© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/07 23. März 2007

Von der stählernen Lanze zum atomaren Schwert
Die Biographie von Johann Graf von Kielmansegg, Soldat in drei Armeen und erster deutscher Nato-Oberbefehlshaber in Mitteleuropa
Horst Rohde

Endlich", möchte man ausrufen: Endlich nämlich scheint sich die Bundeswehr einmal in einer Schrift auf einen ihrer "Gründungsväter" zu besinnen. Dabei gab es sehr viele solcher "Gründungsväter", Offiziere und Unteroffiziere, die der Wehrmacht angehört und nach dem Zweiten Weltkrieg dann ohne oder mit einem erneuten militärischen Dienstgrad am Aufbau der Bundeswehr mitgewirkt haben. Damit stellt sich natürlich gleich die Frage, weshalb die Führung unserer Streitkräfte bislang keine großen Anstrengungen unternommen hat, sich mit diesem Personenkreis zu beschäftigen.

Natürlich gibt es die eine oder andere Biographie, die man als Gegenbeispiel ins Feld führen könnte. Doch eine voll vom Verteidigungsministerium getragene Arbeit, die zugleich wissenschaftlichen Kriterien genügt, wird sich schwerlich finden lassen. Am Beispiel von General Adolf Heusinger, einem der ganz entscheidenden Männer in der gesamten Aufbauphase der Bundeswehr, läßt sich dies deutlich machen: Die Bundeswehr hat ihm zwar eine Broschüre gewidmet, die sicherlich recht informativ und ansehnlich ist, aber dennoch kaum über eine bloße Materialsammlung hinausgelangte. Sie enthält ein Vorwort des damaligen Generalinspekteurs, jedoch keinerlei Stellungnahme der politischen Führung des Verteidigungsministeriums.

Zum anderen gibt es dann eine hervorragende und voluminöse wissenschaftliche Biographie von Georg Meyer, einem der beiden Autoren der Kielmansegg-Lebensbeschreibung. Sie entstand zwar unter anderem "mit Unterstützung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (der Bundeswehr)", weist aber keinerlei offizielle Stellungnahme ebendieser Bundeswehr auf. Es bedarf wohl keiner besonderen Phantasie, um sich ausmalen zu können, welche Hürden einem Erscheinen dieses Buches im Wege gestanden haben.

Die Kielmansegg-Biographi hat ohne Zweifel zwei exzellente Autoren gefunden: Da ist zum einen Karl Feldmeyer zu nennen, der über viele Jahre ein herausragender militär- und verteidigungspolitischer Autor und Parlamentskorrespondent der FAZ gewesen ist. Obwohl er sich inzwischen im Ruhestand befindet, blieb er der schreibenden Zunft treu. Und das ist gut so, gehört er doch zu dem nicht gerade großen Kreis von Journalisten, die man als wirkliche unvoreingenommene Experten auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik bezeichnen kann.

Und da ist zum anderen der bereits genannte Heusinger-Biograph Georg Meyer, der als langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes dort an zahlreichen Projekten vorzugsweise mit biographischem Charakter beteiligt oder als alleiniger Autor tätig war. Er verfügt vor allem über ein unglaubliches Wissen auf dem Gebiet der "Personalia", so daß in diesem Fall der Begriff "wandelndes Lexikon" mehr als angebracht erscheint. Nicht zu vergessen schließlich auch noch Helmut Hammerich, seines Zeichens Oberstleutnant, der sich um eine vortreffliche Auswahl von Fotos und Dokumenten für das Buch verdient gemacht hat.

Der Inhalt von Kielmanseggs Lebensbeschreibung ist allerdings leider etwas "schmalbrüstig" ausgefallen: Die eigentliche Biographie umfaßt neunzig von insgesamt 235 Seiten. Fast genau die Hälfte davon schildert den Werdegang des Offiziers in der Reichswehr und Wehrmacht und die andere Hälfte sein Leben nach dem Zweiten Weltkrieg. Es folgen dann die schon erwähnten guten Fotos sowie vierzehn trefflich repräsentative Dokumente aus der Zeit von 1940 bis 1966. Ihnen schließen sich an ein fünfseitiger Lebenslauf sowie ein Verzeichnis der wichtigsten Schriften, Vorträge und Interviews von Kielmansegg. Einige zusätzliche Angaben von Titeln, die sich mit der Militärgeschichte beschäftigen, die Kielmansegg durchlebt hat, wären hier allerdings angebracht gewesen.

