© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/07 06. April 2007

Kapital ohne Heimat
Der linke Publizist Jürgen Elsässer und die "Heuschrecken"
Bernd Rabehl

Jürgen Elsässer, linker Journalist bei der Jungen Welt, der antideutschen Jungle World, Konkret und Freitag, bringt in seinem Buch eine Einschätzung zum heutigen Zustandes des Kapitalismus, vermeidet jedoch eine politökonomische Analyse der globalen Wirtschaft. Statt dessen flüchtet er sich in Bilder und Gleichnisse von Parasiten, Insekten und Heuschrecken. Er umschreibt die neuesten Formen der Spekulation als Kombination technologischer Produktivität und Destruktion und entdeckt diese Sprengkräfte in den Hedgefonds, der nordamerikanischen Rüstungspolitik und in der Besetzung der weltweiten Rohstofflager durch die USA. Zur Massenarbeitslosigkeit gesellen sich die Marginalisierung und Verarmung immer größerer Bevölkerungsgruppen.

Die produktiven Klassen stellen inzwischen eine soziale Minderheit dar, während die Mehrheit der Völker Europas ein "Prekariat" bilden, das sich zusammensetzt aus neuen Formen "unproduktiver Arbeit", Gelegenheits- und Teilarbeit in den Sektoren der Dienstleistung oder des Überlebenskampfes. Dieser neue Teil der "Bevölkerung" wird durch Arbeitslosigkeit oder Mangel an auskömmlicher Beschäftigung, Krankheit, Armut und soziales Elend geprägt. Er umfaßt alle Generationen. So bildet sich eine Massengesellschaft heraus, die nur bedingt über Gewerkschaften, Interessengruppen und Parteien organisierbar ist und die den inneren Zusammenhalt einer solidarischen Gemeinschaft verliert. Derartige Massen sind Objekte der Manipulation und der Inszenierung von Events und Medienhypes.

Elsässers Stärke liegt in der Polemik, in der Überzeichnung von Personen und Situationen. Er arbeitet mit den Themen und Mythen der Medien. "Investoren" überfallen heuschreckenartig das Land und fressen alles kahl. Ein "Todesstern" aus einer anderen Welt kreist am Horizont und entsendet "Todesstrahlen" auf die Städte und Dörfer. "Aliens" nehmen das Land in Besitz und saugen sich hinein in die Gehirne und Seelen der Menschen, "entkörpern" sie und lassen sie als Folien und Müll liegen. Der "globale Kapitalismus" wird mit diesen Gleichnissen umschrieben, aber eben nicht analysiert.

Elsässer will seine Empfindung von der "Auflösung aller Dinge" irgendwie thematisieren. Auch Gewerkschaftler und Sozialdemokraten sprachen schon von "Heuschrecken". Sie wurden von den Medien sofort zurechtgewiesen. Die Anonymisierung von Managern und Bankern und ihre Karikierung zu "Parasiten" galt sogleich als antisemitische Hetze und Reminiszenz an NS-Propaganda. Elsässer läßt sich von solchen Vorwürfen nicht beeindrucken und nimmt trotzdem dieses Bild auf.

Er will vor allem klarstellen, daß diese Wirtschaftsform jede nationale Bindung verloren hat. Die deutschen Monopolgruppen, die bis zur Wiedervereinigung eine Art Deutschland abgebildet hatten, um der staatlichen Konjunkturpolitik einen Rahmen zu geben, mußten sich inzwischen den internationalen Interessen öffnen. Große Aktienanteile wurden ins Ausland verkauft. Die globalisierten Großkonzerne unterlaufen alle Anstrengungen von Arbeitsbeschaffung oder Konjunkturmaßnahmen. Der deutsche Staat hat heute seine Souveränität an diese Monopolgruppen und an einen seinerseits globalen abhängigen Superstaat in Brüssel verloren. Dieser partiellen Entrechtlichung und Entstaatlichung liefen Prozesse der Entdemokratisierung parallel. Weder das Europäische Parlament in Straßburg noch der Rat der Regierungschefs hat die Kompetenz, den Kommissarsstaat unter Kontrolle zu nehmen.

Jürgen Elsässer: Angriff der Heuschrecken. Zerstörung der Nationen und globaler Krieg. Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn 2007, gebunden, 222 Seiten, 17,90 Euro


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