© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/07 06. April 2007

Ein Kaplan mit den Kommunisten im "Friedenskampf"
Vor siebzig Jahren erregte der Prozeß gegen den Düsseldorfer katholischen Geistlichen Joseph Rossaint im In- und Ausland Aufsehen
Manfred Müller

Prozeß gegen Kaplan Possaint enthüllt Zusammenarbeit der ehemaligen Zentrumsclique mit K.P.D. Von Gott verlassen. Dieses Gezücht muß man mit Stumpf und Stil ausrotten." Dies vertraute am 10. April 1937 Reichspropagandaminister Joseph Goebbels seinem Tagebuch an. Auch in späteren Eintragungen erregte sich Goebbels gegen das "Schwein" Rossaint. Goebbels sorgte für eine Pressekampagne zum sogenannten Berliner Katholikenprozeß, mit dem die Nationalsozialisten die organisierte katholische Jugend staatspolitisch und moralisch diskreditieren und den NS-kritischen Teilen des deutschen Katholizismus einen schweren Schlag versetzen wollten.

Hauptangeklagte vor dem 2. Senat des Volksgerichtshofes waren der Düsseldorfer Kaplan Joseph Rossaint (Jahrgang 1902) und der zwei Jahre jüngere Franz Steber, ehemaliger Reichsführer der Sturmschar, einer Eliteformation des Katholischen Jungmännerverbandes (KJMV). Angeklagt waren weiterhin Kaplan Jakob Clemens, Generalsekretär des KJMV, ein weiterer Priester und drei Laien. Das Delikt: Vorbereitung zum Hochverrat. Ab Januar 1936 hatte die Gestapo zugeschlagen. Eine Verhaftungswelle erfaßte nahezu alle Diözesanführer und Gauführer sowie zahlreiche Aktivisten der Sturmschar. Unter den verhafteten Priestern waren Prälat Ludwig Wolker, Generalpräses des KJMV, und Kaplan Otto Spülbeck (später in der DDR Bischof von Meißen). Selbst scharfe Gestapo-Verhöre erbrachten allerdings wenig Material, das für einen Schauprozeß verwertbar gewesen wäre, so daß die meisten Verhafteten nach und nach freikamen.

Am 7. April begann der Prozeß, der weit über Deutschland hinaus Aufsehen erregte. Das zentrale Ereignis, das mitsamt den Weiterungen von der Anklagevertretung und der gleichgeschalteten Presse stark aufgebauscht wurde, hatte am Allerheiligentag 1933 stattgefunden. In der Mittagspause einer Führertagung hatte Steber eine Reihe von Teilnehmern in die Wohnung Rossaints gebracht. Rossaint war damals stellvertretender Bezirkspräses des KJMV und Gaukaplan der Sturmschar. Bei Rossaint referierte die im Untergrund lebende kommunistische Jugendfunktionärin Berta Karg über das kulturelle Leben in der Sowjetunion und diskutierte darüber und über die Möglichkeiten einer "antifaschistischen" Zusammenarbeit mit den anwesenden katholischen Jugendführern.

In den folgenden Monaten kam es zu weiteren Kontakten und Treffen mit Karg und anderen Funktionären der illegalen kommunistischen Jugend. Die waren von Rossaint in der naiven Annahme bestärkt worden, man könne so vielleicht den einen oder anderen Kommunisten für den katholischen Glauben (zurück)gewinnen.

Rossaint hatte bis Juli 1932 in einer Arbeiterpfarrei der Ruhrgebietsstadt Oberhausen aufsehenerregende, erfolgreiche Jugendarbeit betrieben und sich vor allem um junge Erwerbslose gekümmert. Dabei hatte er Kontakte zu jungen Kommunisten aufgenommen. Den Nationalsozialismus hielt er für weit schlimmer als den Bolschewismus. "Gegen Hakenkreuz und Sowjetstern!" - diese Losung der katholischen Jugend formte er in Oberhausen um: "Eine große einheitliche Front der katholischen Jugendverbände (...) kämpft gegen Hakenkreuz und Nationalsozialismus."

