© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/07 16. März 2007

Kolumne
Gewollte Benachteiligung
Norbert Geis

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und das Bundesfamilienministerium haben im November 2004 ihre gemeinsame Strategie zur deutschen Familienpolitik veröffentlicht. Ihr Ziel: "Kinder in die Krippe und Eltern an den Arbeitsplatz". Die Wirtschaft fürchtet um die Verknappung der erwerbstätigen Bevölkerung. Aus diesem Grund will sie die Eltern, vor allem die jungen Mütter, für die Erwerbsarbeit mobilisieren. Die Kinder spielen dabei keine Rolle. Die jungen Väter und Mütter sind meist sehr gut ausgebildet und deshalb willkommene Arbeitskräfte. Die weniger gut ausgebildeten jungen Mütter werden als Hilfskräfte gebraucht.

Deshalb wünscht sich die Wirtschaft mehr Krippenplätze. Darauf, daß die Kleinkinder im Krippenalter bis zu drei Jahren besser von ihren Vätern oder Müttern betreut werden, wird keine Rücksicht genommen. Auch wird nicht bedacht, daß die Mütter und Väter vor allem den Jugendlichen Arbeitsplätze wegnehmen, denn die Industrie stellt lieber Arbeitskräfte ein, die bereits im Berufsleben waren und eine gewisse Berufserfahrung mitbringen. Die Jugendlichen bleiben auf der Strecke. Das zeigt sich in Frankreich, wo viele Mütter berufstätig sind. Dort sind über 20 Prozent der Arbeitslosen im jugendlichen Alter. Sollen sich bei uns ähnliche Verhältnisse einstellen?

So weit denkt die Industrie nicht. Hauptsache, sie verfügt momentan mit den Müttern und Vätern über qualifizierte Arbeitskräfte. Deshalb darf auch die finanzielle Unterstützung für junge Familien nicht zu hoch ausfallen, damit der Anreiz besteht, bald in das Erwerbsleben zurückzukehren. Ganz offen sprach das im Jahre 2004 der damalige BDI-Chef Rogowski im Rahmen einer Konferenz zur Familienpolitik: "Wenn kein Geld mehr gezahlt wird, werden die meisten (Eltern) freiwillig früher zurückkehren." Ein Jahr Elterngeld ist deshalb genug. Der Elternteil, der keinen Anspruch auf Elterngeld hat, weil er nicht erwerbstätig war, erhält für ein Jahr Erziehungsgeld in Höhe von 300 Euro. Das reicht nicht. Also sind Vater oder Mutter gezwungen, bald nach der Geburt des Kindes auf Jobsuche zu gehen. Für sie gibt es keine Wahlfreiheit. Sie sind die Benachteiligten. Aber das ist gewollt.

Die SPD hat diese familienfeindliche Politik wegen der Wahl 2005 nicht mehr durchsetzen können. Die Große Koalition ist dabei, dies nachzuholen. Bleibt zu hoffen, daß die Suppe nicht so heiß gegessen werden muß, wie sie gekocht wird.

 

Norbert Geis (CSU) ist Mitglied des Deutschen Bundestages und lebt als Rechtsanwalt in Aschaffenburg.


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