© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/07 06. April 2007

Erst die Tempel, dann der Ackerbau
Die ältesten Monumente der Menschheit: Eine Ausstellung in Karlsruhe präsentiert sensationelle Funde
Karlheinz Weissmann

Die große Ausstellung im Badischen Landesmuseum Schloß Karlsruhe gehört sicher zu den wichtigsten des Jahres. Allerdings ist fraglich, ob das auch so wahrgenommen wird. Es gibt weder Gold noch Edelsteine zu bestaunen, keine Mumien oder exotischen Schmuckstücke. Unter den mehr als fünfhundert Exponaten findet man vor allem Artefakte aus Stein und Ton, deren Bedeutung sich nur daraus erklärt, daß sie einer Kultur zugerechnet werden, die - wie der Titel der Ausstellung sagt - "Die ältesten Monumente der Menschheit" hervorbrachte, lange vor Stonehenge oder den Pyramiden von Gizeh.

Wir kennen weder den Namen des Volkes, das diese Monumente schuf, noch wissen wir Sicheres über seine religiösen oder sozialen Vorstellungen. Fest steht nur, daß es vor etwa 12.000 Jahren im anatolischen Raum - am Rand des "Fruchtbaren Halbmonds" - eine neue Zivilisationsform entwickelte, die sich in der Folgezeit ausbreitete und zur Grundlage aller Hochkulturen wurde. Die jüngeren Siedlungen von Çatal Höyük mit ihren Pueblos, den Muttergottheiten und Stierköpfen, die auf das 8. und 7. Jahrtausend vor Christus datiert werden, waren den Archäologen schon länger bekannt. In Karlsruhe sieht man nicht nur eindrucksvolle Skulpturen aus Çatal Höyük, sondern auch die Rekonstruktion eines Hauses und des Schreins mit furchteinflößenden Totenvögeln und kopflosen Menschen, außerdem Werkzeuge und zahllose kleine Utensilien, die einen Eindruck von der Welt der ersten Ackerbauern und Viehzüchter verschaffen.

Trotz der beeindruckenden Größe Çatal Höyüks, das bis zu sechstausend Einwohner hatte, muß man sich von der Vorstellung einer neolithischen "Stadt" trennen; es fehlen Hinweise auf Zentralisierung, Verwaltungsgebäude und eine durchgängige Arbeitsteilung. Zu korrigieren ist auch die Interpretation als Beleg für eine egalitäre und matriarchal verfaßte Gesellschaft; entsprechend gedeutete Funde erscheinen mittlerweile in einem anderen Licht.

Unbekannter als die Funde von Çatal Höyük sind die aus den älteren Siedlungen von Cayonü, Nevalı Çori oder Urfa, die in Karlsruhe ausgestellt werden, darunter die früheste Darstellung eines Menschen in natürlicher Größe, wahrscheinlich die Figur eines männlichen Gottes.

Als eigentliche Sensation wird man indes die Exponate aus Göbekli Tepe zu betrachten haben. Ihre Bergung und Interpretation ist vor allem dem Bamberger Archäologen Klaus Schmidt zu verdanken, der seit 1994 Grabungen in der türkischen Euphratregion durchführt. Die dabei von ihm gefundene neolithische Siedlung ist, folgt man Schmidt, nicht aufgrund ökologischer oder ökonomischer Zwänge entstanden. Die Anfänge fester Besiedlung hatten vielmehr kultische Ursachen. Überraschenderweise fand man auf dem Göbekli Tepe weder Wohnhäuser noch Befestigungen, sondern monumentale Kreisanlagen, deren religiöser Zweck offensichtlich ist. Bisher konnte nur ein Teil dieser "ersten Tempel" freigelegt werden, man rechnet mit insgesamt zwanzig weiteren unter Schutt und Erde und etwa 200 Pfeilern, die noch ans Tageslicht kommen sollen.

Nach Schmidt war der Göbekli Tepe "... ein riesiger Zentralplatz des Neolithikums mit primär religiöser Bedeutung". Bemerkenswerterweise wurde der Komplex auf einem weithin sichtbaren Kalkrücken von etwa 800 Metern Höhe nicht von frühen Ackerbauern geschaffen, sondern von Jägern. Darauf deuten auch die Symbole an den megalithischen Bauten hin, die Löwe, Stier, Fuchs, Keiler, Kranich und andere Vögel darstellten, oft erkennbar männlichen Geschlechts und in drohender Haltung, außerdem giftige Schlangen, Spinnen und Skorpione, aber niemals domestizierte Tiere.

