wären weniger als 500.000 Plätze nötig. Von der Leyens Rechnung ginge auf, wenn bereits ab Geburt Plätze bereitgestellt werden sollten.

Das dafür nötige Geld - von der Leyen spricht von rund drei Milliarden jährlich, ihre Kritiker setzen das Doppelte an - soll weitgehend aus Steuermitteln fließen. Die SPD hatte 2003 von einem Ausbau um 286.000 neuer Krippenplätze gesprochen, will sich aber nun von den Plänen der CDU-Ministerin nicht übertrumpfen lassen. Daher möchte sie von der Leyens Pläne auf 830. 000 Betreuungsplätze ausweiten und dies bereits 2010 verwirklicht sehen, verknüpft mit einem Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz, den die Eltern ab dem ersten Geburtstag ihres Kindes einfordern können. Kostenpunkt: geschätzte 9, 2 Milliarden Euro.

Zur Debatte, das zeigte zuletzt auch der "Krippengipfel" in Berlin Anfang April, steht dreierlei: Woher sollen die Investitionen kommen (vom Bund, den Ländern oder den Kommunen?), wohin sollen sie fließen (im Osten ist der Bedarf an Krippen ja teilweise bereits gedeckt), und zuletzt: Woran orientiert sich der gemutmaßte Bedarf an Fremdbetreuung? Die Bundesregierung hat die letzte Frage (die eigentlich die ursächliche sein sollte) bislang nie repräsentativ ermitteln lassen. Dies hat jetzt das krippenskeptische Familiennetzwerk Deutschland unternommen. Eine Repräsentativbefragung des Meinungsforschungsinstituts Ipsos ergab, daß 70 Prozent aller Eltern ihr Kind wenigstens die ersten drei Jahre zu Hause betreuen würden, wenn ihnen monatlich 1.000 Euro (ein Krippenplatz kostet den Staat - auch hier gibt es unterschiedliche Berechnungen - mindestens das Doppelte) zur Verfügung gestellt würden. Knapp 80 Prozent der Mütter würden nicht vor Ablauf des dritten Lebensjahres an den Arbeitsplatz zurückkehren wollen, wenn dieser ihnen überdies freigehalten würde. Demnach geht das Familiennetzwerk von nur 100.000 neu zu schaffenden Betreuungsplätzen für Kleinstkinder aus. Ein Finanzierungskonzept steht so oder so aus. Die Familienministerin will ihres in der kommenden Woche vorstellen.

SPD will das Kindergeld einfrieren

Bislang tendiert die CDU dazu, die Kosten für den Bund aus Steuermitteln aufzubringen, während die SPD das Kindergeld einfrieren möchte und Abstriche beim Ehegattensplitting für Besserverdienende plant. Das Berliner Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) hat nun mittels einer Studie eine Art Perpetuum mobile entworfen, wonach sich die von anderen Seiten zu horrenden Milliardenbeiträgen summierenden Kosten nahezu gegen Null rechnen ließen. Diese FiBS-Studie hat es in sich. Unterm Strich verheißt die Rechnung dort, daß bereits durch den Beschäftigungseffekt, der sich durch ein Plus an erwerbstätigen Müttern und die dadurch zu erwartenden Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen ergäbe, die laufenden Mehrausgaben gedeckt würden; hinzu kämen demographisch bedingte Minderausgaben vor allem an Kindergeldzahlungen. "Der Ausbau könnte sich quasi selbst finanzieren", sagt FiBS-Direktor Dieter Dohmen.

Will heißen: Die werktätige Mutter wird ihn zahlen. Für verbleibende Ausgaben, so mutmaßte Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU), werde man wohl weitere Schulden machen müssen: "Am Ende", so Milbradt, "finanzieren unsere Kinder ihre Kinderbetreuung selbst." Das Fazit deckt sich jedenfalls mit dem Grundtenor der Geflügel-Literatur: Gluckende Hennen sind unökonomisch. Das Brüten ist ihnen abzugewöhnen.

Die FiBS-Studie im Internet: www.fibs-koeln.de 


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