© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/07 30. März 2007

Das wahre Ungarn
Politische Zeichenlehre XIX: Trikolore und Arpadenfahne
Karlheinz Weissmann

Alle Länder mit ausgeprägter nationaler Identität kennzeichnet ein breiter Konsens über die nationalen Symbole. Der wurde oft erst nach langwierigen Auseinandersetzungen (einen Flaggenstreit kannten die USA genauso wie Frankreich, Portugal oder eben Deutschland) erreicht, besitzt dann aber eine Stabilität, die auch jede Fundamentalopposition zwingt, sich der anerkannten Zeichen zu bedienen, wenn sie demonstriert. Es geht immer nur darum, symbolisch deutlich zu machen, daß man die "wahre" gegen die "falsche" Nation vertritt.

Dieses Phänomen ist auch bei den anhaltenden Protesten rechter Gruppierungen und Parteien in Ungarn zu beobachten. Die rot-weiß-grüne Fahne ist als Nationalflagge so unbestritten, daß sie jene selbstverständlich führen, die gegen die Regierung auf die Straße gehen, Barrikaden errichten und sich Schlägereien mit der Polizei liefern. Seit der Revolution von 1848 und dem ersten Versuch, das Habsburgerreich zu verlassen und die Selbstbestimmung unter der Trikolore zu verwirklichen, wird sie als Ausdruck des magyarischen Selbstbewußtseins betrachtet, mußte schließlich sogar (im Rahmen des "Ausgleichs" 1867) von Wien akzeptiert werden, und nicht einmal die kommunistischen Machthaber wagten sie anzutasten. Der rote Stern und das Emblem auf dem Fahnentuch waren nach 1949 das einzige Zugeständnis an die sowjetischen Muster - und bei der Bevölkerung so verhaßt, daß im großen Volksaufstand von 1956, mit dem die Ungarn das Joch der sowjetischen Bevormundung und Unterdrückung abschütteln wollten, Trikoloren mit herausgerissenem Mittelteil der unmißverständliche Ausdruck des Widerstands waren.

Rasch gab es auch wieder Fahnen mit dem Landeswappen (ein geteilter Schild, auf der heraldisch rechten Seite achtfach von Rot und Weiß geteilt, auf der heraldisch linken ein grüner Dreiberg mit goldener Krone, darüber ein silbernes Doppelkreuz in Rot), das sogar auf die Panzer und Geschütze der Aufständischen gemalt wurde. Für wie unsicher man die folgende Restauration des KP-Regimes hielt, zeigte sich daran, daß die Partei nicht zur kommunistischen "Marke" zurückkehrte, sondern zukünftig einen Schild mit den Landesfarben verwendete.

Die Erinnerung an die Erhebung von 1956 verschwand in Ungarn sowenig wie die an die Revolution von 1848. Deshalb tauchten beim Zusammenbruch des Ostblocks sofort wieder rot-weiß-grüne Fahnen mit dem Loch auf, und dieses Muster wurde in vielen anderen kommunistischen Staaten als Zeichen des Protestes nachgeahmt (vor allem in Bulgarien, Rumänien und in der DDR).

Noch in anderer Hinsicht erfüllte Ungarn eine Vorreiterfunktion. Hier war zuerst jener symbolische Traditionalismus zu beobachten, der zu den überraschenden Äußerlichkeiten des Umsturzes in den sowjetisierten Ländern gehörte. Noch vor dem "U" (für "Ustascha") und dem alten Schachbrettwappen in Kroatien, dem Doppeladler in Rußland und Serbien oder der Krönung des polnischen Adlers forderte man in Ungarn die Wiedereinführung des früheren Staatswappens.

Der Hinweis auf die Bedeutung für das Horthy-Regime (1920-1944) hat diesen Prozeß nicht aufgehalten, den schließlich sogar die ehemaligen Kommunisten befürworteten. Die sonstige Symbolik der Zwischenkriegszeit blieb allerdings tabu. Das gilt vor allem für das "Pfeilkreuz" beziehungsweise "Sensenkreuz" der ungarischen Faschisten. Als einzige Reminiszenz erscheint auf seiten der rechten Demonstranten, die jetzt durch die Straßen von Budapest ziehen, die alte Arpadenfahne, das achtfach rot und weiß geteilte Tuch, entsprechend dem einen Feld des Landeswappens (die oberen Streifen häufig in einen langen Schenkel ausgezogen).

Die Arpadenfahne spielte schon nach dem Ersten Weltkrieg eine Rolle für den ungarischen Nationalismus. Sie bezieht sich auf die Zeit Großfürst Árpáds, der gegen Ende des 9. Jahrhunderts im Karpatenbecken das magyarische Großreich errichtete. Im Kollektivbewußtsein stand er immer in einer gewissen Konkurrenz zu Stefan dem Heiligen, der das Land hundert Jahre später zum Christentum führte. Solche Rückgriffe sind typisch für Weltanschauungen, die sich auf Ursprungs- oder "Einbettungsmythen" (Armin Mohler) beziehen. Über deren propagandistische Wirksamkeit ist damit allerdings noch nichts gesagt.

Die JF-Reihe "Politische Zeichenlehre" des Göttinger Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

Magyarisches Landeswappen (Abbildung)


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