© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/07 23. März 2007

Zur Asymmetrie des Symmetrischen
Martin Tielkes subtile Studie "Der stille Bürgerkrieg. Ernst Jünger und Carl Schmitt im Dritten Reich"
Alexander Pschera

Ernst Jünger und Carl Schmitt - immer wieder werden sie im gleichen Atemzug gedacht, genannt und auch bewertet. Je weiter dabei der geistige Abstand des Betrachters von seinem Objekt, desto monochromer und simpler fällt das Bild aus: Gegner sehen in der konservativen Männerfreundschaft der beiden nicht mehr als eine unheilvolle Allianz zweier Rechtsintellektueller mit keinem oder zu wenig Abstand zu den Nationalsozialisten. Freunde und Sympathisanten hingegen wittern in ebenjener Freundschaft immerhin so etwas wie den Keim einer konservativen Denkschule, auf der sich möglicherweise ein anderes Deutschland aufbauen ließe.

Beide Sichtweisen sind als ganze falsch, einmal abgesehen von den impliziten Unterstellungen, auf denen sie fußen. Sie sind deswegen falsch, weil Jünger und Schmitt sich nicht als Einheit erfassen lassen. Denn erstens war das Verhältnis zwischen Jünger und Schmitt spannungsreich. Dies ist nicht erst seit der Veröffentlichung von Schmitts Tagebuch "Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947-1951" (Berlin 1991) und des Briefwechsels (Stuttgart 1999) bekannt, seitdem aber klar belegbar. Und zweitens läßt sich auf Jünger und Schmitt keine "konservative Denkschule" gründen. Armin Mohler erkannte dies schon 1952, als er an Schmitt schrieb: "Sie beide müssen sich nun einmal damit abfinden, daß Sie die beiden Möglichkeiten des deutschen Geistes heute paradigmatisch verkörpern." Jünger und Schmitt sind zwei unterschiedliche Paradigmen - des Abenteuers und der Ordnung, der Annäherung und der Definition -, und damit sind sie Antipoden.

Dies ist der Ausgangspunkt für Martin Tielkes schmale, aber hochgradig konzentrierte und detailgenaue Studie, die das Verhältnis zwischen Jünger und Schmitt vor allem in den Jahren des Dritten Reichs verfolgt. Tielke, Bibliothekar an der Ostfriesischen Landschaft in Aurich und mit einer Reihe von lokalhistorischen Arbeiten hervorgetreten, stellt in seinem Buch drei gut begründete Thesen auf: Erstens, Jünger und Schmitt unterscheiden sich fundamental in ihrem Denkansatz. Zweitens, Jünger und Schmitt sind "Repräsentanten eines (...) beredten Schweigens im Dritten Reich" und damit "Zeugen und Diagnostiker des im Untergrund geführten Bürgerkrieges", den der Titel des Buches einen "stillen" nennt. Und drittens: Dieser Bürgerkrieg reicht so tief in die Gesellschaft hinab, daß es über die Verständigungsschwierigkeiten, über diesen ein gemeintes "Geheimnis" umkreisenden stillen Dialog, zu einem verschärften Dissens kommt - und damit ist der Konflikt zwischen Jünger und Schmitt selbst Teil jenes stillen Bürgerkriegs.

Zur ersten These: Paul Noack hat 2001 in einem knappen Aufsatz (Die Asymmetrie des Symmetrischen. Die Beziehungen von Ernst Jünger und Carl Schmitt) den "Dissoziations-Prozeß der beiden Männer" herausgearbeitet und dabei nach "Herkunft, Verhalten und Denkart" unterschieden. Tielke verfeinert nun diese Betrachtungsweise. Er zeigt, wie "das Verhältnis der beiden Männer von tiefgehenden sachlichen Differenzen bestimmt" war. Tielke entfaltet diese Differenzen in der Gegenüberstellung von Jüngers mythischem und Schmitts sachlich-begrifflichem Denken. Er sieht diese Differenz beispielhaft in der Gestaltung der "Lemurenwelt" einmal in der Parabel der "Marmorklippen", das andere Mal in Gestalt eines historischen Essays "unter der Deckung von Thomas Hobbes" ausgeprägt. Diese Differenzen führen, so Tielke, schließlich dazu, daß Schmitt Jüngers mythischen Zugang zur Geschichte als völlig unzureichend zurückweist und ihn als "Flucht vor dem Aussprechen der harten Wahrheit" einordnet.

