© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/07 23. März 2007

SPD rüttelt an den Ketten
Große Koalition: Sozialdemokraten testen die Belastbarkeit des ungeliebten Regierungsbündnisses / Blick auf Landtagswahlen 2009
Paul Rosen

In dem Berliner Zwangsbündnis namens Große Koalition wird die Haltbarkeit der Kette getestet, die Union und SPD aneinanderschmiedet. Die Sozialdemokraten sind nervös geworden. In Umfragen rangieren sie weit unter 30 Prozent, was für die wichtigen Landtagswahlen im nächsten Jahr in Bayern, Niedersachsen und Hessen nichts Gutes erwarten läßt. Schon fürchtet die Union, die SPD könnte die Ketten brechen und vorzeitige Neuwahlen zum Bundestag anstreben, sobald sie ein zündendes Thema hat, mit dem die Genossen die Gunst der Wähler zurückgewinnen können.

Als am vergangenen Wochenende die ersten Berichte über Sorgen in der Union und im Kanzleramt von Angela Merkel wegen der Haltung der SPD veröffentlicht wurden, reagierten die Sozialdemokraten mit Gegenangriffen. "Die SPD steht zur verabredeten Zusammenarbeit und dazu, diese Koalition bis 2009 fortzusetzen", sagte Parteichef Kurt Beck. Sein Generalsekretär Hubertus Heil tönte: "Im Gegensatz zu einigen in der Union stehen wir Sozialdemokraten zu unserer Verantwortung in der Bundesregierung." CDU- und CSU-Politiker würden sich bei schwierigen Entscheidungen immer wieder "in die Büsche schlagen", kritisierte Heil. Und die Vorsitzende der nordrhein-westfälischen SPD, Hannelore Kraft, sagte: "Die CDU gefährdet die Koalition, wenn sie zündelt, statt zu regieren."

Die Treueschwüre der Genossen wirken nicht besonders überzeugend. Denn wo viel Rauch ist, weiß der Volksmund, ist bekanntlich auch Feuer. Die Unzufriedenheit weiter Teile der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion war bereits beim Bundestagsbeschluß zum Tornado-Einsatz in Afghanistan sichtbar geworden. Ein Drittel der Fraktion stimmte gegen die Regierungsvorlage, enthielt sich oder erschien nicht zur Abstimmung. Beck nahm jetzt diese negative Grundstimmung in seiner Fraktion auf: "Und was tun wir, damit die Menschen in Afghanistan wieder eine Lebensperspektive bekommen?" fragte der SPD-Chef. Eine Antwort gab er allerdings nicht.

Tatsächlich wird in der SPD-Zentrale überlegt, das Thema "Krieg und Frieden" wieder stärker in den Mittelpunkt der Debatte zu rücken und damit Fluchtmöglichkeiten aus der ungeliebten Koalition zu testen. Kanzler Gerhard Schröder hatte unter anderem mit seiner klaren Positionierung gegen den Irak-Krieg der Vereinigten Staaten die Bundestagswahl 2002 gewonnen, obwohl zu keinem Zeitpunkt eine Beteiligung deutscher Truppen zur Debatte stand. Das Thema Frieden zündet in der deutschen Öffentlichkeit immer, und daß der Krieg in Afghanistan nicht zu gewinnen ist, sagt jeder vom Pentagon nicht abhängige Militärexperte.

Erinnerungen an den Nato-Doppelbeschluß

Ein weiteres Thema kommt für die SPD gerade wie gerufen. Die Vereinigten Staaten planen einen Raketenschutzschirm in Europa und wollen Abwehr- und Radarsysteme in Polen und Tschechien stationieren. Rußlands Präsident Wladimir Putin wetterte dagegen im Beisein von Merkel auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar. Die Kanzlerin nahm keine Stellung dazu, sondern ließ die Dinge treiben. Dagegen legte sich die SPD inzwischen fest: "Wir brauchen keine neuen Raketen in Europa", sagte Beck. Und sein Generalsekretär sekundiert: "Wir sind gegen diese Maßnahmen und müssen eine Spirale des Wettrüstens vermeiden." Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnte die Vereinigten Staaten vor einem neuen Wettrüsten und der Spaltung Europas. Die in der Vergangenheit stets proamerikanisch orientierte Kanzlerin reagierte darauf ausweichend: "Wir sollten immer darauf achten, vertrauensvoll über alle Dinge gemeinsam zu sprechen, um Spaltungen zu vermeiden."

Ältere Politiker fühlen sich bereits an den Nato-Doppelbeschluß erinnert. Helmut Kohl hatte die Bundestagswahl 1983 mit einem klaren Bekenntnis zur Raketen-Nachrüstung gewonnen. Doch die Zeiten haben sich geändert. Die Bedrohung durch den Warschauer Pakt ist entfallen und Deutschland ein einheitlicher Staat, dessen Bevölkerung aber von der "Friedensdividende" der neunziger Jahre verwöhnt ist, keine neuen militärischen Spannungen möchte und laut Umfragen Bundeswehr-Einsätzen stark ablehnend gegenübersteht. Das ist der Humus, auf dem die Saat der SPD aufgehen könnte.

Andere Themen werden in der SPD als weniger geeignet angesehen, die Stimmung im Wahlvolk zu drehen, aber die Auseinandersetzungen taugen dazu, das Koalitionsklima weiter einzutrüben. So macht besonders die SPD-Linke Front gegen die Unternehmensteuerreform. "Wir werden keine dauerhafte Nettoentlastung für Konzerne durchwinken", protestiert bereits Präsidiumsmitglied Andrea Nahles. Auch beim Thema Kinderbetreuung sieht im Moment nichts nach einer Einigung in der Koalition aus. Das Bleiberecht für Ausländer ist trotz aller Formelkompromisse ein weiterer Zankapfel.

So schleppen sich Union und SPD in einer stetig gereizter werdenden Atmosphäre von einem Koalitionsgespräch zum nächsten. Die Chancen, daß die Große Koalition die Jahreswende 2007/08 noch übersteht, sind kleiner geworden.

Foto: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der SPD-Vorsitzende Kurt Beck: Die Chancen, daß die Große Koalition die nächsten zwölf Monate noch übersteht, sind kleiner geworden


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