Nach 1945 Vorzeigefigur kommunistischer Gruppen

Auch als radikaler Pazifist sah Rossaint in der NS-Bewegung die schlimmste Herausforderung. Als die Zentrumspartei 1933 dem Ermächtigungsgesetz zustimmte, trat er aus der Partei aus. Wie der Heilige Franziskus und wie der Berliner Großstadtapostel Carl Sonnenschein lebte Rossaint überaus karg und bescheiden. Er half, wo er konnte, auch Kommunisten im Untergrund und deren Familienangehörigen. Ende Januar 1934 traf sich Rossaint mit Ewald Kaiser, einem Spitzenfunktionär des kommunistischen Jugendverbandes. Kaiser drängte Rossaint zur Herausgabe eines Aufrufs, der eine katholisch-kommunistische Jugendeinheitsfront initiieren sollte. Der Kaplan hatte noch einige Bedenken, kurz darauf wurden Kaiser und andere Kontaktleute verhaftet, so daß dieser Aufruf unterblieb.

Am 28. April 1937 fällte der Volksgerichtshof das Urteil. Rossaint erhielt elf Jahre Zuchthaus. Steber bekam fünf Jahre Zuchthaus; drei der fünf weiteren Angeklagten wurden freigesprochen. Die drei Freigesprochenen wurden durch einen prominenten Anwalt verteidigt: Oswald Freisler, Träger des Goldenen Parteiabzeichens, Bruder des damaligen Staatssekretärs im Reichsjustizministerium, Roland Freisler (später Präsident des Volksgerichtshofs). Goebbels war wütend, erreichte, daß Hitler persönlich Oswald Freisler aus der NSDAP ausstieß. Oswald Freisler verübte 1939 Selbstmord in der Untersuchungshaft.

Im Auftrag von Kardinal Schulte beobachtete Monsignore Corsten vom Kölner Generalvikariat den Prozeß. Die Reaktion Corstens auf das, was im Prozeß über Rossaint aufgedeckt wurde, hielt der Berliner Domvikar Walter Adolph in einer Notiz fest: "Er meinte, daß Rossaint unglaubliche Dummheiten begangen hätte, wenn er sie richtig überlege, hätte Rossaint eigentlich Prügel verdient, aber kein Zuchthaus." Schon vor dem Prozeß hatte Kardinal Schulte sich in einer Audienz bei Papst Pius XI. am 17. Januar 1937 von Rossaint distanziert: "Ein junger Geistlicher, aus phantastischen Gründen wollte er die Sowjets bekehren."

Aus dem Ausland wurde der Prozeß heftig kritisiert. In Deutschland bestärkte er die antiklerikal Gestimmten in ihren Auffassungen. Unter den deutschen Katholiken fanden die Angeklagten bei einer Minderheit Zustimmung. Die Mehrheitsmeinung wurde vom KJMV scharf formuliert: "Gerade in der gegenwärtigen Zeit der Weltbedrohung durch den Bolschewismus bleibt es ganz wesentliche Aufgabe der katholischen Jugend, den Staat in seiner Aufgabe der Bekämpfung des Kommunismus mit ganzem Einsatz zu unterstützen und durch Pflege vaterländischer Gesinnung und Abwehr bolschewistischer Gedanken und Bestrebungen diesen Kampf zu fördern."

Rossaint nahm 1945 nach seiner Befreiung aus dem Zuchthaus den priesterlichen Dienst nicht wieder auf. Er wurde eine Vorzeigefigur kommunistisch inspirierter Organisationen. Unter anderem war er langjähriger Präsident des kommunistischen Opferverbandes Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten. Am Ende seines "Friedenskampfes" söhnte er sich 1991 auf dem Sterbebett mit seiner Kirche aus.


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