© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/07 23. März 2007

"Einer der Klügsten, die ich je traf"
USA: Der Ratsvorsitzende des Jüdischen Weltkongresses (WJC), Israel Singer, wurde seiner Ämter enthoben
Ivan Denes

Ich war verzaubert von diesem Mann, einer der Klügsten, die ich je getroffen habe, gleichzeitig einer, der am härtesten arbeitet, ein Getriebener, aber gleichzeitig einer der liebenswürdigsten." Das schrieb der Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC), Edgar M. Bronfman, in seiner Autobiographie ("The Making of a Jew", Putnam Pub Group 1996) über den langjährigen WJC-Generalsekretär und -Ratsvorsitzenden Israel Singer. In einer weiteren Passage beschreibt Bronfman einfühlsam, wie Singer ihn schrittweise in die Judaica einwies, von denen er früher wenig wußte.

Doch am 14. März 2007 war es aus mit der Bewunderung und mit der Männerfreundschaft. Im Zuge einer telefonischen Rundkonferenz - in deren Verlauf die Teilnehmer in Europa und in Israel technisch daran gehindert wurden, zu antworten oder zu protestieren - verkündete Bronfman, daß Israel Singer ab sofort sämtliche Ämter im WJC und dessen Tochterorganisationen verloren habe. Letztere Ergänzung ist von besonderer Bedeutung für Deutschland, denn Singer war bisher auch Vorsitzender der Conference on Jewish Material Claims Against Germany (JCC).

Deutschland wird immer für die Schoa verantwortlich sein

Er war es, der im Verlauf der vergangenen Jahre bei seinen Deutschlandbesuchen vom jeweiligen Bundesfinanzminister durch eine knallharte Verhandlungsführung enorme Geldsummen für lebende Holocaust-Opfer oder ihre Erben eingefordert und erhalten hat. 2001 war er federführend beteiligt an den Entschädigungsverhandlungen für NS-Zwangsarbeiter. Die JCC erhielt mit weit über einer Milliarde Euro den größten Anteil der Gelder, die von der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" ausgezahlt wurden. Danach waren es Renten für ehemalige jüdische Insassen von KZs in Tunesien, die dorthin von der französischen Vichy-Regierung unter Marschall Pétain gebracht worden waren.

Daß Singer das Geld nicht aus Paris, sondern aus Berlin einforderte, war typisch für ihn. Im Juni vergangenen Jahres bekundete er gegenüber dem Berliner Tagesspiegel, er sei für Redefreiheit auf der ganzen Welt, einschließlich der Freiheit, den Holocaust zu leugnen - außer in Deutschland. Die meisten heute lebenden Deutschen trügen zwar keine Schuld am Holocaust. "Deutschland wird jedoch immer für die Schoa verantwortlich sein, so wie die Spanier für die Inquisition und die Kirche für die Kreuzzüge oder die Amerikaner für die Versklavung von Schwarzen", sagte er dem Magazin Cicero.

Aus jüdischer Sicht hat Israel Singer - studierter Rabbiner, promovierter Politologe und angesehener Hochschullehrer - sich bedeutende Meriten erworben. Er war in den siebziger und achtziger Jahren eine der treibenden Kräfte, die gegen den verbissenen Widerstand Moskaus die Auswanderung der Juden aus der Sowjetunion durchsetzten. Er soll das Schlagwort "Schalach et ami", ("Laß mein Volk ziehen") geprägt haben, das als Aufkleber auf Millionen Autos in der ganzen Welt als Protest gegen die Willkür des Kreml zu lesen war.

Singer war maßgeblich an den Verhandlungen mit den Schweizer Banken in der umstrittenen Frage der "nachrichtenlosen Konten" beteiligt. Sie endeten 1998 mit einem "historischen Vergleich" von etwa 1,25 Milliarden Dollar. Er war es, der bei den Verhandlungen mit der Bundesregierung zu den NS-Zwangsarbeitern jüdischer Herkunft die gesonderte Kategorie "Sklavenarbeit" durchsetzte, die zu entsprechend höheren Wiedergutmachungszahlung berechtigte.