Der zweite Komplex dieses Buches, die Darstellung des schweigenden Sprechens, das jene Jahre erforderlich machten, lagert sich um das Schicksal von Ernst Jüngers Sohn Ernstel. Dieser wurde im Januar 1944 zusammen mit 16 Schülern, unter ihnen Wolf Jobst Siedler, wegen des Abhörens ausländischer Radiosender und kritischer Äußerungen vor ein Marine-Feldgericht gestellt und zu mehreren Monaten Haft verurteilt. Tielke hat die Ereignisse um das Schicksal Ernstel Jüngers, der im November 1944 bekanntlich in den Marmorbrüchen von Carrara fiel, mit großer Detailgenauigkeit und reichem Quelleneinsatz recherchiert, der einige Ungenauigkeiten in der Literatur aufdeckt.

Sehr eindrucksvoll wird dargestellt, wie sich Jüngers Haltung und Verhalten unter dem Druck des Weltbürgerkriegs verändert: welche vorsichtig tastenden Schritte er unternimmt, um seinem Sohn zu helfen, wie er codiertes Sprechen einsetzt, um Gleichgesinnte zu identifizieren, wie sich ein postheroisches, kontemplatives, resignatives Schreiben entwickelt.

Ähnlich, jedoch komplizierter ist die Lage bei Carl Schmitt: Tielke gründet seine Darstellung des codierten Sprechens Schmitts auf die Dialektik von Sichtbarkeit und Privatem. Schmitt habe nach 1936, nach dem Verlust aller Ämter, gerade in seinem Öffentlichsein, im Staatsratstitel, einen Schutzmechanismus gesehen und diesen in ein verschlüsseltes Sprechen gekleidet, dessen bekannteste Metaphern Benito Cereno und der Leviathan sind. Und gerade hier - so Tielkes dritte These - hat Jünger nicht verstanden: Er hat vor allem mit seiner Überbetonung des Privaten, die dem Inneren eine Überlegenheit über das Äußere zuspricht, Schmitts Schutzreflex unterlaufen und wenig Verständnis für dessen "lebensbedrohliche Bürgerkriegslage" gezeigt. Umgekehrt hat Schmitt Jüngers Leben in Paris, dessen "irreal komfortabler Rahmen" extrem gefährlich war, ebensowenig verstanden.

Tielkes klare, sehr gut lesbare und vom Landt-Verlag in gewohnt aufwendiger Form präsentierte Argumentation lenkt so den Blick auf eine tragische Verschränkung zweier Weisen erzwungenen verschlüsselten Sprechens, mit denen sich die Sprecher einander anzunähern versuchten, dabei aber regelmäßig aneinander vorbeiredeten. Der Weltbürgerkrieg, vor dessen katastrophaler Kulisse sich jenes Sprechen vollzog, verurteilte dieses Unternehmen von vorneherein zum Scheitern. So standen sich, und das ist Tielkes eigentliche Conclusio, Carl Schmitt und Ernst Jünger letztlich an der asymmetrischen Front jener Jahre als Kontrahenten gegenüber.

Martin Tielke: Der stille Bürgerkrieg. Ernst Jünger und Carl Schmitt im Dritten Reich. LandtVerlag, Berlin 2007, gebunden, 133 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro

Foto: Ernst Jünger und Carl Schmitt 1941 auf dem Lac de Rambouillet, südwestlich von Paris: Die Repräsentanten eines beredten Schweigens im Dritten Reich führten im Untergrund eigene stille Bürgerkriege


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