© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/07 16. März 2007

CD: Klassik
Inseltauglich
Andreas Strittmatter

Manchmal ist das Schicksal wenig gnädig und die Welt schlicht undankbar. Beide straften Antonio Vivaldi (1678-1741) quasi mit einer roten Laterne ab. Ersteres sorgte dafür, daß das Opernschaffen des venezianischen Geistlichen überwiegend im Orkus landete. Und was von den rund fünfzig (nach extremen Schätzungen gar hundert) Bühnenwerken übrigblieb, über den Daumen gepeilt etwa zwanzig mehr oder minder vollständig überkommene Partituren, staubte noch bis in die jüngste Vergangenheit in den Archiven vor sich hin.

Dabei sind Vivaldi und sein Zeitgenosse Georg Friedrich Händel (1685-1759) die allerersten Adressen, sobald Blüte, Hochzeit und vollendete Ausgestaltung der barocken Oper auf der Tagesordnung stehen. Nur hat Vivaldi davon bislang kaum profitiert, während sich die Opern seines Zeitgenossen bereits ab 1920 durch das Engagement des Kunsthistorikers Oskar Hagen und die daraus erwachsenen Göttinger Händel-Festspiele im Bewußtsein der Musikwelt zurückmeldeten. Doch nicht nur die Säumigkeit der Nachgeborenen, sondern bereits Vivaldis Umwelt schob den (Opern-) Komponisten aufs Abstellgleis. In dessen letztem Lebensjahrzehnt kam der "galante Stil" auf, Vivaldis Schaffen war Schnee von gestern. 1741 starb er in Wien, geschert hat sich niemand mehr groß darum.

Vivaldi blieb zeit seines Lebens dem Barock verhaftet, gehört aber sowohl mit seiner kompositorischen Faktur wie auch durch die mannigfache Kreation reizvoller Klangwirkungen mittels gewiefter Instrumentierung zu den innovativsten Tonsetzern seiner Epoche. Davon zeugen auch und gerade die Opern, zeugt die wachsende Zahl verdienstvoller Neueinspielungen dieser Bühnenwerke beim Label Opus 111, zeugt eine Auswahl von Arien, die der französische Countertenor Philippe Jaroussky unter dem Titel "Vivaldi Heroes" jüngst für Virgin Classics aufgenommen hat und die ohne Abstriche Lust auf mehr weckt - was ebenso für die Musik wie für den jungen Interpreten gilt.

Jaroussky klingt rund, warm und weich und ist zugleich vokal ungemein gelenkig. Die koloratursatte Arie "Se in ogni guardo" aus der Oper "Orlando finto pazzo", mit welcher der Sänger das Album eröffnet, meistert der Countertenor bravourös - und ohne jenes hysterische Schleudertrauma, das dem Hörer bei hohen Männerstimmen (und hin und wieder auch bei Cecilia Bartoli) gelegentlich widerfährt. Die Stimme liegt perfekt auf dem Atem - das erlaubt Jaroussky fallweise eine wunderbar schwebende Tongebung im Pianissimo, ermöglicht einen flutenden Tonansatz in der Mezza Voce, dem Singen mit "halber", also zurückgenommener Stimme.

Ohnehin umschmeichelt der 1978 geborene Franzose mehr noch als in den prunkenden, souverän und gleichsam mühelos bewältigten Koloraturstücken (eine gekonnte Verzierungstechnik in den Wiederholungsteilen einbegriffen) das Ohr mit ruhigen Passagen. Absoluter Höhepunkt ist auf "Vivaldi Heroes" die Gleichnis-Arie "Sovente il sole" aus "Andromeda liberata". Jaroussky verströmt pure Schönheit, bezaubert mit Klängen, betört mit dynamischen Abstufungen.

Bemerkenswert glücklich fällt zudem die Interaktion des Sängers mit der konzertierenden Solovioline aus, wobei keineswegs unter den Tisch fallen darf, daß sich um diese Arien nicht allein Philippe Jaroussky, sondern auch das Ensemble Matheus unter Jean-Christophe Spinosi sehr verdient macht. Die 29 Instrumentalisten bringen den Orchesterpart pointiert und schlafwandelnd sicher, aber keinen Augenblick lang dröge routiniert oder überzogen manieriert zum besten.

Doch zurück zu "Sovente il sole": Das Stück ist einer dieser typischen Fälle, wenn es um Musik für die "einsame Insel" geht. Ach, Unsinn - die ganze CD hat das Zeug dazu.


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