© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/07 06. April 2007

"Im Dunkeln tun, was wir können"
Dem Zeitgeist zum Trotz: Die 7. Winterakademie des Instituts für Staatspolitik widmete sich dem Christentum
Wolfgang Saur

Über das Christentum in Vergangenheit und Gegenwart verständigten sich die Teilnehmer der 7. Winterakademie des IfS vom 15. bis 18. März in Schnellroda. Die Tagung ergänzt thematisch frühere Fragestellungen zu "Mythos", "Identität" und "Religion". Der schon siebenjährigen Institutsarbeit entsprachen dabei der große Ernst, die Konzentration und intensive Reflexion samt den kontroversen Debatten. Vier Hauptvorträge samt vielschichtiger Diskussion konzentrierten sich dabei auf zentrale Aspekte unserer europäischen Identität: das Abendland, Religion als Institution, Christentum und Islam, das reformatorische Anliegen und das Schicksal des Protestantismus.

Den großen Atem brachte Karlheinz Weißmanns Beitrag, der unterm Stichwort "Abendland" das Christentum in weltgeschichtliche Perspektiven stellte, Rankes Idee von unserem Erbe (antike Bildung, christlicher Glaube, germanischer Beitrag) variierend. Dabei gewann die Wanderung Christi vom hellenistischen Ausgang bis zur Renaissance ein polyphones, nach dem Gesetz von Auflösung, Umprägung, Kontinuität gewachsenes Profil. Prägten die frühchristliche Umwelt monotheistische und synkretistische Tendenzen, Verinnerlichung und Platonismus, zerbrach am Ende des Mittelalters die Einheit in Vielfalt. Das reformatorische Gewissenskonzept verstärkte die metaphysische Unruhe als inneren und äußeren Zwiespalt. Diese konstitutive, dann moderne "Gebrochenheit" zog sich als Topos durch alle Gespräche. Daß sie nicht Erosion bedeuten muß, zeigte Weißmann am deutschen "Sonderweg", der um 1800 Religion bestätigt, ja vertieft hat. Festzuhalten bleibt, daß Weißmanns integrale Sichtweise, die Themen universalhistorisch reflektiert, das konservative Prinzip der langen Erinnerung, der großen Tradition glänzend erfüllt.

Wie sollte eine "christliche Mobilmachung" aussehen?

Der vielleicht wichtigste Tagungsbeitrag kam von Erik Lehnert (Berlin). Er formulierte Strukturgesetzliches zu Religion und Institution - im Anschluß an Durkheim, Weber, Gehlen. Seine philosophiegeschichtlich konzise Skizze zeigte, wie Gehlen den nachhegelianischen Theoriediskurs vom "objektiven Geist" mit der skeptischen Anthropologie zusammengeführt und über den Handlungsbegriff seine Institutionslehre aufgebaut hat. Er unterstrich Gehlens Gedanken der "Überdeterminiertheit": den semantischen Überschuß, die Mehrfunktionalität wahrer Institutionen. Dagegen stellen sich moderne "Organisationen" als Schwundform dar. Ursächlich sieht Gehlen hier das monotheistische Prinzip, dann die industrielle Revolution am Werk. Deren Auswirkung behandelt sein kulturkritisches Buch "Die Seele im technischen Zeitalter". Die Komplikationen der Subjektivität schlagen auch auf die Kirchen durch. Sie können die "Dauerreflexion" nur bedingt integrieren, sind sie doch geschwächt durch Entzug mythischer Legitimation. Manches von der Entfremdung zwischen depotenzierten Kirchen und destabilisierten Menschen, von objektivem Offenbarungsanspruch und subjektiver Sinnsuche wurde deutlich in der anschließenden Debatte. Der Glaube hängt heute in der Luft, der Einzelne aber ist zum Schnittpunkt zahlloser Milieus, Funktionssysteme, Rollenerwartungen und divergierender Werte geworden. Seine aporetische Situation ist diffus und fragmentiert, sie zwingt zur persönlichen Entscheidung. Das ist dann Peter Bergers "Zwang zur Häresie".

Die Entkoppelung von (effektivem) System und ("kolonialisierter") Lebenswelt, dann die Abwertung des Christlichen als Segment des religiösen Markts zur individuellen Funktion erschweren im kulturellen clash die nachhaltige Reaktion. Wie sollte angesichts des Islam eine "christliche Mobilmachung" (Institutsleiter Götz Kubitschek) denn aussehen? Strukturelle Pluralisierung und interne Differenzierung scheinen für westliche Gesellschaften eine kollektive Bündelung der Kräfte auszuschließen. Daß sich umgekehrt weltanschauliche und politische Energien islamistisch sehr wohl formieren lassen, macht die Koexistenz prekär.

