© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/07 09. März 2007

Ökonomischer Landesverrat zahlt sich leider aus
USA: Die Vorherrschaft als weltweit führende Industrie- und Technologiemacht ist ernsthaft gefährdet / Freihandelsideologie vernichtet heimische Arbeitsplätze
Patrick J. Buchanan

Zum Valentinstag beschenkte Chrysler seine nordamerikanischen Mitarbeiter mit einem besonderen Blumenstrauß: In der Produktion sollen in den nächsten 24 Monaten elftausend Stellen gestrichen werden - neuntausend in den USA und zweitausend in Kanada -, weitere zweitausend in der Verwaltung.

Das Montagewerk für Geländewagen in Newark, Delaware, wird ganz geschlossen, die Produktion im Lkw-Werk in Warren, Michigan, und im Montagewerk in St. Louis jeweils von zwei Schichten auf eine heruntergefahren. Zuvor brach Ford mit einem Jahresverlust von 12,7 Milliarden Dollar den Rekord, den General Motors 2005 mit 10,6 Milliarden Dollar aufgestellt hatte. Toyota schickt sich an, General Motors den Rang als US-Marktführer abzulaufen. Chrysler und Ford hat der japanische Automobilkonzern längst überholt. Noch vor wenigen Jahrzehnten teilten die US-Autohersteller den einheimischen Markt unter sich auf und beherrschten den Weltmarkt.

Aber was ist das Erfolgsrezept der Japaner? Erstens stellen sie gute Autos her. Zweitens manipulieren sie ihre Währung, um den Kurs des Yen gegenüber dem Dollar künstlich niedrig und damit den Preis japanischer Wagen im Vergleich zu gleichwertigen US-Modellen billig zu halten. Drittens erhebt Tokio eine spezielle Steuer auf Automobilimporte aus den USA und erläßt diese bei Exporten von Wagen und Ersatzteilen in die USA. Diese doppelte Subvention verschafft japanischen Wagen auf beiden Märkten einen Preisvorteil von bis zu 15 Prozent gegenüber Ford oder General Motors.

Viertens sind japanische Firmen, die in den USA Fabriken bauen, nicht von Krankenversicherungs- und Rentenverpflichtungen für ehemalige Arbeitnehmer belastet, da sie kaum amerikanische Ruheständler haben. Bei General Motors, Ford und Chrysler fließen diese Sozialkosten in den Preis jedes Wagens ein.

Gewinne wandern praktisch unbesteuert nach Japan

Schließlich wäre noch die altehrwürdige Geschäftspraxis des sogenannten transfer pricing zu nennen: Japanische Firmen verkaufen Einzelteile zu überhöhten Preisen an ihre amerikanischen Tochtergesellschaften. So verringern sich die Profite dieser Unternehmen und damit auch ihre US-Steuerlast. Die Gewinne werden praktisch unbesteuert nach Japan repatriiert. Mit diesen Methoden erobert Japan den amerikanischen Automarkt und vernichtet die großen Firmen, deren Kriegsmaschinen einst das japanische Kaiserreich zerstörten. Rache ist süß, aber man ißt sie am besten kalt, wie ein englisches Sprichwort besagt. Um auf ihrem eigenen Markt konkurrenzfähig zu bleiben, schließen US-Hersteller ihre Fabriken, entlassen ihre Mitarbeiter und bauen ihre Autos außerhalb der USA.

Einen Tag vor der Ankündigung von Chrysler wurde die Außenhandelsbilanz des Census Bureau, der US-Statistikbehörde, veröffentlicht. Noch vor den Presseagenturen schlüsselte Charles McMillion von der Unternehmensberatung MBG Information Services die Zahlen auf. Mit einem Außenhandelsdefizit von 836 Milliarden Dollar brachen die USA 2006 zum fünften Mal hintereinander den Weltrekord. Allein für Fertigerzeugnisse verschlechterte sich das Bilanzdefizit von 504 Milliarden 2005 auf 536 Milliarden. Unter Präsident George W. Bush ist jeder sechste Arbeitsplatz in der industriellen Produktion vernichtet worden - das waren insgesamt drei Millionen.

Um zu begreifen, was bei Chrysler, Ford und General Motors passiert, muß man sich nur die Zahlen der Automobilbranche ansehen. Das Außenhandelsdefizit für Pkw, Lkw und Ersatzteile lag bei 144,7 Milliarden Dollar. Wenn Amerika so weitermacht - seit Bill Clinton 1992 ins Weiße Haus einzog, haben wir bei Fertigerzeugnissen ein Außenhandelsdefizit von vier Billionen Dollar angehäuft -, ist das Ende abzusehen: ein Kollaps des Dollar, der die USA ärmer macht; die Schließung sämtlicher amerikanischer Fabriken, die für den Außenhandel produzieren; ein stetiger Verlust von Arbeitsplätzen in der industriellen Produktion, die schon jetzt nur zehn Prozent des US-Arbeitsmarkts ausmacht. Amerikas Vorherrschaft als weltweit führende Industrie- und Technologiemacht wäre damit vorbei, das Zweite Amerikanische Jahrhundert mit dem Beginn des Asiatischen Jahrhunderts abgelaufen.

Handelsdefizite, fallender Dollar, Deindustrialisierung

All das, wovor manche Stimmen seit Jahrzehnten gewarnt haben, ist eingetroffen: riesige Außenhandelsdefizite, fallender Dollarkurs, Deindustrialisierung, wachsende Abhängigkeit vom Ausland für die lebensnotwendigen Elemente unseres nationalen Wohlergehens, die durch diese Abhängigkeit bedingte Einschränkung der Handlungsfreiheit. Die Welt erlebt derzeit den Untergang der USA als der größten Industriemacht und autarksten Republik der Geschichte. Doch niemand unternimmt etwas dagegen. Warum nicht?

Ein Grund ist die Ideologie. Freihandelsfanatiker ähneln jenen frommen Christen, die sich selbst dann nicht operieren lassen, wenn sie an einer tödlichen Krankheit leiden. Zum zweiten gibt es Starrköpfe, die einfach nicht einsehen wollen, daß unsere "Handelspartner" Wege gefunden haben, die Regeln zu umgehen, und uns bei lebendigem Leib die Haut abziehen. Zum dritten sind Kandidaten beider Parteien auf Spenden einer wohlhabenden Elite angewiesen, um in Amt und Würden zu gelangen und zu bleiben. Deren Gehälter, Prämien, Aktienoptionen und Millionenabfindungen wiederum hängen von einem steigenden Aktienkurs ab, und das bedeutet, durch Standortverlagerungen ins Ausland und Entlassungen gutbezahlter amerikanischer Arbeitnehmer die Ausgaben zu senken.

Ökonomischer Landesverrat zahlt sich aus. Es wird nicht lange dauern, bis die Demokraten - trotz der oben dokumentierten unglaublichen Bilanz gescheiterter Handelspolitik - einen Weg finden, die fast-track authority zu verlängern, die dem Präsidenten den Abschluß weiterer Handelsabkommen vereinfacht. Wer des Königs Sold nimmt, steht dem König zu Diensten.

 

Patrick J. Buchanan war mehrfach US-Präsidentschaftskandidat. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift "The American Conservative".

Foto: Chrysler-Werbung in den USA: Mit einem Handelsdefizit von 836 Milliarden Dollar erneut "Weltspitze"


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