© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/07 16. März 2007

Selbsternannter Beschützer der Sorben
Minderheiten: Warum der polnische Europaabgeordnete Sylwester Chruszcz in Bautzen ein Büro betreibt und sich Gedanken über deutsche Verkehrsschilder macht
Christian Rudolf

Seit der Zwischenkriegszeit gibt es von polnischer wie von tschechischer Seite Bestrebungen, sich zum Anwalt des angeblich von Germanisierung bedrohten slawischen Völkchens der Sorben zu machen. Nach dem Ersten Weltkrieg erhielt die prosorbische Bewegung in Polen stärkeren Zulauf.

Jędrzej Giertych, Erznationalist und Vater des polnischen EU-Parlamentariers Maciej Giertych (LPR), engagierte sich in den zwanziger und dreißiger Jahren publizistisch für sorbische Angelegenheiten und unterstützte nach Kräften polnische Kulturhilfe für das in Ober- und Niederlausitz siedelnde "Brudervolk" (siehe auch den Artikel auf Seite 21). 1936 entstand in Warschau die Gesellschaft der Freunde des sorbischen Volkes. Während des Krieges gründete sich im polnischen Untergrund die Jugendorganisation Prołuż (Pro Sorben), deren Losung "Über die Lausitz hält Polen Wache" lautete. Nach dem Krieg gab es in Prag Stimmen, die den Anschluß der Lausitz an die Tschechoslowakei forderten.

Heute ist es der polnische Europaabgeordnete Sylwester Chruszcz von der nationalkatholischen "Liga der polnischen Familien" (LPR), der die sorbische Volksgruppe vor "einer Diskriminierung seitens der Deutschen" schützen und verteidigen will. Die Sorben, in der Bundesrepublik als nationale Minderheit anerkannt, müßten vor einer "Entnationalisierung" bewahrt werden. Seit zwei Jahren unterhält der gebürtige Glogauer deshalb in Bautzen, dem politischen und kulturellen Zentrum der Sorben, ein Abgeordnetenbüro.

Obwohl antieuropäisch eingestellt, wolle er die Möglichkeiten der Europäischen Union nutzen, sich für die Rechte der - slawischen - nationalen Minderheiten einzusetzen. Es ist das erste Büro eines polnischen Abgeordneten im Ausland. Von der Bedeutung, die diesem Ereignis in Polen beigemessen wird, zeugte die Anwesenheit zweier polnischer Abgeordneter bei der Eröffnung.

Aus ihrer Zufriedenheit über diese Entwicklung machten die Vertreter der Sorben keinen Hehl. Peter Brezen, Vize-Vorsitzender der Domowina, der offiziellen Interessenvertretung der Sorben, begrüßte es, daß seine Volksgruppe nun eine Vertretung im Europäischen Parlament haben werde. Doch nicht nur als erfolgreicher Multiplikator der sorbischen Minderheit profiliert sich Chruszcz. Der 34 Jahre alte Aufsteiger, im Brotberuf Architekt, startete im vergangenen Jahr eine Kampagne zur Streichung der deutschen Namen jetzt polnischer Städte auf Straßenschildern an Autobahnen und Landstraßen, wie sie dem Autofahrer vorwiegend in grenznahen Gegenden Mitteldeutschlands begegnen. Namen von Ortschaften sollten gemäß der "Übereinkunft über Zeichen und Signale im Straßenverkehr" von 1964 nur noch in der Sprache des Landes, in welchem diese liegen, angegeben werden. Die Straßenschilder "führen in die Irre. Nicht jeder, der aus Italien oder Frankreich nach Polen fährt, muß wissen, daß 'Breslau' 'Wrocław' bedeutet", meinte der Wahl-Stettiner im Interview mit der Tageszeitung Życie Warszawy.

Doch außer von praktischen Motiven ließe er sich bei dem Ansinnen von "patriotischen Beweggründen" leiten: "In den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ziehen die Neonazis der NPD ein, und Frau Erika Steinbach organisiert beleidigende Ausstellungen mit antipolnischem Charakter. Wenn ich dann noch zusätzlich auf den Straßenschildern die deutschen Namen sehe, kocht mir das Blut hoch", erregte er sich.

Brief an den Bundesverkehrsminister

Vor einem Jahr schrieb Chruszcz einen Brief an Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) mit der Bitte, die Beschilderung nach den Kriterien der genannten Übereinkunft abzuändern. Der Minister ließ in seiner Antwort ausrichten, daß er die zuständigen Ministerien in Potsdam und Schwerin angewiesen habe, "so schnell wie möglich" für in Polen gelegene Zielorte die polnischen Bezeichnungen einzuführen.


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