Doch vor etwa zwei Jahren schlug der in Israel lebende Ex-Vizepräsident des WJC, Isi Leibl, Alarm: Das Finanzgebaren des WJC sei undurchsichtig, Schweizer Konten des Kongresses seien manipuliert worden. Die Schweizerische Kultusgemeinde schloß sich an. Singer sollte sich angeblich durch Manipulationen an einem Genfer Konto einen persönlichen Pensionsfonds geschaffen haben. Leibl wurde jedoch aus dem WJC ausgeschlossen: Bronfman hielt an seinem ehemaligen Lehrmeister fest, obwohl der damalige New Yorker Generalstaatsanwalt Eliot Spitzer (inzwischen demokratischer Gouverneur des Staates New York) Singer aus allen finanziellen Aktivitäten des WJC verbannte. Singer wurde daraufhin auf den Chefsessel eines beratenden Gremiums, des Policy Council, abgeschoben.

Die nun fristlose Entlassung Singers, dessen Verdienste Bronfman im Zuge seiner "Telefonkonferenz" nur kurz zu würdigen wußte, soll auf seine neutrale Position zurückgehen, die er im Dauerkonflikt zwischen der New Yorker Zentrale unter Bronfman und dem israelischen Zweig des WJC, geleitet von Bobby Brown, einem gestandenen Experten in Fragen der jüdischen Diaspora, eingenommen hatte. Die New Yorker beschlossen, Brown durch den israelischen Botschafter in Brüssel, Oded Eran, zu ersetzen. Das wurde in Jerusalem als inakzeptable Einmischung in innerisraelische Angelegenheiten zurückgewiesen. Die Israelis wollen sich von New York nichts diktieren lassen, um so weniger als Bronfman die israelische Linke unterstützt und wenig Sympathien für die zur Zeit an der Macht befindlichen Likud- oder Kadima-Politiker zeigt.

Streit um Nachfolge von WJC-Präsident Bronfman

Singer soll sich auch zurückhaltend gegenüber den Plänen von Bronfman verhalten haben, der seinen Sohn Matthew als eigenen Nachfolger an der Spitze des WJC durchsetzen will. Singer neigte eher dazu, die Kandidatur des bekannten Milliardärs und Philanthropen Ronald Lauder (WJC-Vize und Erbe des Kosmetikimperiums Estée Lauder) als Nachfolger Bronfmans zu unterstützen. Weder der Europäische Jüdische Kongreß unter dem Franzosen Pierre Besnainou noch die Israelis (denen Bronfman gleichzeitig auch die finanziellen Zuwendungen aus New York sperrte) erkennen den Beschluß Bronfmans an.

Die Tatsache, daß Singer, die geistig dominante Figur innerhalb des WJC, keine Gelegenheit bekam, sich zu äußern und zu verteidigen, wurde als empörende "Schande", als nicht hinnehmbares Vorgehen qualifiziert. Beide, Besnainou und die Israelis, drohen, ihre Mitgliedschaft im WJC zu überdenken, wenn der eigenmächtig handelnde Bronfman die Entlassung Singers und Browns nicht zurücknehme. Das wäre gleichbedeutend mit dem Ende der weltweit so stark überschätzten Organisation.

Singer, der Sohn aus Österreich geflohener Juden, in Brooklyn aufgewachsen, kann überhaupt nicht ersetzt werden. In der jüngeren Generation ist keine vergleichbare Persönlichkeit hervorgetreten. Irgendwie läge es in der Logik der Zeit, wenn mit Israel Singers Entlassung, dem Aussterben der Zeitzeugen der Schoa und dem Ausklingen der Wiedergutmachung, mit der die dritte deutsche Nachkriegsgeneration nichts mehr zu tun haben wird, auch der WJC zerfiele.

Nähere Informationen beim WJC unter: www.worldjewishcongress.org/about/bio_singer.html 

Foto: Israel Singer: Als Persönlichkeit überhaupt nicht zu ersetzen


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