Es wurde in Göbekli Tepe eine Reihe von Skulpturen mit entsprechenden Motiven gefunden, weitere Belege sind die Flachreliefs der mehr als drei Meter hohen Steinsäulen, die als Repliken in Originalgröße präsentiert werden. Deren T-Form ist ihrerseits kein Zufall, sondern soll wohl an den Umriß eines Menschen erinnern; darauf deuten auch an beiden Seiten erkennbaren Arme hin. Zu den merkwürdigsten Funden auf dem Göbleki Tepe gehören Miniaturen der Säulen, die offenbar als Devotionalien betrachtet wurden.

Göbekli Tepe ist deutlich älter als die sonstigen Zentren in Anatolien. Die Besiedlung geht auf das 10. Jahrtausend vor Christus zurück. Damals, am Ende der letzten Eiszeit, gab es in der umgebenden Parklandschaft sehr viel Wild und Früchte, die allerdings bloß Jägern und Sammlern genügend Nahrung boten, keiner stationären Menschengruppe von der Größe, wie sie für die Steinbruch- und Bauarbeiten nötig gewesen wäre. Schmidt glaubt deshalb, daß nur eine Gruppe von Priestern in Göbekli Tepe dauerhaft lebte und die Umherziehenden lediglich zusammenkamen, wenn rituelle Handlungen im Heiligtum vollzogen wurden.

Karlsruhe zeigt viele Gegenstände aus dem profanen Lebensbereich der neolithischen Kulturen: Handwerkszeug und Waffen, Schmuck aus Muscheln und Steinperlen, Gefäße für praktischen Gebrauch, Petschaften, aber am eindrucksvollsten sind die erwähnten Säulen, Bilder und Statuen, die Götter, Heroen oder mythische Tiere darstellten. Sie wirken weniger primitiv als stilisiert und streng. Es sind Überreste einer versunkenen Welt, die wir kaum verstehen, die aber noch große Faszination ausübt.

Ihr Auftauchen wird wahrscheinlich immer genauso ein Rätsel bleiben wie ihr Untergang. Irgendwann im 8. Jahrtausend vor Christus gaben die Bewohner Göbekli Tepe auf. Allerdings fiel das Heiligtum keiner wahllosen Zerstörung zum Opfer, sondern wurde sorgfältig mit dreihundert bis fünfhundert Kubikmetern Erde gefüllt. Vielleicht war der Grund ein Glaubenswechsel, das Auftreten neuer Götter und neuer Lebensweisen, eine der "symbolischen Revolutionen" (Jacques Cauvin), die die Jungsteinzeit kennzeichneten.

Schon die Jäger lebten nicht vom Wild allein

Jedenfalls muß man sich von der Vorstellung lösen, daß diese Phase der Vorgeschichte mehr oder weniger ereignislos ablief. Neue Erkenntnisse zwingen uns außerdem zur Revision der üblichen Deutung des Wechsels zur Seßhaftigkeit mit Ackerbau und Viehzucht. Wahrscheinlich ging auch der "Neolithischen" eine "symbolische Revolution" voraus. Nach Schmidt legt der Göbekli Tepe "den Gedanken nahe, daß rituelles Verhalten die primäre Ursache des Übergangs von der Jäger- und Sammler-Kultur zur bäuerlichen Lebensweise ist".

Sollte das stimmen, müßte man die verbreitete Auffassung von der Bedeutung der Religion für die menschliche Existenz wohl grundsätzlich überdenken. Die materialistische Interpretation, alle Hervorbringungen des Geistes als Überbauphänomene zu betrachten, die der Entwicklung der Basis folgen, sähe sich durch die Archäologie ebenfalls in Frage gestellt.

Fotos: Kultanlage am Tempelberg Göbekli Tepe: Dauerhaft siedelte hier wohl nur eine Gruppe von Priestern, Bärenkopf und Tigerkopf aus Nevalı Çori, Kalksteinköpfchen und Vogelmensch aus Nevalı Çori

Die Ausstellung wird bis zum 17. Juni im Schloß Karlsruhe täglich außer montags 10 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr, zu sehen sein. Es ist ein sehr empfehlenswerter, reich bebilderter Katalog erschienen, der in der Ausstellung (kartoniert) 24.90 Euro, im Handel (gebunden) 29,90 Euro kostet (ab 31. Dezember: 39,90 Euro).


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