© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/07 09. März 2007

Es war einmal das Volk
Kino: "Strajk - Die Heldin von Danzig" scheitert an zuviel Willen zur Naivität
Michael Hofer

Während der Zweite Weltkrieg weiterhin eine ernsthafte Hypothek für die deutsch-polnischen Beziehungen darstellt, zeigen sich in den gemeinsamen Erfahrungen unter sozialistischen Regimen Anknüpfungspunkte für eine Verständigung. Florian von Donnersmarcks frisch mit dem Auslands-Oscar ausgezeichneter Film "Das Leben der Anderen" wird zur Zeit auch in Polen als beispielhafte Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit gefeiert.

Ein weiterer deutscher Oscar-Preisträger, Volker Schlöndorff, ist nun nach Danzig zurückgekehrt, den Schauplatz seines größten Erfolges "Die Blechtrommel" (1979), und hat dort die Anfänge der Solidarność verfilmt. "Strajk - Die Heldin von Danzig" ist der erste Spielfilm überhaupt, der sich des Stoffes annimmt. Daß ein deutscher Regisseur diese Aufgabe übernommen hat, ist zweifellos bemerkenswert.

Auf der Grundlage von wahren Begebenheiten stellen Schlöndorff und seine Drehbuchautoren Andreas Pflüger und Sylke Rene Meyer die Bauarbeiterin Agnieszka (Katharina Thalbach) in den Mittelpunkt der Geschichte. Die fleißige, mit sozialistischen Preisen überhäufte Kranführerin in der Danziger Lenin-Werft erwacht zum politischen Bewußtsein, als die Werksleitung versucht, die Umstände eines Unfalls zu vertuschen, der das Leben von 21 Arbeitern kostete.

Bald beteiligt sie sich an der Herstellung kritischer Flugblätter. Unter den Aufmüpfigen befindet sich auch ein gewisser "Leschek" alias Lech Walesa (brillant: Andrzej Chyra). Als die zunehmend unbequeme Agnieszka nach 30 Jahren an der Werft entlassen werden soll, kommt es zum bahnbrechenden Streik, der die Solidarność landesweit in Bewegung setzt.

Schlöndorff spielt dabei Walesas Rolle herunter, um Agnieszka als den entscheidenden Katalysator des Geschehens zu inszenieren. Dabei geht der Regisseur recht freizügig mit historischen Fakten um und bemüht sich, dieser "Ballade", wie er den Film nennt, einen naiven Tonfall zu geben. Ähnlich wie in den klassischen Komödien von Frank Capra genügen ein guter, aber fester Wille, ein Herz am rechten Fleck und die Solidarität der Menschen, um die Verhältnisse zu verändern. Katharina Thalbach, eine Veteranin der DEFA, die bereits in der "Blechtrommel" dabei war, verkörpert Agnieszka als eine der bodenständigen, liebenswerten Proletarier-Gestalten, die auch das Kino der DDR bevorzugte. Gleich einer hemdsärmeligen und etwas weniger naiven Giulietta Masina verleiht sie den zunächst gespreizt formulierten Flugblättern der Protestbewegung die zupackende "Stimme des Volkes", die das Feuer erst so richtig entfacht. Daß in der Realität mit goldenen Herzen und frechem Mundwerk keine Politik gemacht hat, weiß allerdings auch Schlöndorff; sein Versuch, der Geschichte durch capraeske Stilisierung und gelegentliche Wendungen ins Märchenhafte eine plausible Form zu geben, scheitert an der Offensichtlichkeit seines Bemühens.

Das macht sich bereits in der Besetzung der Hauptfigur bemerkbar. Thalbach zieht zwar alle Register ihrer Kunst, doch schadet gerade ihre ausgestellte Virtuosität der Glaubwürdigkeit der Figur. Man sieht stets eine Schauspielerin, die gezielt eine Person darstellt, die um einiges simpler gestrickt ist als sie selbst. Agnieszka bleibt eine allzu künstliche "Kunstfigur" (Schlöndorff). Das Abfeiern eines "wahren" Sozialismus, der quasi aus dem "Herzen des Volkes" und nicht aus den Köpfen der Bonzen kommt, ist allzu einfach, problemlos und sentimental, um auf die Dauer zu fesseln. Auch der emphatische, aber platte Soundtrack von Jean-Michel Jarre (der 2005 zum 25. Jubiläum der Solidarność ein Konzert in der Danziger Schiffswerft gab) wirkt sich in dieser Hinsicht störend aus. Der Film bleibt ebenso glatt und oberflächlich wie Jarres Kompositionen.

Der falsche, respektive "gefälschte" Tonfall und die stilistische Pose sind freilich typisch für Volker Schlöndorff, dessen internationaler Ruf einem Rätsel aufgeben kann. Schlöndorff war stets ein opportunistischer Konjunkturritter, der Heinrich Böll des deutschen Films, dessen dröge Inszenierungen allenfalls noch von den Schwarten seiner in dieser Hinsicht kongenialen Ex-Partnerin Margarethe von Trotta übertroffen werden.

Seit seinem noch halbwegs geglückten Erstling "Der junge Törless" (1965) nach Robert Musil hat sich Schlöndorff vor allem im wohl muffigsten Genre überhaupt, der "Literaturverfilmung", einen Namen gemacht und dabei unsterbliche Gräßlichkeiten wie "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1975) und "Homo Faber" (1991) verbrochen. Ungut ist Schlöndorff in den letzten Jahren auch durch seinen penetranten Ranschmiß an den greisen Meisterregisseur Billy Wilder aufgefallen, bei dem ihn der geistesverwandte Hellmuth Karasek tatkräftig unterstützte.

Davon abgesehen ist "Strajk" einer von Schlöndorffs erträglichsten Filmen geworden. Viele Szenen in der Danziger Werft, die am Originalschauplatz gedreht wurden, strahlen eine reizvolle Authentizität aus; als interessanter Einblick in die polnische Geschichte und das polnische Selbstverständnis ist der Film auf jeden Fall sehens- und empfehlenswert.

Fotos: Der Elektriker Lech (Andrzej Chyra) verliest die 21 Forderungen: Goldene Herzen, freche Münder; Agnieszka (K. Thalbach)


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