© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/07 23. März 2007

Bestens kompatibel
Gesinnungsdiktatur: Linke Tabus könnten bald zur Staatsräson gehören
Doris Neujahr

Der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof in Mannheim hat das Berufsverbot gegen einen Lehrer aufgehoben, dem jahrelang die Übernahme in den Staatsdienst verweigert worden war. Der Pädagoge ist in Antifa- und Anti-Rechts-Organisationen tätig, die vom Verfassungsschutz als "linksextremistisch" eingestuft werden.

Das Urteil beendet eine Praxis, die mit dem "Radikalenerlaß" begonnen hatte. Dieser war 1972 beschlossen worden, um den Linksruck zu verhindern, der durch den von der radikalen Studentenopposition angekündigten Marsch durch die Institutionen drohte. Verhindert hat der Erlaß gar nichts. Statt dessen hat er Duckmäusertum und Verlogenheit gefördert und dafür gesorgt, daß sie zusammen mit den linksradikalen Ressentiments die staatlichen Institutionen desto massiver infizierten. Der altkonservative Glaube, die Verfügung über staatliche Institutionen könne die öffentliche, geistig-moralische Auseinandersetzung sogar in der Massendemokratie ersetzen, wurde durch die Domestizierung der Union widerlegt. Für den betreffenden Lehrer muß freilich gelten, daß er, solange er die Schüler nicht indoktriniert und zu Gesetzesverstößen animiert, in seinem Beruf tätig sein darf.

Auch die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke muß sich von staatlicher Observierung und Bevormundung frei fühlen können. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (VS) hat über ihre antifaschistischen und antikapitalistischen Aktivitäten ein umfangreiches Dossier angelegt. Jelpke ist eine politische Irrläuferin, doch die Auseinandersetzung mit ihr gehört in die Medien und in das Parlament, nicht in Geheimdiensthände. Ein VS-Dossier, selbst wenn es sich nur um die Auflistung von Publikationen und öffentlicher Auftritte handelt, impliziert schließlich die Drohung, eines Tages würde an anderer Stelle die Abrechnung präsentiert. Andererseits darf Jelpke angesichts der politischen Entwicklung und Stimmungslage darauf vertrauen, daß sich die VS-Aktivitäten - wie bereits das Berufsverbot gegen den Antifa-Aktivisten - bald als Irrtum fossilierter Beamter herausstellen, die neben dem Überwachungsstaat noch an den antitotalitären Konsens glaubten.

Bedeutet das Mannheimer Urteil einen Zuwachs an politischer und Meinungsfreiheit? - Ja, aber nur unter der Voraussetzung, daß einem Kläger, der dem rechtsextremen Umfeld zugeordnet wird, das gleiche Recht auf freie Berufswahl zuerkannt wird. Andernfalls wäre das Urteil nur ein Beleg dafür, wie weit der linke Marsch durch die Institutionen vorangekommen ist und sich der autoritäre Etatismus mit scheinbar antiautoritären, emanzipatorischen Ideologien zur unschlagbaren Machtsynthese verbunden hat. Diese Ideologien stützen sich als Letztbegründung auf pädagogische Tabus, die das Dritte Reich, den Holocaust, die Ausländerfrage sowie den Vorrang abstrakter Menschenrechte vor dem Recht des Demos betreffen und über den Zugang von Nicht-Staatsbürgern zu den staatlichen Institutionen und über die Beschaffenheit der eigenen Lebenswelt bestimmen. Es sind genuin linke Tabus und mit dem Antifaschismus des Klägers bestens kompatibel. Die Erklärung des Gerichts, an der Verfassungstreue des Pädagogen "bestehen keine Zweifel", würde dann anzeigen, daß der aggressiv-intolerante Antifaschismus gute Chancen hat, als Teil der deutschen Staatsräson anerkannt zu werden.

In der Tat verschärft die gesinnungs- und obrigkeitsstaatliche Praxis sich eher, als daß sie abnimmt, und wird von der "demokratischen Öffentlichkeit" sofort gutgeheißen, wenn sie sich gegen Rechts wendet. Dagegen wurde das Gerichtsurteil, das die jahrelange VS-Beobachtung der Republikaner in Berlin für illegal erklärte, von der Presse weitgehend ignoriert und blieb politisch folgenlos. Auch der Parteiaustritt von NPD-Abgeordneten im Dresdner Landtag löste keine Reaktionen aus, obwohl der Verfassungsschutz mittelbar involviert war. Sogar die geschmähte Berufsverbotspraxis kommt gegen "Rechte" zu neuen Ehren. Auf die Auslegung des "Hakenkreuz-Urteils" des Bundesgerichtshofs, das die öffentliche Präsentation des NS-Symbols in negierender Form erlaubt, darf man gespannt sein. Wird, falls auch Neonazis auf ein durchgestrichenes Hakenkreuz zurückgreifen, dann die innere Einstellung der Demonstranten über die Zulässigkeit ihrer identischen Plakate entscheiden? Ein weiterer Schritt in Richtung Gesinnungsstaat wäre getan.

Diese Entwicklung wird durch politische Sondergesetze vorangetrieben, aufgrund derer zuletzt der Holocaust-Bestreiter Germar Rudolf zu zweieinhalb Jahre Haft verurteilt wurde. Reinhard Müller hat diesen Irrweg kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen einer klugen, scharfen Kritik unterzogen. Allerdings irrt Müller seinerseits, wenn er meint, die Gesetze offenbarten "die große Macht, welche die Extremisten über die freiheitliche Grundordnung haben". Die "Extremisten" von rechts sind nur der Vorwand, um die Eigendynamik der Tabuisierung zu verschleiern. Damit Tabus dauerhaft geschützt sind, müssen auch ihre Grundlagen, Verfahrensweisen und die mit ihnen verknüpften Interessen sukzessive der Kritik entzogen werden, denn Dogmengebäude geraten bereits durch die Entfernung eines einzigen Steinchens ins Wanken. Allein was auf dieser Baustelle geschieht, ist für die Meinungsfreiheit in Deutschland letztlich entscheidend.


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