© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/07 09. März 2007

London ist gefährlicher als Berlin
EU: Die ICS-Umfrage zu Bedrohungsgefühlen und Kriminalitätsbelastung bleibt an der Oberfläche
Michael Paulwitz

Ist London die gefährlichste Hauptstadt Europas? Ist in Berlin alles halb so wild? Laufen in Deutschland die meisten Sittenstrolche herum? Eine von der EU-Kommission mitfinanzierte und vom Meinungsforschungsinstitut Gallup Europe geleitete europaweite Umfrage hat eine Flut von Daten zum Sicherheitsempfinden und zur Kriminalitätsbelastung der Europäer geliefert, bleibt aber viele Antworten schuldig und läßt breiten Spielraum für Interpretationen und Spekulationen. Ein Grund dafür ist, daß Einwanderer nach gewohnter politisch-korrekter EU-Lesart wieder mal nur als Opfer, aber nicht als Täter Eingang in die Statistik finden.

Dabei ist die Datenbasis des "European Crime and Safety Survey" (EU-ICS) durchaus beachtlich. 35.000 Personen wurden in den Staaten der "alten" EU-15 und den drei Neumitgliedsstaaten Ungarn, Polen und Estland in ausführlichen telefonischen bzw. - in den beiden letzteren Ländern - Direktinterviews befragt. Gallup Europe und seine Partnerinstitute - aus Deutschland das Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht - reklamieren zudem für ihre Umfrage eine gegenüber herkömmlichen Kriminalstatistiken überlegene Aussagekraft, weil sie auch die Dunkelziffern gar nicht erst angezeigter Straftaten - im Schnitt geschätzte vierzig Prozent - besser abbilde.

Teilergebnisse der Erhebung sind vor diesem Hintergrund durchaus bemerkenswert, wenn auch nicht ohne methodische Fragezeichen. So kämpfen laut EU-ICS London, Reval (Tallinn), Amsterdam, Belfast und Dublin mit der höchsten Kriminalitätsbelastung unter den untersuchten Hauptstädten; Spanien, Portugal und Italien schneiden unerwartet gut ab, was das Klischee vom "kriminellen Süden" widerlege. Wer glaubt, beim Mittelmeerurlaub seine Brieftasche jetzt nicht mehr festhalten zu müssen, sollte allerdings bedenken, daß eine unter langjährigen Einwohnern durchgeführte Umfrage Delikte, die vornehmlich an Touristen begangen werden, gar nicht erfaßt - was auch Max-Planck-Mitarbeiter Helmut Kury anmerkt.

Deutschland und Berlin belegen beim europäischen Vergleich der Kriminalitätsbelastung bei den meisten Delikten solide Mittelplätze. Das gilt auch für die "ausländerfeindlichen" sogenannten "hate crimes", was wiederum einen - freilich kaum betonten - Klischeebruch bedeutet. Mit Erstaunen wurde vermerkt, daß neben Irland und Schweden gerade in Deutschland besonders viele Frauen angaben, Opfer sexueller Übergriffe geworden zu sein. Kury gibt hier kulturelle Unterschiede als methodisches Hindernis zu Protokoll; hierzulande sei eben die Empfindlichkeit größer und auch die Bereitschaft, offen darüber zu sprechen.

Vielleicht liegt es ja auch an der vielerorts hohen Dichte macho-sozialisierter männlicher Jung-Einwanderer. Gefragt hat leider keiner danach - das Thema Ausländerkriminalität blieb weitgehend außen vor. Man habe ermittelt, welche der Befragten Einwanderer seien, diese dann befragt, ob sie Opfer von "hate crimes" geworden seien, und festgestellt, daß Einwanderer von solchen Delikten besonders stark betroffen seien - ein klassischer Zirkelschluß. Daß Einheimische auch Opfer von "hate crimes" durch Immigranten werden können, scheint den EU-Umfragern nicht denkbar.

Methodische Fragezeichen

Immerhin räumt Helmut Kury einen Zusammenhang zwischen gescheiterter Ausländerintegration und erhöhten Verbrechensraten ein und kündigt Folgeprojekte an. Auf die Veröffentlichung der Ergebnisse in den kommenden Monaten darf man gespannt sein. Fürs erste scheint ICS als Nebenzweck auch die Existenzrechtfertigung und Arbeitsbeschaffung für die Wiener Antirassismus-Beobachtungsstelle verfolgt zu haben, die - Empfehlung Nr. 6 der Kurzfassung - dringend weitere Erhebungen unter den diversen Einwanderergruppen durchführen müsse.

Fragwürdig wird es, wenn auf Grundlage der ICS-Befragung detaillierte Kriminalitäts-Stadtpläne von zehn europäischen Hauptstädten gezeichnet werden und dafür das gesammelte Datenmaterial hoffnungslos überdehnt wird. Mit 600 Befragten kann man vielleicht zuverlässige Aussagen über die Verhältnisse in Berlin treffen, aber nicht in jedem einzelnen Stadtteil. Wenn ein Teilnehmer mit negativen Behördenerfahrungen reicht, um seinen Stadtteil auf der Korruptionskarte rot zu färben, wird's schon absurd.

Dabei wäre eine plastische, für jedermann zugängliche und transparente Darstellung der Sicherheitslage dringend notwendig - gerade für Berlin. Doch der Vergleich mit dem vielbewunderten Vorbild "ChicagoCrime.org" zeigt: Sicherheits-Atlanten sind wenig aussagekräftig ohne Einpflegen von offiziellen Kriminalstatistiken, soziokulturellen und demographischen Daten. Manches könnten die örtlichen Behörden eben doch besser erledigen als ein EU-Dienstleister. Wenn sie es denn nur einmal täten.

Foto: Bobby mit Überwachungskamera: Die Studie widerlegt das Klischee vom "kriminellen Süden" der EU

Die ICS-Umfrage findet sich im Internet unter: www.europeansafetyobservatory.eu/euics_rp.htm 


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