© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/07 23. März 2007

Spengler für Neoliberale
Globalisierung: Manfred Pohl konstatiert das "Ende des Weißen Mannes" und sorgt sich um die Weitergabe des Erbes
Michael Paulwitz

MCM ist nicht nur das Handtaschenlogo eines nicht mehr ganz so schicken Münchner Edeldesigners. MCM - so kürzt der Ökonom und Kulturwissenschaftler Manfred Pohl den "Multi-Colour-Man" ab, der nach seiner Überzeugung die Zukunft Deutschlands, Europas und der Vereinigten Staaten in einer globalisierten Welt bestimmen wird, weil er spätestens ab Mitte des 21. Jahrhunderts auch in diesen "Kernländern des Weißen Mannes" die Mehrheit bilden wird. Die "Handlungsaufforderung", die sein Buch mit dem provozierenden Titel "Das Ende des Weißen Mannes" in der Unterzeile trägt, lautet, den Übergang so zu gestalten, daß der Westen noch westlich bleibt, auch wenn seine Bevölkerung dies ethnisch nicht mehr sein wird.

Was unterscheidet die Globalisierung heute vom Welthandel früherer Epochen? Es ist der Zugang zum Wissen der Welt. Der Umgang mit Wissen, das Lernen, verändert die Lernenden; ihre Hirne entwickeln sich weiter auf eine neue Ebene neuronaler Verschaltung, die sie zu immer komplexeren Erfindungen und Entdeckungen befähigt. Pohl nennt das den "Neuronalen Multiplikator-Effekt". Jahrhundertelang profitierte davon nur der "Weiße Mann", der Westen, das Abendland. Von hier gingen, in zuletzt atemberaubender Beschleunigung, geistige Leistungen aus, die "die Evolution der Menschheit auf eine neue Stufe gebracht haben". Heute aber steht das Wissen der Welt allen offen, und damit werden auch die aufsteigenden Wirtschaftsmächte Asiens, am "Neuronalen Multiplikator-Effekt" teilhaben. Der Innovationsvorsprung des Westens schwindet.

Die Globalisierung, konzediert Pohl, führt nicht zwangsläufig ins Paradies. Der in die Defensive gedrängte "Weiße Mann", der Westen also, werde scheitern, "da er nicht versteht, daß der Relativismus, dem er huldigt, der Vergangenheit angehört". Er muß lernen, andere Religionen und insbesondere alle Spielarten des Islamismus ernstzunehmen. Denn seine Grundideale - Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit, Ökologie, soziale Sicherheit, Freihandel - seien nicht die Ideale aller; in einer global vernetzten und verschalteten Ökonomie gebe es auch einen Wettbewerb der Religionen und Kulturen. Was der weiße Mann nicht schafft, soll der "Mixed Man" vollbringen: Die Integration verschiedener Kulturen und Religionen in einer neuen Identität, die eine friedliche Globalisierung ermöglicht und die Bedrohung derselben durch den Islamismus zähmt. Bevor seine Epoche zu Ende geht, hat der "Weiße Mann" nach Pohl noch eine wesentliche Aufgabe zu erfüllen, "nämlich den Übergang vom Weißen Mann zum Multi-Colour-Man so mitzugestalten, daß ... keine Gewaltpotentiale freigesetzt werden, wenn MCM die Mehrheit besitzt, und MCM im friedlichen Wettbewerb mit der übrigen Welt vorbereitet und handlungsfähig ist".

Grundlegende Reform des Bildungssystems

Zu bewerkstelligen wäre das, auf die Verhältnisse in Deutschland übersetzt, zum einen über eine Demokratiereform und zum anderen durch eine grundlegende Reform des Bildungssystems. Pohl wünscht sich, daß Kulturen und Religionen des MCM, der demnächst im Westen den Ton angeben soll, "in friedlichem Wettbewerb zusammenleben und Erziehung und Bildung höchste Priorität und Qualität besitzen" sollen. Das Bildungswesen soll also nach dem Vorbild der Firmenkultur in multinationalen Unternehmen vor allem auf Toleranz und Zusammenleben als Erziehungsziel ausgerichtet werden, um alle Einwanderer zu integrieren und gemeinsamen Wertvorstellungen zu unterwerfen und so Parallelgesellschaften aufzulösen.

Zum anderen sollen aber beim Übergang auf den multikulturellen Westler der Zukunft "die Identitäten der Nationalstaaten in Europa und den USA erhalten bleiben". Identität hat für Pohl dabei keinerlei ethnische Bedeutung. Es geht ihm ausschließlich um Identifikation durch größere politische Partizipation. Auf seine durchaus präzise Analyse der Entfremdung, Demokratieferne und medialen Amerikanisierung des deutschen Politikbetriebs folgt die Forderung nach mehr direkter Demokratie, inklusive der Direktwahl des Regierungs­chefs, und nach einem "Bürgerkonvent" als Kontrollgremium vergleichbar einem Unternehmens-Aufsichtsrat. Die Kommunen sollen in bürgerschaftliches Engagement erleichternde "Quartiers" zerlegt werden; die immer älter werdende Bevölkerung könnte da gemeinsinnsbezogene Beschäftigungsmöglichkeiten für ihr "zweites Arbeitsleben" zwischen 60 und 80 finden.

Pohl betrachtet Staaten wie Unternehmen

An dieser Stelle sollte erwähnt werden, wer Manfred Pohl ist: Geschäftsführer des Konvent für Deutschland und damit einflußreicher Strippenzieher in der von Arbeitgeberverbänden gesponserten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft; seinen Namen hat sich Pohl, der Germanistik, Geschichte, Philosophie und Volkswirtschaft studiert hat, als Unternehmenshistoriker und insbesondere als Leiter des Historischen Instituts der Deutschen Bank erworben, deren Kulturaktivitäten er zuletzt koordinierte.

Dieser Hintergrund mag erklären, warum Pohl Staaten und Kulturen wie Firmen und Unternehmen und Politiker und Bürger wie Manager und Mitarbeiter betrachtet und geführt und beraten wissen will. Staatspolitische Überlegungen spielen in seinem Plädoyer für die Stärkung der Nationalstaaten keine Rolle; der Gedanke, daß dazu auch eine am Nationalinteresse orientierte Einwanderungspolitik gehören könnte, die dem "Weißen Mann" in seinen Kernländern überflüssige kulturelle Konflikte und soziale Probleme ersparen könnte, kommt bei ihm überhaupt nicht vor. Pohls neoliberale Version des Untergangs des Abendlandes hinterläßt daher einen faden Nachgeschmack. Deutschland ist eben doch nicht die Deutsche Bank, der es letztlich egal ist, woher ihre Mitarbeiter kommen, wenn sie nur die Qualifikationsanforderungen erfüllen und die Unternehmenskultur respektieren.

Übrigens: Der Münchner Lederwarendesigner MCM wurde kürzlich von einem koreanischen Investor aufgekauft. Nicht auszuschließen, daß Pohls Multi-Colour-Man nach erfolgreicher Firmennachfolge in der Deutschland-GmbH, dem Europa-Konzern und der USA-Holding doch noch ein ähnliches Schicksal droht.

Manfred Pohl: Das Ende des Weißen Mannes. Eine Handlungsaufforderung. Westkreuz-Verlag, Berlin/Bonn 2007, gebunden, 199 Seiten, 14,90 Euro

Foto: Die Gesichter dieser Welt auf der Berliner Tourismusmesse: Die weißen Führungsschichten des Westens sind auf dem Rückzug


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