Das verdeutlichten Referat und Diskussion von Heinz-Josef Fabry ("Das Christentum und der Islam") aus Bonn, der gleich mit der Frage begann: Was sollen wir dem Islam entgegensetzen? Eine überpersönliche Struktur, als kulturelle Matrix oder gar politische Aktionsform, fehlt in den westlichen Industrienationen. Nur der katholischen Kirche als Weltorganisation kommt hier Gewicht zu. So sprach Fabry zunächst von der päpstlichen Regensburger Rede, deren Thema er als Einheit von Glauben und Vernunft bestimmte. Gegen Verstandesreduktion hält Benedikt XVI. am gläubigen Logos fest. Nur dessen universales Vernunftpotential verhindere die subkulturelle Abdrängung des Glaubens und mache einen substantiellen Religionsdialog nach außen möglich.

Fabry rekonstruierte die gemeinsame Basis von Islam und Christentum biblisch in den Traditionslinien Ismaels und Isaaks, exponierte dann das Trennende mit Inkarnation, Trinität und historischer Kritik. Letztere wurde breit erörtert als Schwäche oder Stärke, was in die Frage mündete, ob so ein Glaube "zerdacht" oder "gebrochen" werden könne. Fabry nimmt die wachsende Polarisierung beider Religionen wahr, setzt skeptisch hoffend indes auf Dialog und fordert soziale Gerechtigkeit, gleiche Bildungsstandards, mehrseitige Toleranz und ein globales Ethos für die gelingende Koexistenz.

Der Leipziger Theologe Karl-Hermann Kandler sprach über historische Gründe und bleibende Bedeutung der Reformation. Sie sei eine ewige Aufgabe, zumal heute, wo es - dem Zeitgeist zum Trotz - darauf ankomme, Fundamente festzuhalten und Gottes Reich unbeirrt in seinem Wort zu verkünden.

Kritisches Bewußtsein aus jugendlichem Tatendrang

Im folgenden Podiumsgespräch zeigte Karlheinz Weißmann pessimistisch Krisensymptome auf. Die "Pastorenkirche" sei zur "Funktionärskirche" geworden, die wesentlichen Bestände seit 1918 aufgebraucht. Bleibe das Grundproblem: wie evangelische Kirche jenseits des Organisationszusammenhangs theologisch zu begründen sei. Recht idealistisch erscheint sein Vorschlag, nach dem Vorgang Schleiermachers mit einer Offensive den Intellektuellen die Rolle einer neuen religiösen Avantgarde anzutragen.

Den byzantinischen Traditionsstrang reflektierte ein Besuch in der russischen Kirche Weimars, beim orthodoxen Popen Michael Rah. Aus christlichem Geist des Herzens gab er Hinweise und deutete Liturgik und Bilderkult. In der Tat sind Ikonen in der Ostkirche sakramental qualifiziert als "himmlische Fenster"; sie zeigen die Realpräsenz der Heiligen, ihre kultische Verehrung und Wundertätigkeit. Schon ihre Zeichnung ist liturgisch strukturiert, den Schöpfungsgang vollziehen sie kompositorisch nach.

Wenn auch ein Beitrag zur christlichen Kunst fehlte, so schaffte Karlheinz Weißmann doch Ausgleich mit seiner Diaserie zum Bildmodell des Drachentöters. Reiches Bildmaterial zu Ikonographie und Emblematik wurde hier ausgeschüttet und analysiert, wobei die Beispiele bis in Gegenwart und profane Medien hineinreichten: ein universalistischer Aspekt von Weißmanns Zeichenlehre, die sein Buch "Mythen und Symbole" fundiert.

Den zeitlichen Freiraum nutzte Götz Kubitschek produktiv zur Bilanzierung des bisher Geleisteten. Dabei umriß er die Institutsperspektiven für die kommenden Jahre. Grundlegend dabei sein Konzept rechtsintellektueller Mentalitätsprägung: jugendlichen Veränderungswillen in kritisches Bewußtsein zu transformieren. In unserer verzweifelt komplexen Lage zielt er auf einen "Existentialismus des konkreten Handelns", einen "Dritten Weg" - im Sinn Gottfried Benns: "Im Dunkel leben, im Dunkeln tun, was wir können".

Foto: Friedhofskapelle: Kann ein Glaube kritisch "zerdacht" werden?

Kontakt: Institut für Staatspolitik, Rittergut Schnellroda, 06268 Abersroda. Tel./Fax: 03 46 32 / 9 09 42


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