Ein Fazit hinsichtlich der ersten Kielmansegg-Biographie nach dessen Tod am 26. Mai 2006 muß zwei Standpunkte berücksichtigen: Da ist zum einen der Blick auf das Buch selbst. Es zeigt nachdrücklich auf, welch überzeugende und überragende Leistungen der erste deutsche Oberbefehlshaber der Nato-Streitkräfte in Europa-Mitte fortgesetzt erbracht hat. Natürlich war ihm dabei auch das Glück des Tüchtigen beschieden. Die beiden Autoren schildern dies alles mit einer angemessenen menschlichen Wärme.

Zum anderen gilt es, auf die eingangs geäußerte Erwartung zurückzukommen, daß die Bundeswehr sich endlich einmal zu einem ihrer Gründungsväter bekennen möge. Doch allein schon die Lektüre des Grußwortes des Generalinspekteurs und des Vorwortes des Amtschefs des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes zeigt bereits mehr als deutlich die bleibende Distanz zu Soldaten, die in der Wehrmacht gedient haben. Nur zwei Bemerkungen belegen dies schon: So schreibt General Wolfgang Schneiderhan, mit der hier besprochenen Veröffentlichung würdige das Militärgeschichtliche Forschungsamt den General Kielmansegg - mithin weder die politische Führung der Bundeswehr noch der Generalinspekteur persönlich. Und der Amtschef des MGFA fügt "passend" hinzu: "Sich der Gründungsväter der Bundeswehr zu erinnern, liegt ein wissenschaftliches Erkenntnisinteresse zugrunde". Geht es noch distanzierter?

Kielmansegg selbst hat sich am Abend seines Lebens als einen Offizier charakterisiert, der noch an der stählernen Lanze ausgebildet worden sei und schließlich mit dem atomaren Schwert geplant habe. Wer wie der Schreiber dieser Besprechung ihn persönlich gekannt hat, weiß, daß es ihm damit ernst war, das heißt, daß er stets sein Leben und erst recht seine militärische Laufbahn als Einheit gesehen und sich dazu auch bekannt hat. Dies hatte auch zur Folge, daß er seine Erfahrungen angemessen verarbeitete und daraus die für ihn richtigen Lehren zog. So begegnete er den Höhen und Tiefen seiner Vita und bezog daraus seine ganz besondere Souveränität.

Wenn man also einen solchen Menschen angemessen würdigen will, muß man ihm Einfühlungsvermögen, Verständnis und eine Grundsympathie entgegenbringen. Dies alles fehlt nicht in den Darstellungen von Feldmeyer und Meyer, wohl aber - und dies vermißt man wirklich schmerzhaft - in den beiden genannten offiziellen Stellungnahmen der militärischen Bundeswehr-Repräsentanten. Sie halten offensichtlich weiterhin an der Idee fest, daß Tradition teilbar sei, daß mithin auch die Person des späteren Generals Kielmansegg erst mit der Entstehung der Bundeswehr ihren entsprechenden Stellenwert erhalten habe.

Es mag heutzutage zwar bequem sein, so zu tun, als ob die Entwicklung von Persönlichkeiten, soldatische Leistungen und Verhaltensweisen oder die Genesis von Symbolen bzw. äußeren Kennzeichen erst 1955 begonnen hätten. Freilich entspricht dies ganz und gar nicht den Tatsachen, und zum anderen dient es den Streitkräften so nicht in angemessener Weise. Tradition muß sich natürlich entwickeln, Höhen und Tiefen durchlaufen, um schließlich einen Zustand zu erreichen, der zu Recht mit "Glut in der Asche" verglichen worden ist. Hierzu konnte sich die offizielle Bundeswehr auch im Fall Kielmansegg leider wieder nicht durchringen. Erfreulicherweise dürfte dadurch allerdings weder dessen Ansehen und Lebensleistung noch die Verdienste seiner Biographen geschmälert werden.

Karl Feldmeyer, Georg Meyer: Johann Adolf Graf von Kielmansegg 1906-2006. Deutscher Patriot, Europäer, Atlantiker. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Verlag Mittler & Sohn, Hamburg 2007, broschiert, 235 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro

 

Dr. Horst Rohde, Oberstleutnant a.D., arbeitete als Militärhistoriker am Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MFGA) in Freiburg.

Foto: US-General Lyman Lemnitzer verabschiedet den Nato-Oberbefehlshaber Zentraleuropa Graf von Kielmansegg, März 1968: Kalte Distanz der heutigen Bundeswehr-Führung zu ihrem Gründungsvater


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