© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/07 09. März 2007

BRIEF AUS BRÜSSEL
Ordnungspolitische Aufgaben
Andreas Mölzer

Bei ihrem jüngsten Treffen haben die 27 EU-Außenminister wieder einmal die Beitrittsperspektive für die Staaten des sogenannten Westbalkans bekräftigt. Zweifelsfrei sind Serbien, Montenegro oder Mazedonien ein Teil Europas, auch wenn sie jahrhundertelang vom Osmanischen Reich besetzt waren und deshalb verspätet die politische Bühne betreten haben. Dennoch darf Brüssel nicht den Fehler der letzten, überhasteten Erweiterungsrunde wiederholen und die Westbalkanstaaten übereilt aufnehmen oder ihnen die Mitgliedschaft versprechen.

Derzeit erfüllt nur Kroatien die Kopenhagener EU-Kriterien, weshalb das Land auch aufgenommen werden sollte. Wann aber beispielsweise Serbien EU-reif sein wird, läßt sich beim besten Willen nicht sagen. Daher sollten die benachbarten Balkanstaaten, die schon laut an die EU-Tür anklopfen, erst nach entsprechend langen Vorlauffristen und nur dann, wenn an deren Beitrittsreife keine Zweifel mehr bestehen, in die EU aufgenommen werden.

Die vielzitierte "europäische Perspektive" für die südöstlichen EU-Aspiranten ist vor allem als ordnungspolitische Aufgabe für Brüssel zu sehen. Denn mit dem Zusammenbruch der alten Ordnung, dem Untergang Jugoslawiens, einem Kunstprodukt der Pariser Vorortverträge 1919, entstand auf dem Balkan ein sicherheitspolitisches Vakuum, das von den USA und ihrem militärischen Arm, der Nato, gefüllt werden könnte. Der Beitritt der Balten, Polen oder Tschechen zum nordatlantischen Bündnis zeigte bereits die Folgen der aggressiven US-Außenpolitik auf europäischem Boden. Das Verhältnis zu Rußland, das der natürliche strategische Partner der EU ist, wurde belastet, und die Nato-Neulinge fühlen sich in ihrer Außen- und Sicherheitspolitik weniger ihren "europäischen Partnern", sondern vielmehr Washington verpflichtet. Daher kann das mögliche Festsetzen einer fremden Macht an seiner südöstlichen Flanke für Europa nicht von Interesse sein.

Das Wahrnehmen der ordnungspolitischen Aufgabe auf dem Balkan ist auch ein Testfall dafür, wie es um die "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" der EU wirklich bestellt ist. Noch vor eineinhalb Jahrzehnten, als Jugoslawien in seine ethnischen Bestandteile zerfiel, zeigten sich auf bittere Weise jene Bruchlinien zwischen Berlin, Paris und London, die auf im 19. Jahrhundert fußende Bündnisse zurückgehen. Als Kroatien seine Unabhängigkeit erklärte, fand es in Deutschland und Österreich - personifiziert durch die Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) und Alois Mock (ÖVP) - die engagiertesten Unterstützer seiner Eigenstaatlichkeit, während Frankreich und Großbritannien dem "serbischen Verbündeten" auf dem diplomatischen Parkett alle erdenkliche Hilfe zukommen ließen. Als Folge dieses unwürdigen Schauspiels wurde die ganze Welt Zeuge der sicherheitspolitischen Ohnmacht Europas.

Nicht zuletzt ist es ein Gebot der politischen Vernunft, daß die EU auf dem spannungsreichen und ethnisch vielfältigen Balkan, der - wie der Kosovo-Konflikt anschaulich beweist - noch lange nicht befriedet ist, ihre außen- und sicherheitspolitischen Ankündigungen mit Leben erfüllt. Schließlich ist der Balkan - anders als der Kongo, wo die Europäische Union im vergangenen Jahr für Ordnung und Stabilität sorgen sollte - ein Teil Europas.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen