© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/07 30. März 2007

Wer auf dem Capitol Hill das Sagen hat
USA: Nancy Pelosi und die US-Demokraten tragen die volle moralische Verantwortung für einen möglichen Krieg gegen den Iran
Patrick Buchanan

Im Fall, daß George W. Bush einen Präventivschlag gegen den Iran führt, trägt Nancy Pelosi die volle moralische Verantwortung für diesen Krieg. Denn die Sprecherin des Repräsentantenhauses erklärte sich stillschweigend bereit, aus dem 100 Milliarden Dollar schweren Nachtragsetat für den Irak-Krieg eine Zusatzbestimmung zu streichen, die für einen Angriff auf den Iran die Zustimmung des Kongresses erforderlich gemacht hätte. Pelosis Kapitulation erfolgte im Bewilligungsausschuß. Was war geschehen und warum?

Pelosi hat Bush einen Blankoscheck ausgestellt

"Konservative Demokraten sowie Abgeordnete, die um die mögliche Wirkung auf Israel besorgt waren, hatten für einen Strategiewechsel argumentiert", so David Espo und Matthew Lead von der Nachrichtenagentur Associated Press. "Shelley Berkley, demokratische Abgeordnete aus Nevada, sagte in einem Interview, in Israel herrsche eine weitverbreitete Angst bezüglich des Iran, der ... unnachgiebige Feindseligkeit gegenüber dem jüdischen Staat gezeigt hat. 'Sie würde den USA die vielleicht wichtigste Waffe nehmen, die sie im Hinblick auf den Iran haben', sagte sie über die inzwischen fallengelassene Klausel. 'Ich halte es nicht für sehr klug, Dinge vom Tisch zu nehmen, wenn man Leute dazu bringen will, ihr Verhalten zu ändern und auf zivilisierte Weise zu normalisieren', kommentierte der New Yorker Abgeordnete Gary Ackerman."

In The Nation bezeichnete John Nichols Pelosis Rückzieher als "das schlimmstmögliche Signal an das Weiße Haus". "Die Sprecherin hat einen gefährlichen und dramatischen Fehler begangen", schreibt Nichols. Ihr "katastrophaler Fehltritt könnte sie und den Kongreß auf Jahre hinaus verfolgen".

Diese Einschätzung ist keineswegs übertrieben. Wenn Bush jetzt den Iran angreift, kann er glaubwürdig behaupten, der Kongreß und die US-Demokraten hätten ihm grünes Licht gegeben. Denn indem Pelosi eine Klausel entfernte, die Bush die Vollmacht dazu absprach, hat sie ihm diese Vollmacht de facto zugestanden.

Nun haben Bush und Vizepräsident Dick Cheney vom Kongreß nichts mehr zu befürchten. Der Weg in den Krieg gegen den Iran ist freigegeben. Damit machten Pelosi und die Ihren die parteiübergreifenden Bemühungen zunichte, sicherzustellen, daß der nächste Krieg wenn überhaupt, dann wenigstens verfassungskonform und in Einigkeit begonnen wird.

Die Zusatzbestimmung hätte Bush als Obersten Befehlshaber weder gehindert, auf einen iranischen Angriff zu reagieren, noch einen im Irak gestellten Feind zu verfolgen. Genausowenig enthielt sie ein Verbot von Drohungen gegen den Iran. Sie hätte ihn lediglich gezwungen, die Zustimmung des Kongresses einzuholen, bevor er einen regelrechten Krieg entfesselte.

Nun hat Pelosi ihm faktisch einen Blankoscheck ausgestellt, die nuklearen Anlagen des Iran zu zerstören. Die Entscheidung darüber bleibt allein ihm und Cheney überlassen. Und dafür hat die Nation einen demokratischen Kongreß gewählt?

Warum ist Pelosi eingeknickt? Dazu schreibt Nichols: Sie stand "unter Druck seitens einiger konservativer Mitglieder ihres Ausschusses, von Lobbyisten im Dienste neokonservativer Gruppen, die einen Krieg mit dem Iran wollen, und vom American Israel Public Affairs Committee (Aipac)".

Buhrufe beim American Israel Public Affairs Committee

Die Washington Times macht dieselben Drahtzieher aus, die Pelosi bedrängt hätten, bis sie jegliche Forderung fallenließ, daß Bush sich vom Capitol Hill Erlaubnis einholt, bevor er B2-Bomber auf Arak, Natanz und Buschehr losläßt: "Vorige Woche erhielt die Repräsentantenhaus-Sprecherin Nancy Pelosi vereinzelte Buhrufe, als sie in einer Rede vor dem American Israel Public Affairs Committee den Kriegseinsatz schlechtmachte, und die demokratische Führung sah sich aufgrund von Bedenken proisraelischer Abgeordneter genötigt, aus einer Verfügung zur Bewilligung von Verteidigungsmitteln eine Bestimmung zu streichen, die Präsident Bushs Befugnis geschwächt hätte, auf Drohungen seitens des Iran zu reagieren."

Die Episode, bei der liberale Demokraten ein überparteiliches Bemühen vereitelten, Bush dazu zu zwingen, sich an die Verfassung zu halten, bevor er einen dritten Krieg im Mittleren Osten anfängt, spricht Bände darüber, wer auf dem Capitol Hill das Sagen hat, wenn es um diese Region geht: Pelosi wird von der Israel-Lobby ausgebuht, rennt zurück zum Kongreß und stellt Bush einen Blankoscheck für den Krieg gegen den Iran aus, genau wie es die Lobby verlangt. Man sollte sie für den jährlich zu Ehren von John F. Kennedy verliehenen "Profiles in Courage"-Preis für besonders couragierte Staatsdiener nominieren.

Was die Anwärter auf Bushs Nachfolge angeht, so findet sich unter ihnen kaum jemand, der bereit wäre, sich zu seiner Überzeugung zu bekennen und zu sagen: Wenn Bush uns in einen weiteren Krieg im Mittleren Osten drängen will, muß er erst den Kongreß um eine Vollmacht ersuchen. Und wenn er ohne eine solche Vollmacht in den Krieg zieht, muß er strafrechtlich belangt werden. Statt dessen ziehen sie sich auf den "Alle Optionen sind auf dem Tisch"-Mantra zurück, was anders ausgedrückt heißt: "Es ist Bushs Entscheidung."

Die Korruption beider Parteien ist erstaunlich. Die Republikaner waren einst die Partei der Verfassungstreue: "Keine unerklärten Kriege mehr! Keine vom Präsidenten erklärten Kriege mehr!" Die Demokraten waren einst die Partei des Volkes. Das Volk will schon den jetzigen Krieg nicht. Einen neuen will es erst recht nicht. Die jüdische Bevölkerung, die bei den Kongreßwahlen im vergangenen November zu 88 Prozent die demokratische Partei wählte, lehnt den Irak-Krieg zu 77 Prozent ab.

Soweit das renommierte Meinungsforschungsinstitut Gallup. Doch nur weil sie von der Israel-Lobby getriezt wird, hat die Sprecherin der Volksvertreter beschlossen, die Entscheidung über den nächsten Krieg ganz George W. Bush zu überlassen. Ihr großer demokratischer Vorgänger Sam Rayburn (1882-1961), der dasselbe Amt insgesamt siebzehn Jahre lang vorbildlich ausführte, muß sich nun im Grabe umdrehen.

 

Patrick J. Buchanan war mehrfach US-Präsidentschaftskandidat. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift "The American Conservative".


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