© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/07 23. März 2007

Der Zeitgeistbus hat die Endstation erreicht
Ein Sammelband analysiert den Bedeutungsverlust der Kirche in der Bundesrepublik und Österreich und mahnt zur Umkehr
Georg Alois Oblinger

Der Titel des Buches besteht aus drei Wörtern: Kirche - Zeitgeist - Nation. Auf dem Buchcover ist das mittlere Wort kursiv, die beiden anderen gerade gedruckt. Schon dadurch soll dem potentiellen Leser ein Hinweis gegeben werden: Kirche und Nation sind zwei Konstanten, die für einen Menschen identitätsstiftende Bedeutung haben können.

Doch unverzüglich stellt sich die Frage, ob nicht beide Institutionen in solch großer Spannung zueinander stehen, daß nur eine der beiden "universellen Bindungen" möglich ist. Ein Kennzeichen der Kirche ist es doch, daß sie völker- und nationenübergreifend Menschen miteinander verbindet. Umgekehrt weist jede moderne Nation eine Vielfalt religiöser Bekenntnisse auf. Indem nun das Wort "Zeitgeist" zwischen die beiden anderen Wörter tritt, werden Assoziationen an den gesellschaftlichen Wandel evoziert. Das Christentum hat heute seinen Einfluß und seine gesellschaftsprägende Bedeutung weitestgehend verloren. Die Problematik der zunehmenden Kirchenaustritte und des schwindenden Gottesdienstbesuches wird ergänzt durch verstärkte Zuwanderung und Utopien einer multikulturellen Gesellschaft.

Im vorliegenden Sammelband stellen sich zwölf Autoren evangelischer und katholischer Konfession in dreizehn Aufsätzen den Herausforderungen eines christlichen Glaubensbekenntnisses in einem postchristlichen Land. Während Wolfgang Dewald, Lothar Höbelt und Hannsjosef Hohn das Spannungsfeld Kirche/Staat historisch beleuchten, schildert Johannes Ottemeyer, ehemaliger Militärgeneraldekan im Evangelischen Kirchenamt der Bundeswehr, die Geschichte der Militärseelsorge von der Wiederbewaffnung und dem Militärseelsorgevertrag über die Anfeindungen durch die 68er und die internen Schwierigkeiten durch die Wiedervereinigung bis hin zu aktuellen Fragen, die durch Entchristlichung und Islamisierung aufgeworfen werden.

Die Herausforderung durch den Islam zieht sich wie ein roter Faden durch die meisten hier versammelten Aufsätze. Ausführlich widmet sich der Salzburger Weihbischof Andreas Laun dieser Problematik. Nach einer Darlegung der katholischen Position zum interreligiösen Dialog, wie er durch das II. Vatikanische Konzil grundgelegt ist, zeigt Laun auch nachkonziliare Fehlentwicklungen auf und beweist, daß der Islam in seiner heutigen Form nicht "europareif" ist. Der geforderte Dialog kann nur in aller Offenheit geführt werden, bei der Probleme nicht unter den Tisch gekehrt werden dürfen. Auch der christliche Missionsauftrag darf nicht außer acht gelassen werden. Der emeritierte Tübinger evangelische Theologe Peter Beyerhaus thematisiert in seinem Beitrag ausführlich den missionarischen Auftrag zur Neuevangelisierung Europas. Die Tatsache, daß Gott und nicht der Mensch der letzte Richter ist, ruft uns der Theologe Alfred Läpple in Erinnerung, der sich mit dem Dritten Reich beschäftigt und anhand exemplarischer Personen zeigt, daß eine vorschnelle Etikettierung als "Täter" oder "Opfer" eine große Gefahr des Fehlurteils birgt.

Die verschiedenen Autoren bieten nicht nur einen facettenreichen Blick auf die Problematik, sie divergieren gelegentlich auch in ihren Standpunkten. So geht Walter Hoeres mit den Amtsvertretern der Kirche und mit den offiziellen kirchlichen Dokumenten hart in die Kritik. In seinem Lamento beklagt er die gesamte Entwicklung seit dem letzten Konzil, dem er - im Gegensatz zu Laun - vorwirft, für eine Multikultur einzutreten. Des weiteren habe sowohl das Gottes- als auch das Jesusbild in den letzten Jahren einen starken Wandel durchgemacht. Auch Pfarrer Winfried Pietrek sieht "eine gelenkte, universale Religionsvermischung" mit dem Ziel, eine Welteinheitsreligion zu schaffen.

Die Gefahr einer Ersetzung des Christentums durch eine "Zivilreligion" sieht auch Josef Schüßlburner, der diese Bestrebungen von ihren Wurzeln bei Rousseau bis heute verfolgt. Wo im Namen einer Political Correctness oder eines wie auch immer gearteten Humanismus der Kirche Vorgaben gemacht werden, hat die Herrschaft einer profanen Staatsreligion begonnen, die von der Diktatur nicht mehr weit entfernt ist. Auch der Berliner Politologe Klaus Motschmann warnt vor einer Ersetzung des Glaubens durch Ideologien. Ebenso kritisiert er den heutigen Trend, Religion in den Bereich des Privaten zu drängen, und erinnert an deren gesellschaftsprägende Funktion.

Regierungsdirektor Josef Schüßlburner hat noch einen zweiten Beitrag zu diesem Band beigesteuert. Darin beschäftigt er sich mit einem Dokument, das die Russisch-Orthodoxe Kirche im August 2000 herausgegeben hat und das das Verhältnis von Kirche und Nation zum Inhalt hat. Schließlich wirft Johann Josef Dengler noch einen Blick nach Österreich, dessen Familienpolitik den Verlust des christlichen Abendlandes sichtbar macht. Noch einmal wird deutlich, daß die Religion immer auch ein konkretes Menschenbild impliziert und daher prägende Bedeutung für Politik und Kultur hat.

Bereits Gertrud von Le Fort zeigte diesen Zusammenhang auf: "Der Verrat an der Religion zieht den Verrat an der Kultur nach sich. Die abendländische Kultur wird genau so lange leben wie die abendländische Religion."

Wolfgang Dewald, Klaus Motschmann (Hrsg.): Kirche - Zeitgeist - Nation. Gewandelte Religion, verändertes Volk? Ares Verlag, Graz 2007, gebunden, 256 Seiten, 19,90 Euro

Foto: Kirchenälteste in geplündeter Kirchenruine, Wolde in Vorpommern: "Der Verrat an der Religion zieht den Verrat an der Kultur nach sich"


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