© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/07 30. März 2007

Innovative Konzepte statt mehr Geld
Sozialpolitik: Bei der Pflegeversicherung zeigt sich die Große Koalition erneut reformunfähig
Jens Jessen

Bevor die bayerische Sozialministerin Christa Stewens (CSU) vorige Woche ihr Konzept für eine kapitalgedeckte Zusatzversicherung zur Pflegeversicherung (PV) vorlegte, haben schon die Junge Union (JU) und die Junge Gruppe der Union im Bundestag einen radikalen Umbau der Pflegefinanzierung gefordert.

Laut JU soll die PV komplett auf eine kapitalgedeckte Finanzierung umgestellt werden. Das bisherige Umlageverfahren müsse schrittweise abgeschafft werden. Dabei sollten nicht nur jüngere Menschen für ihre mögliche spätere Pflegebedürftigkeit vorsorgen, sondern alle Bürger und damit auch Rentner durch Einzahlungen in eine Versicherung einen Beitrag leisten.

Die JU geht mit diesen Forderungen deutlich über die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag hinaus, die lediglich zum Teil eine Kapitaldeckung vorsieht. "Es darf auf keinen Fall dasselbe passieren wie bei der Gesundheitsreform", erklärte der JU-Chef Philipp Mißfelder der Süddeutschen Zeitung. "Wir müssen die Pflegeversicherung demographiefest machen. Das ist die Kernforderung für die Verhandlungen mit der SPD."

Die CSU will dagegen alle etwa 70 Millionen gesetzlich Versicherten zum Abschluß einer privaten Zusatzversicherung verpflichten. Es geht dabei im ersten Jahr monatlich um sechs Euro. In den folgenden Jahren wird Jahr für Jahr ein Euro mehr eingeplant. Der allgemeine Pflegebeitrag soll bei 1,7 Prozent des Bruttolohnes bleiben.

"Eine Kopfprämie kommt für die SPD nicht in Frage", konterte SPD-Fraktionschef Peter Struck. "Ich bin sicher, daß die Bevölkerung höhere Pflegebeiträge akzeptiert, wenn gleichzeitig die Leistungen verbessert werden. Jeder weiß doch, daß er selbst einmal pflegebedürftig werden könnte", meinte Struck in der Berliner Zeitung. Alles spricht daher für eine Fortsetzung der Streitereien um die Pflegereform. Neue Wege sind im Gesundheitsbereich besonders schwer. Die "Reformvorschläge" erschöpfen sich bei den Großkoalitionären aber einzig in der Suche nach neuen Geldquellen. Doch es geht nicht um mehr Geld und eine zusätzliche Belastung der Versicherten. Es geht um die Struktur der Versicherungen. Pflege- und Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) versichern vergleichbare Lebensrisiken. Hier muß angesetzt werden.

Das hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) schon 2005 in seinem Gutachten angemahnt. Die Trennung von PV und GKV ermöglicht es, die Kosten zwischen beiden zu verschieben. Die unklaren Zuständigkeiten erschweren häufig die Versorgung von Pflegebedürftigen. "Von einer Umsetzung wirklich innovativer Konzepte in der Pflegepraxis kann heute ebensowenig gesprochen werden wie von einer flächendeckenden flexiblen und an Nutzerbedürfnissen orientierten Pflegeversorgung" betont der SVR. Die Pflegekassen haben es nicht nötig, auf die Effizienz der Leistungen zu achten. Wer schlecht wirtschaftet, erhält einen Finanzausgleich. Wettbewerb gibt es nicht. Der bundeseinheitliche Beitragssatz in der Pflegeversicherung verhindert ihn. Nötig ist ein handfester Wettbewerb, der Qualität und Effizienz belohnt.

Trennung von Pflege- und Krankenversicherung beenden

Die GKV verschieben "belastende" Mitglieder gerne in den PV-Bereich. Dabei kommt es bei älteren Versicherten häufig zu Überschneidungen der Ansprüche aus beiden Versicherungen. Das erschwert die Lage der Betroffenen. Die Beseitigung des Nebeneinanders könnte der GKV auch erlauben, ihre aberwitzige Haltung aufzugeben, Maßnahmen zur Prävention und Rehabilitation für die Vermeidung von Pflegebedürftigkeit abzulehnen. Diese Haltung ist finanziell "verständlich": Die GKV muß die Kosten für eine Rehabilitationsmaßnahme ebenso aufbringen wie für die Prävention. Die PV aber wird durch weniger Pflegebedürftige entlastet. Die Trennung der beiden Versicherungen ist kontraproduktiv und sollte schnellstens aufgehoben werden. Nur dann hätten die Versicherten die Möglichkeit, durch Androhung eines Kassenwechsels Druck auf die GKV auszuüben.

Eine Integration der beiden Versicherungen könnte Prävention und Rehabilitation zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit nach vorne bringen und damit Kosten sparen helfen und Leid der Betroffenen vermeiden. Modelle integrierter Versorgung erhielten bessere Chancen zur Verwirklichung. Die Effizienz und Effektivität der Versorgung der Klientel beider Versicherungen, die personengleich ist, würde erheblich verbessert werden. Der Wegfall des kontraproduktiven Finanzausgleichs zwischen den Pflegekassen und die Einführung des GKV-Risikostrukturausgleichs für den Pflegebereich täte dem Wettbewerb gut und damit auch der Versorgung der Versicherten. Das wäre eine Reform, die nachhaltig wirkte und den Namen "Reform" verdiente.

Betreuung im Altenheim: Mehr Prävention und Rehabilitation für die Vermeidung von Pflegebedürftigkeit


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