© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/07 09. März 2007

Kloster auf Zeit: Der Leiche "Volkskirche" neues Leben einhauchen
Einkehr zur Umkehr
Daniel Körtel

Über Jahrhunderte hinweg galten Klöster als von der sie umgebenden Welt abgewandte Inseln christlicher Frömmigkeit. Was sich hinter ihren verschwiegenen Mauern abspielte, war oftmals Gegenstand wüster Spekulationen. Der englische Historiker Michael Grant sah in dem Aufkommen der spätantiken Mönchsbewegung sogar ein Symptom dekadenter Zerfallserscheinung ihrer Zeit und verglich sie mit der neuzeitlichen Hippie-Subkultur. Säkularisierung und Modernisierung ließen in den vergangenen Jahrzehnten diese Institutionen wie mittelalterliche Relikte erscheinen, deren endgültiges Ableben mangels Nachwuchs nur noch eine Frage der Zeit sei. Und doch erfreuen sich diese Einrichtungen eines steigenden Interesses von Außenstehenden.

Bescheidene Wohneinheiten mit Andachtsecken

Ursächlich dafür ist das Programm "Kloster auf Zeit", in dessen Rahmen sich zahlreiche Klöster für Interessierte geöffnet haben. Der Ursprung dieses Programms reicht zurück in die 1960er Jahre, als sich unter dem Eindruck einer zunehmend materialistischen Gesellschaft das Benediktinerkloster Nieder-altaich bei Deggendorf versuchsweise für Gäste auf Zeit öffnete. Das seinerzeit nicht unumstrittene Experiment bewährte sich und wurde in den nachfolgenden Jahrzehnten von zahlreichen anderen Klöstern übernommen.

Zu den Einrichtungen, die heute als "Kloster auf Zeit" ihre Pforten für Gäste öffnen, gehört auch das von einer kleinen Männerkommunität geführte evangelische Gethsemanekloster auf Gut Riechensberg vor den Toren Goslars. Das religiöse Bekenntnis des Einzelnen spielt - wie bei den meisten Angeboten des "Kloster auf Zeit" - keine Rolle. Im Klausurbereich, in welchem die Gäste untergebracht sind, ist Schweigen angesagt. Piktogramme an den Hauseingängen zeigen an, daß Rauchen, Notebooks und Handys hier nicht erwünscht sind. Der Gast ist keineswegs in asketischen Mönchszellen untergebracht, sondern in bescheidenen, liebevoll eingerichteten Wohneinheiten mit Andachtsecken, in denen er seine persönlichen Gebete verrichten kann: auch der Wohnbereich dient der Zwiesprache mit Gott. Für Ordnung und Sauberkeit ist der Gast selbst verantwortlich. Auffallend ist die für ein evangelisches Kloster ungewöhnlich deutliche Präsenz von Ikonenabbildungen in den Räumen.

Ohne Ablenkung durch Telefon, Fernseher, Radio oder Tageszeitung ist der Gast völlig von der Außenkommunikation abgeschnitten und so aus seinem bisherigen Lebenskontext herausgelöst. In dieser Umgebung nimmt der so innehaltende Gast eine neue Form der heilsamen Stille wahr, die es ihm erst ermöglicht, sich vollkommen auf sich selbst zu konzentrieren.

Unterbrochen wird diese Konzentration durch die Tagzeitgebete der Gethsemanebruderschaft, die gemeinsam mit den Gästen dreimal täglich in der Kapelle und im Oratorium zu Andacht und Gebet zusammenkommen. Diese Andachten mit den wunderschönen gregorianischen Psalmen-Gesängen der Klosterbrüder vermitteln den Zuhörern eine Spiritualität, die in der modernen Welt längst verlorengegangen ist. In den Friedensgruß nach der morgendlichen Laudes - "Frieden sei mit dir!" - wird auch der Gast mit einbezogen.

Die Angebote der Klöster sind vielfältig und gehen über individuelle Besinnungstage, wie nicht allein das Gethsemanekloster sie anbietet, weit hinaus. Im Sinne des "Ora et labora" (Bete und arbeite), des alten Grundsatzes der Mönche, kann auch im Klosterbetrieb mitgearbeitet werden. Ebenso werden oft Gruppenseminare um Fragen des Glaubens angeboten.

Es hat sich gezeigt, daß nicht nur Manager, die vor schwerwiegenden Entscheidungen stehen, oder Studenten, die sich auf ein Examen vorbereiten wollen, das "Kloster auf Zeit" nutzen.

Menschen, die ihre ersten Glaubenserfahrungen machen

Es sind vor allem auch Menschen in schweren Lebens- und Sinnkrisen, deren leidgeplagte Seelen einen Haltepunkt zur Besinnung suchen und dabei ihre ersten Glaubenserfahrungen machen. Aus der segensreichen Atmosphäre der klösterlichen Stille und der geistlichen Kontemplation vermag die malträtierte Seele neue Kraft zur Wiederherstellung des inneren Gleichgewichts zu tanken. Und hierin zeigt sich der besondere Wert des "Klosters auf Zeit": nicht als touristisches Erlebnis, auch nicht als kurzfristige Weltflucht, sondern als Einstieg zur notwendigen inneren Einkehr, die zur Umkehr führt.

Derzeit wird oft diskutiert, ob es den Kirchen möglich sein könnte, mit fragwürdigen aus der Werbewirtschaft entlehnten Event-Konzepten der Leiche "Volkskirche" neues Leben einzuhauchen. In Wahrheit steht ihnen mit der Einrichtung des "Kloster auf Zeit" ein wesentlich wirkungsvolleres Instrument aus der Frühzeit des Christentums zu Verfügung, mit dem den religiös Orientierungslosen und -suchenden wahrhaftige und tiefgreifende Religiosität vermittelt werden kann, die auch in den Alltag hineinträgt, dort, wo sich der Glaube dann auch bewähren soll.

Informationen zum Thema Kloster auf Zeit im Internet unter www.orden-online.de/linkverzeichnis/index.php?rubrik_id=7.


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