© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/07 09. März 2007

Am Volk vorbei
Familienpolitik: Koalition streitet über Finanzierung der Kinderbetreuung / Mehrheit der Deutschen will Kinder zu Hause betreuen
Josef Hämmerling

Seit Wochen schon gibt Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen in der Großen Koalition den Takt an. Die von ihr angestoßene Diskussion über die Kinderbetreuung stiehlt ihren Ministerkollegen im Kabinett die Schlagzeilen - und ganz nebenbei hat sie ihrer CDU eine Kehrtwende in der Familienpolitik verordnet.

Erst langsam wird deutlich, daß von der Leyens Ideen ziemlich unausgereift sind und noch niemand so recht weiß, wie sie finanziert werden sollen. Die Pläne der Familienministerin sehen vor, in den nächsten sechs Jahren 500.000 zusätzliche Krippenplätze zu schaffen. Damit gäbe es dann deutschlandweit 750.000 Krippenplätze. Einer Berechnung des Städte- und Gemeindebundes zufolge würde der Vorschlag von der Leyens insgesamt rund 9,5 Milliarden Euro kosten und damit dreimal soviel wie vom Familienministerium geschätzt.

Darüber, wie dieser Milliardenbetrag finanziert werden soll, hat jetzt in der Großen Koalition das sprichwörtliche Hauen und Stechen begonnen. Schon die am Montag eilig einberufene Koalitionsrunde zeigt, daß dieser Punkt zu einer Belastungsprobe für Schwarz-Rot werden könnte. Kam von der Union bislang lediglich der Vorschlag zum Ausbau der Krippenplätze, ohne aber bereits Ideen zur Finanzierung dieses Plans vorzulegen, war es der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, der vorpreschte und forderte, der Bund solle zeitlich befristet bis zum Jahr 2010 einen halben Mehrwertsteuerpunkt "zweckgebunden für diese gemeinschaftliche Aufgabe zur Verfügung" stellen.

Dieses stieß aber auf heftigen Widerspruch beim Koalitionspartner SPD, der den geplanten Ausbau der Krippenplätze mit uralten ideologischen Forderungen durchsetzen will. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Belastung kinderloser Familien. So wollen die Sozialdemokraten Steuerfreibeträge und das Ehegattensplitting zu Lasten von Familien ohne Kinder umbauen. Anstelle des Ehegattensplitting soll das Familiensplitting kommen. Die dann noch fehlenden rund vier Milliarden Euro sollen unter anderem durch den Verzicht auf die noch überhaupt nicht beschlossene nächste Kindergelderhöhung und der Öffnung nicht ausgelasteter Kindergärten für Unter-Dreijährige reingeholt werden.

Besonders auffällig ist, daß die elterliche Betreuung von Kindern zu Hause, also die klassische Erziehung, anscheinend ganz außen vorgelassen werden soll. Zwar wurde zu Jahresbeginn das Elterngeld mit höheren Beträgen als bisher eingeführt, dafür die Länge der Auszahlung aber von bislang zwei Jahren auf zwölf bis maximal vierzehn Monate gekürzt.

Unerwartete Kritik von linksaußen

Während die Linkspartei ansonsten mehr Krippenplätze fordert, reagiert interessanterweise ausgerechnet ihr saarländischer Landesverband auf von der Leyens Pläne mit harscher Kritik. So unterstützte dann auch dessen familienpolitische Sprecherin Christa Müller (siehe auch das Porträt auf Seite 3) die Einwände des Augsburger Bischofs Walter Mixa. Dieser hatte kritisiert, Frauen würden durch die geplante Einführung von Krippenplätzen zu "Gebärmaschinen" degradiert, und gewarnt, die Pläne des Bundesfamilienministeriums würden zu einer weiteren Auflösung der Familien führen.

"Mixa hat recht in seiner Einschätzung, die Pläne seien einseitig auf eine aktive Förderung der Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kleinkindern fixiert", sagte sie. Die Vorschläge von der Leyens "bedeuten vor allem die Abschaffung der Wahlfreiheit junger Frauen, entweder ihre Kinder selber zu betreuen oder betreuen zu lassen". Gerade einkommensschwache junge Mütter würden somit in die Erwerbstätigkeit gezwungen. Damit kämen diese Vorschläge "vor allem der Wirtschaft zugute, die Frauen als billige Arbeitskräfte rekrutieren will".

Müller wirft der Ministerin vor, "wiederum am Volk vorbei zu regieren". Denn Umfragen zufolge wollen knapp 70 Prozent der deutschen Eltern ihre Kinder zwischen dem ersten und zweiten Lebensjahr selbst betreuen und 40 Prozent auch zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr. Müller schlägt statt dessen die Einführung eines Erziehungsgeldes für alle Eltern von 1.560 Euro im ersten und 960 Euro im zweiten und dritten Jahr vor. Die Eltern sollen dann selbst entscheiden, "entweder ihre Kinder selbst zu betreuen oder mit dem Geld eine qualitativ hochwertige Betreuung zu bezahlen".

Müller wies darüber hinaus darauf hin, daß "die Fremdbetreuung von Kindern zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr allen Erkenntnissen aus der Bindungs-, Säuglings-, und neueren Hirnforschung" widerspreche. Kleinkinder bräuchten während der ersten drei Jahre eine feste Bezugsperson - am besten die Mutter oder auch den Vater, ersatzweise eine Oma oder Tagesmutter.

Die Trennung von der festen Bezugsperson sowie die Betreuung von wechselndem Personal in Betreuungseinrichtungen schädige langfristig den Kindern, wie sich in Schweden gezeigt habe, sagte Müller weiter. Dort leide jedes dritte Kind an einer psychischen Störung, zudem nähmen Depressionen, Alkohol- und Drogenprobleme in beängstigender Weise zu, und auch in den Schulen herrsche Gewalt.

Das dürfte die Politiker aber kaum interessieren, denn immerhin sprachen sich bei einer Umfrage 71 Prozent der Deutschen für die Schaffung von mehr Krippenplätzen aus. Und Umfragewerte interessieren Politiker bekanntlich mehr als Argumente.

Foto: Ursula von der Leyen (r.) schreitet voran: Seit Wochen diskutiert das Land über ihren Vorschlag zur Kinderbetreuung


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