© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/07 16. März 2007

Der gefräßige Drache
Gesundheitswirtschaft: Der Wissenstransfer nach China hält an und erfaßt mehr und mehr auch den medizinischen Sektor
Michael Weis

Die Volksrepublik China ist inzwischen der größte Marken- und Produktpirat der Welt. Das internationale Patent- und Urheberrecht wird im Reich der Mitte schamlos mißachtet (JF 50/06). Wie ein gefräßiger Drache saugen China und dessen aufstrebende Wirtschaft seit Jahren alles auf, was ihnen einen zukünftigen Vorteil sichern könnte. So wird massiv - und mit allen erlaubten und auch unerlaubten Mitteln - nach neuen Erkenntnissen im Ausland "Ausschau" gehalten.

Doch gleichzeitig wird auch durch optimale Rahmenbedingungen und eine liberale Rechtssetzung versucht, immer mehr Spitzenforschung und Entwicklung nach China zu ziehen. Ein derartiges Verhalten wiederum ist völlig legitim. Würde sich Deutschland auch auf eine wissenschaftsfreundliche Grundhaltung zurückbesinnen, ständen unsere Zukunftschancen trotz ungebremster Globalisierung wesentlich besser. Werden gleichzeitig hohe soziale, rechtliche und sicherheitstechnische Standards eingehalten, sind moderne Wissenschaft und Technik schließlich der Schlüssel zu Erfolg und Wohlstand einer jeden Nation.

Und daher plant das Berliner Unternehmen Mologen die Erstzulassung einer neuen gentherapeutischen Behandlungsmethode gegen Nierenkrebs nun in China. Diese bislang umstrittene Therapie könnte einmal Chinas Pharmaindustrie stärken und den Grundstein für weitere Entwicklungen legen. Das von Mologen entwickelte Verfahren gilt als das derzeit erfolgversprechendste Konzept in der Gentherapie. Dabei werden nicht etwa die Gene selbst therapiert, sondern die entsprechende Krankheit wird mit Hilfe von in den Körper geschleusten, genau abgestimmten Fremdgenen bekämpft. Das größte Problem dabei ist jedoch stets die zielgenaue Einschleusung des Erbguts in die zu therapierenden Zellen. Und gerade auf diesem Gebiet ist Mologen führend. Normalerweise werden Viren als "Genfähren" eingesetzt, um die therapeutischen Gene aus dem Reagenzglas in die betroffenen Zellen des Patienten zu schleusen. Die gefährlichen Teile des Viruserbguts werden dazu zunächst inaktiviert und dann mit den für die Heilung benötigten Informationen ergänzt. Seit allerdings 1999 der 18jährige Amerikaner Jesse Gelsinger an einer Überdosis viraler Genfähren starb, ist das Konzept umstritten.

Burghardt Wittig von Mologen hingegen setzt auf eine andere Methode, die von ihm in den achtziger-Jahren am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge entwickelt wurde. Sein Ansatz besteht darin, winzige mit DNS (also Erbgut) beklebte Goldkugeln in die Zellen zu schießen. Die dazu von ihm hergestellten Erbgutstückchen enthalten nur das absolute Minimum der notwendigen genetischen Information. Damit sind sie momentan die kleinstmöglichen und verträglichsten Genfähren (Midge-Genfähre).

Genforschende Firmen verlassen Deutschland

Hinzu kommt, daß die eingeschleuste DNS nicht dauerhaft in der Patientenzelle verbleibt, da sie nicht fest in das Erbgut eingebaut wird. Aus diesem Grund eignet sich die Therapie zwar ausschließlich zur Behandlung von Krankheiten, bei denen die therapeutischen Gene nur vorübergehend aktiv sein müssen, dauerhafte Nebenwirkungen können jedoch fast völlig ausgeschlossen werden.

In der Praxis sollen bald Nierenkrebspatienten mit der von Mologen entwickelten Methode wie folgt behandelt werden: Den Patienten werden Tumorzellen gespritzt, die mit Midge gentherapeutisch verändert wurden. Diese Zellen tragen aufgrund der Stimulation durch Midge auf ihrer Zelloberfläche Signale, die das Immunsystem erkennen kann. Infolgedessen wird es sensibilisiert für die echten Nierenkrebszellen und kann diese wesentlich effektiver bekämpfen.

Die Behandlung soll ferner durch die ebenfalls von Mologen entwickelten sogenannten "DSlim"-Moleküle unterstützt werden. Sie bestehen ebenfalls aus DNS und regen das unspezifische Immunsystem an, ohne dabei eine genetische Information für die Bildung weiterer Stoffe im Körper zu enthalten.

Bei allen Chancen, die derartige neue Behandlungsmethoden bieten, bestehen freilich auch Risiken. Diese sind zwar nicht höher als bei herkömmlichen pharmazeutischen Präparaten, geben aber doch den Ausschlag, genetisch forschenden Unternehmen in Deutschland immer neue Steine in den Weg zu legen. Die Folge davon ist, daß immer mehr Unternehmen abwandern und der "chinesische Drache" immer weiter genährt wird. Immerhin darf die zellbasierte Gentherapie von Mologen jetzt im beschleunigten Testverfahren in klinischen Studien am Patienten getestet werden. Es wird aber noch mindestens zwei Jahre dauern, bis mit der neuen Therapie Patienten in Deutschland regulär behandelt werden können. In China, wo bereits vor zwei Jahren das erste Gentherapeutikum der Welt zugelassen wurde, könnte dieses Ziel bereits im nächsten Jahr erreicht werden.


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